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  • Rechte Gewalt gegen Journalisten vor Gericht

Nachlässig ermittelt

Prozess gegen Neonazis in Mühlhausen: Berichte von Polizisten offenbaren dilettantisches Vorgehen

  • Joachim F. Tornau, Mühlhausen
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach seiner Vernehmung steht der Polizeibeamte vor dem Gerichtssaal und unterhält sich angeregt mit Wolfram Nahrath. Der extrem rechte Rechtsanwalt, bis zum Verbot 1994 Vorsitzender der neonazistischen Wiking-Jugend und bekannt dafür, in seinen Plädoyers Adolf Hitler oder Joseph Goebbels zu zitieren, verteidigt im sogenannten Fretterode-Prozess den Angeklagten Nordulf H.

Der 22-Jährige ist der Sohn des einflussreichen stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden und Neonazikaders Thorsten Heise und muss sich derzeit wegen eines brutalen Angriffs auf zwei Journalisten vor dem Landgericht in Mühlhausen verantworten. Zusammen mit seinem Kameraden Gianluca B. (27) soll er die beiden Rechercheure, die an Heises Anwesen in dem westthüringischen Dörfchen Fretterode fotografiert hatten, erst mit dem Auto gejagt, sie dann mit Traktorschraubenschlüssel, Baseballschläger und Messer schwer verletzt und ihnen schließlich die Kameraausrüstung geraubt haben.

Am Montag vernahm die Strafkammer des Landgerichts Mühlhausen vier Polizeibeamte, die am Tattag im April 2018 im Einsatz waren. Der 42-Jährige, der nach seinem Zeugenauftritt beim Plausch mit dem Rechtsaußen-Verteidiger beobachtet werden konnte, ist der erste von ihnen. Gemeinsam mit einem Kollegen war er nach dem Vorfall zum Hause Heise beordert worden, um den BMW im Blick zu behalten, mit dem die Angeklagten ihre Opfer verfolgt und den sie anschließend wieder in Fretterode geparkt hatten.

Aus sicherer Distanz sahen die Streifenbeamten zu, wie immer wieder Dinge aus dem Wagen geholt wurden, griffen aber nicht ein. »Da wurden möglicherweise Beweismittel entnommen«, konstatierte Nebenklageanwalt Sven Adam und fragte: »Haben sie das per Funk weitergegeben?« Der Zeuge verneint. Ob er Fotos gemacht habe? - »Negativ.« Und warum nicht? Er glaube, sein Kollege und er hätten nur das Wegfahren des Autos verhindern sollen, sagte der Beamte. Das sei für ihn »gefühlt der Auftrag« gewesen.

Sein Kollege spricht sogar von einem »Befehl«, nicht auf das Grundstück zu gehen: »Wir hatten nicht die Anweisung, da in irgendeiner Weise einzuschreiten.« Wie es ihnen gelang, eine der Personen, die sich an dem Fahrzeug zu schaffen machten, in ihrem Bericht als »Mieter« Heises zu identifizieren, können beide Polizisten nicht erklären. Angesprochen hätten sie den Mann nicht.

Zwei weitere Polizisten, die zur selben Zeit auf dem Anwesen Heises nach den Tatverdächtigen suchten, hätte die Information, dass ein Mann am Tatfahrzeug aufgetaucht war, eigentlich interessieren müssen. Doch sie wussten davon offenbar nichts. »Wir haben im Haus nur weibliche Personen angetroffen«, berichtet ein Polizeioberkommissar. Außer diesen Frauen seien sie nur noch Thorsten Heise begegnet, der ihnen bereitwillig Zugang zum Grundstück gewährt habe: »Er war sehr gefasst und nicht im mindesten beunruhigt oder aufgeregt.«

Die Lebensgefährtin von Gianluca B. hatte der Polizei zuvor noch verboten, das Gelände zu betreten. Sie führte die Beamten offenbar auch erfolgreich in die Irre, indem sie behauptete, ihr Freund sei nicht zu Hause, sondern entweder nebenan bei Heises oder irgendwo anders. »Das war alles sehr vage, und man merkte, dass es vage bleiben sollte«, erinnert sich der Polizist. Auf die Idee, das von B. und seiner Freundin bewohnte Nebengebäude zu durchsuchen, kamen er und sein Streifenkollege trotzdem nicht. Sie beschränkten sich auf die - vergebliche - Durchsuchung des von Thorsten Heise und seiner Familie bewohnten Gutshauses.

Befragt von der Verteidigung, spricht der Beamte über die grundsätzliche Lage in Fretterode, über »Gefährdungen« des Heiseschen Anwesens, über »Auseinandersetzungen von rechts und links«, über gelegentliche »Ansammlungen von Personengruppen« vor dem Haus, die die Polizei mit der Göttinger Antifa in Verbindung bringe. Wer für Probleme in dem Dorf verantwortlich ist, scheint für ihn außer Frage zu stehen. »Die Gegenseite«, sagt der Polizist und meint damit die Antifa, die »immer darauf bedacht« sei, »gewisse Scherereien anzurichten«. Und Thorsten Heise? Er habe den Beamten gesagt, sie müssten sich nicht kümmern, »er regele das selbst«. Mitunter schaue man aber auch selbst vorbei, zur Gefahrenabwehr.

Und was eigentlich hatte der am Morgen vernommene Kollege im Flurgespräch mit Rechtsanwalt Nahrath zu bereden? Die Anwälte der als Nebenkläger auftretenden Journalisten wollen da etwas aufgeschnappt haben: »War das in Ordnung, was ich gesagt habe?«, soll der Beamte gefragt haben. Es wäre ein Satz, der, vorsichtig formuliert, die eine oder andere Frage nach Nähe und Distanz aufwerfen könnte. Ob der Satz wirklich so gefallen ist und, wenn ja, in welchem Kontext, bleibt indes unerörtert. Die Ermittlungsarbeit der Polizei aber steht nach diesem siebten Verhandlungstag auch so schon nicht im allerbesten Licht da. Für das Verfahren sind mittlerweile weitere Prozesstage bis in den Dezember angesetzt.

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