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  • AfD und die Bundestagswahl

Rechtsruck aus der Mitte

Die Leipziger Forscherin Fiona Kalkstein über Motive, die AfD zu wählen - und Strategien dagegen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.

nd: Bei der Bundestagswahl war die AfD in Sachsen mit 24,6 Prozent deutlich stärkste Partei, verlor aber 62 000 Stimmen. Ist sie Gewinnerin oder Verliererin der Wahl?

Kalkstein: Sie hat gegenüber der Wahl 2017 etwas verloren, aber trotzdem die höchsten Stimmanteile erzielt. Insofern ist sie beides.

Interview

Die Sozialpsychologin Fiona Kalkstein (Jahrgang 1985) ist stellvertretende Leiterin des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts an der Universität Leipzig, das 2020 gegründet wurde, um die demokratisch engagierte Zivilgesellschaft in Sachsen zu unterstützen. Ein Schwerpunkt der Forschungen sind demokratiefeindliche Einstellungen und Strukturen in Sachsen.

Seit 2017 lag sie hier bei Bundes-, Landtags- und Europawahlen zwischen 25 und 27 Prozent. Ist ihr Potenzial ausgereizt?

Wir gehen in unserer Forschung davon aus, dass eine autoritäre gesellschaftliche Dynamik sich weiter entfalten kann, wenn ihr nichts entgegen gesetzt wird. Wir wissen außerdem, dass ein beträchtlicher Teil der Gesellschaft latente antidemokratische und menschenfeindliche Einstellungen vertritt, die sich weiter radikalisieren können.

Welche Menschen spricht die AfD an?

AfD-Wähler sind häufig männlich und im mittleren Alter. Rund 60 Prozent sind Angestellte; nur drei Prozent Arbeitslose. Ihr Einkommen liegt eher im oberen Durchschnitt. Die Menschen, die AfD wählen, gehören also zur Mitte der Gesellschaft. Zugleich haben 17 Prozent von ihnen ein geschlossen rechtsextremes Weltbild.

Den höchsten Zuspruch gibt es in Sachsen und angrenzenden Regionen. Was treibt Menschen dort zur AfD?

Wir haben nach der Landtagswahl 2019 in Sachsen Daten erhoben. Sie zeigen, dass die AfD dort profitiert, wo der Frauenanteil gering und die Abwanderung stark ist, die Infrastruktur ausgedünnt und die Arbeitslosenquote hoch.

… wobei kaum Arbeitslose AfD wählen.

Richtig. Anscheinend wird Arbeitslosigkeit im persönlichen Umfeld als besondere Bedrohung erlebt.

Welche Rolle spielen die starke Abwanderung nach 1990 und der nun hohe Altersdurchschnitt in vielen dieser Regionen?

Wenn viele jüngere Menschen, die mehr Vielfalt wollen und alternative Lebensentwürfe pflegen, eine Region verlassen, ist das für die demokratische Zivilgesellschaft nicht gut. Die autoritäre Dynamik kann sich entfalten, verfestigen und hegemonial werden.

Abwanderung, Arbeitslosigkeit und fehlende Infrastruktur gibt es auch anderswo in Ostdeutschland. Warum ist die AfD dort weniger dominant als im Südosten?

Ein Faktor ist sicher, dass rechte Einstellungen in Sachsen lange verharmlost wurden. Die politische Devise hieß: Sachsen ist immun gegen Rechtsextremismus. Für Rechte aus dem gesamten Bundesgebiet war das ein attraktiver Ort, um ungestört Strukturen aufzubauen.

Marko Wanderwitz, CDU-Mann aus Sachsen und Ostbeauftragter der Bundesregierung, führt die AfD-Resultate auf eine bei vielen Ostdeutschen fortwirkende »Diktatursozialisierung« zurück. Trifft das zu?

Nein. Laut unseren Umfragen befürworten 90 Prozent der Ostdeutschen demokratische Ideen. Sie sind aber unzufrieden mit deren Umsetzung. Es ist zu einfach zu sagen: Es gab eine Diktatur, und jetzt sind die Menschen verloren für die Demokratie. Was sicher unglücklich lief, ist das Ineinandergreifen von Erfahrungen vor und nach der Wende. Die ersten Erfahrungen, die viele Menschen mit der westlichen Demokratie gemacht haben, waren nicht positiv, weil sie zum Beispiel vom Verlust der Arbeit überlagert wurden. So etwas prägt Haltungen.

Wanderwitz meint auch, nur ein geringer Teil der AfD-Wähler sei »potenziell rückholbar«. Wie verfestigt ist die Bindung?

Etwa ein Fünftel der AfD-Wähler hat ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild, mit denen kann man sicher nicht arbeiten. Und viele Wähler*innen vertreten einzelne Dimensionen rechter Ideologien. Ausländerfeindliche Einstellungen sind dort sehr verbreitet. Aber es sind nicht alle Wähler so extrem rechts, wie es die Partei ist. Das Problem ist: Das stößt sie auch nicht ab. Sie sind zwar nicht der Meinung, die NS-Diktatur sei »nur ein Vogelschiss« in der deutschen Geschichte, aber meinen doch, die Forderung nach einem Schlussstrich sei nicht verkehrt. Dennoch bin ich der Ansicht, dass es im Wesentlichen eine Frage der Hegemonie ist, welche Partei sie wählen. Die haben davor ja auch andere Parteien gewählt. Es muss gezielt und mit einem Bündel an Strategien gegen rechte Hegemonien vorgegangen werden.

Welche sollten das sein?

Demokratische Strukturen vor Ort müssen gestärkt werden und zivilgesellschaftliches Engagement attraktiv sein. Es darf nicht passieren, dass Initiativen, die sich gegen rechte Strukturen wenden, kriminalisiert werden. Und es müssen Erfahrungen aus der Zeit nach der Wende gesellschaftlich aufgearbeitet werden. Die AfD ist sehr geschickt darin, negative Gefühle aus der Nachwendezeit für sich zu nutzen.

Auch bei U18-Wahlen in Ostsachsen ist die AfD stärkste Kraft geworden. Wird sich das Problem »auswachsen«?

Nein, das wird es sicher nicht. Es ist gefährlich, wenn junge Menschen in einem autoritär rechten Milieu aufwachsen. Sie werden davon geprägt. Das unterstreicht noch einmal die Bedeutung einer lokalen Zivilgesellschaft und kultureller Angebote vor Ort.

Eine Veränderung politischer Einstellungen braucht viel Zeit. Wo fängt man an?

Die »Gegenseite« muss gestärkt werden, also Menschen, die sich zivilgesellschaftlich engagieren. Sie brauchen Raum und müssen von der Politik gefördert und geschützt werden, denn sie sind Angriffen ausgesetzt. Wir sprechen mit vielen Menschen, die im ländlichen Raum aktiv sind. Sie alle erzählen, wie Menschen sich engagieren und dann weggezogen sind, weil sie keine Kraft mehr haben, Anfeindungen nicht mehr aushalten und sagen: Ich will ein normales Leben führen. Wenn das aber passiert und solche Menschen weggehen - dann können sich rechte Dynamiken ungehemmt entfalten. Das gilt es zu verhindern.

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