Krieg dem Krieg

Vor 40 Jahren kam es in Westberlin zu Krawallen. Auslöser war der Besuch des US-Außenministers und früheren Nato-Oberbefehlshabers Alexander Haig. Ein Bericht aus den Tagen, als die Antikriegsbewegung zur Militanz fand

  • Bernd Langer
  • Lesedauer: 7 Min.

Es ist der Beginn der 1980er Jahre: Der Dritte Weltkrieg scheint unausweichlich. Mit ihren Atomwaffen könnten Nato und Warschauer Pakt gleich mehrfach die Erde in Schutt und Asche legen - wenn der Planet nicht vorher zugrunde geht. Es drohen die ökologische Katastrophe, Atomkraftwerke, saurer Regen, Waldsterben. Die Linke macht den Kapitalismus verantwortlich. Das imperialistische System mit der Führungsmacht USA gilt als Hauptfeind, die Sowjetunion taugt kaum mehr als Alternative. Einen Hoffnungsschimmer gibt die internationale Solidarität. In Nicaragua hat die Revolution gesiegt. El Salvador und Guatemala sollten diesem Beispiel bald folgen. Von Mittelamerika über Lateinamerika bis nach Afrika und Asien scheint der Kampf um Befreiung zu entbrennen.

Auch in Westdeutschland hat sich eine linke Widerstandskultur herausgebildet, mit einem Spektrum militanter autonomer und antiimperialistischer Gruppen. Wobei die »Antiimps« Genannten ein eigener Zusammenhang sind, der die Politik der RAF unterstützt, während die Autonomen sie kritisieren. Heftig gestritten wird sich zudem mit der bunten Mischung aus Pazifisten, Alternativen, Ökos, Christen und K-Gruppen. Diese werden im Szenejargon als »Peaceniks« bezeichnet und sind sich untereinander ebenso uneins wie die Militanten.

Für den Frieden, gegen Haig

Doch in der neuen Friedensbewegung, die sich 1979 aus Protesten gegen den Nato-Doppelbeschluss entwickelt, wirken all die untereinander zerstrittenen Gruppen zusammen. Als gemeinsame Bedrohung wird die Aufstellung neuer US-Atomraketen empfunden, die eine Antwort auf die sowjetischen SS-20-Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen sein sollen. Für dieses Wettrüsten zeichnet die US-Regierung verantwortlich, deren Präsident seit Januar 1981 Ronald Reagan heißt.

Gegen die »imperialistische Kriegspolitik« treten Autonome und Antiimps unter der Devise »Krieg dem Krieg« auf den Plan. Als 1980 das 25-jährige Bestehen der Bundeswehr samt Nato-Mitgliedschaft mittels öffentlicher Rekrutenvereidigungen zelebriert wird, sorgt die Antikriegsbewegung erstmals für Schlagzeilen. Höhepunkt ist die Randale am 6. Mai am Bremer Weserstadion. In diese militante Widerstandsgeschichte reiht sich die Demonstration gegen den Besuch von US-Außenminister Alexander Haig ein, der für einen kompromisslosen Kurs gegenüber der Sowjetunion steht. Von Haig stammt der Satz: »Es gibt wichtigere Dinge, als im Frieden zu leben.«

Der Vier-Sterne-General Haig, mit Kriegserfahrung aus Korea und Vietnam, amtiert seit 1974 als Nato-Oberbefehlshaber. Aufgrund politischer Unzufriedenheit tritt er nach viereinhalb Jahren zurück. Am 25. Juni 1979, vier Tage vor seiner Verabschiedung, verübt die RAF einen Anschlag auf Haig. Die unter der Fahrbahn in einem Abwasserrohr deponierten 12 Kilo Plastiksprengstoff explodieren jedoch eine Zehntelsekunde zu spät. Von der Druckwelle wird der Mercedes des Oberbefehlshabers lediglich am Heck angehoben. Haig bleibt unverletzt und kann Anfang 1981 von Ronald Reagan ins Kabinett berufen werden.

Die Militanten reisen nach Westberlin

Gegen den Besuch des »Kriegstreibers« Haig in Westberlin am 13. September 1981 mobilisieren zahlreiche Organisationen: Autonome und antiimperialistische Gruppen haben Militante aus dem gesamten westdeutschen Gebiet zur Anreise aufgerufen. Zwar müssen die Auswärtigen befürchten, Schwierigkeiten an den Übertrittstellen der Transitstrecken zu bekommen. Doch es gibt keine Schikanen. In der Stadt finden sich viele Treffpunkte, denn Westberlin ist mit 163 besetzten Häusern ein Zentrum der Hausbesetzerbewegung.

Die angereisten Protestierenden finden sich zumeist städteweise zusammen. So werden am Morgen auf dem Weg zur Demo über 100 Militante aus Göttingen von der Polizei festgenommen. Später gibt der Ermittlungsausschuss bekannt, dass insgesamt 178 Personen im Vorfeld im Polizeigewahrsam landen. Polizeistaatliches Vorgehen prägt aber nicht das Bild. Ab und an schauen Polizisten (Polizistinnen gibt es erst ab 1983) potenziellen Demonstrant*innen in ihre Umhängetaschen, aber das ist schon alles. Die insgesamt 7000 Ordnungskräfte konzentrieren sich auf die Sicherung der Bannmeile um das Schöneberger Rathaus.

Hermetisch abgeriegelt findet nämlich dort der Staatsempfang statt, während sich bei schönstem Sonnenschein bis zu 60 000 Menschen gegen 11 Uhr am Olivaer Platz versammeln. Anmelderin der Demonstration ist die Alternative Liste, deren Spektrum eindeutig überwiegt. Dazwischen bewegen sich die wilden Gestalten der Punks und Autonomen. Etliche haben die obligatorische Lederjacke an, manche tragen Sturmhauben oder Helme. Bis zur Einführung des Vermummungsverbotes 1985 ist solche Ausrüstung legal. Die Militanten gehen oft untergehakt in Ketten, in Bezugsgruppen für sich. Es gibt keinen festen Schwarzen Block.

Auf der Budapester Straße, an der Gedächtniskirche vorbei, führt die Route auf den Tauentzien. Polizeieinheiten zeigen hier und da Präsens, aber begleiten die Demo nicht. Immer wieder scheren Grüppchen aus und sprühen Parolen an Häuserwände, bis der Winterfeldplatz erreicht ist. Hier, wo es viele besetzte Häuser gibt, beginnt die Abschlusskundgebung, während Vermummte auf dem Dach eines kleinen, einstöckigen Zweckgebäudes eine große US- und SU-Fahne zusammengeknüpft haben. Transparente mit umgedrehten Peace-Symbolen sind zu sehen. Wenig später gehen unter dem Jubel der Militanten die ausgebreiteten Fahnen in Flammen auf. Sprechchöre »Bannmeile, Bannmeile« werden laut, das rhythmische Klackern gegeneinander geschlagener Pflastersteine ist zu hören, eine weitere US-Fahne fängt Feuer. Das Adrenalin steigt.

Pflastersteine fliegen durch die Luft

Als sich 2000 Militante in der Golzstraße formieren, beeilt sich ein letzter Redner, den offiziellen Teil zu beenden. Daraufhin ziehen die meisten Friedensgruppen ab. Gleichzeitig bewegen sich die Autonomen in Richtung Bannmeile, bis die Polizei bei der Apostel-Paulus-Kirche massiv Tränengas in die Spontandemo feuert. Gas beißt in die Augen, Schmerz nimmt die Orientierung, Polizisten setzen nach, die vorderen Reihen weichen zurück. Doch die Polizisten geraten in einen massiven Steinhagel - mit dessen Schwung Militante wieder vorstürmen. Panisch flüchten Polizisten in anfahrende Wannen, Steine fliegen in die offenen Türen. Die Straßenschlacht am Winterfeldplatz beginnt.

Um eine Zufahrt zum Platz zu blockieren wird ein Bauwagen umgestürzt und angezündet. Parkende Autos werden auf die Straßen geschoben, einige auf die Seite gelegt und ebenfalls in Brand gesteckt. Aber zum Barrikadenbau ist wenig Material vorhanden. Plötzlich geht eine Haustür auf. Ein Mittvierziger ruft: »Kommt her, ich hab was für euch«. Schon findet eine komplette Wohnzimmergarnitur den Weg auf die Straße. Es folgt noch mehr Mobiliar. Die Barrikade wird angesteckt. Wasserwerfer fahren auf, Sirenen, rasende Wannen, Polizisten knüppeln und immer wieder Tränengas - und Steine. Bis in den Abend halten die Krawalle an. Später gibt die Polizei 110 Festnahmen und 60 verletzte Beamte bekannt. Eine genaue Zahl der verletzten Demonstrant*innen, von denen einige durch Knüppelschläge erhebliche Blessuren davontragen, wird nicht ermittelt.

Die Anti-Haig-Randale vom 13. September 1981 gehört zu den heftigsten militanten Angriffen gegen die US-Politik in Westberlin. Das gerät aber durch die wenige Tage später folgenden Räumungen besetzter Häuser mit dem Tod von Klaus-Jürgen Rattay und die Anti-Reagan-Demo am 11. Juni 1982 in Vergessenheit.

Erschöpfter Aktionismus

Der Wendepunkt der militanten Antikriegsbewegung ist die Krefeld-Demo am 25. Juni 1983, anlässlich des Besuchs von US-Vizepräsident George H.W. Bush. Analog zur Friedensbewegung bricht die Mobilisierungsfähigkeit mit der Stationierung der amerikanischen Cruise Missiles und Pershing-II-Raketen Ende 1983 ein. Versuche, den Aktionismus durch die Behinderung von US-Munitionszügen aus Bremerhaven weiterzuentwickeln, kommen nicht über eine Demonstration und symbolische Aktionen hinaus. Mit der Initiative »Stoppt die Nato-Herbstmanöver« erfolgt 1984 ein letzter Versuch, antimilitaristische Sabotageaktionen fortzuführen. Das aufwendige Katz- und Mausspiel mit Militär und Polizei endet für die Beteiligten frustrierend. Bis 1987 bleibt dann nur noch die Startbahn West bei Frankfurt am Main.

Aus heutiger Sicht sind viele politische Vorstellungen von damals widerlegt und überholt. Doch es wäre ein Fehler, die militante Antikriegsbewegung isoliert zu betrachten. Sie war als Teilbereichsbewegung ein Kind ihrer Zeit, ein Aktionsfeld. Hausbesetzungen, Antifa, Antipatriarchat - alles gehörte zum antiimperialistischen Kampf. Nur so lässt sich diese militante Rebellion begreifen, die ihre Spuren hinterlassen hat und für die Herausbildung linksradikalen Bewusstseins und den internationalen Kampf um die Befreiung wesentlich bleibt.

Bernd Langer ist unter anderem Autor des Standardwerks »Antifaschistische Aktion. Geschichte einer linksradikalen Bewegung«, inzwischen in der dritten aktualisierten und erweiterten Auflage beim Unrast-Verlag erschienen.

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