Stilles, lautes Gedenken an Kevin und Jana

Halle gedenkt der Opfer des Terroranschlags und vereitelt einen Aufmarsch von Rechtsextremen

  • Max Zeising, Halle
  • Lesedauer: 3 Min.

Reiner Haseloff senkte den Kopf, schloss Augen und Hände. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, gläubiger Katholik, nahm eine Bethaltung ein, als er am Samstagmittag von einer größeren Schar Bürger umringt vor der Synagoge in Halle stand und der Opfer des Terroranschlags vom 9. Oktober 2019 gedachte. Vor zwei Jahren hatte ein Attentäter versucht, in das Gotteshaus einzudringen - nachdem er an der Tür gescheitert war, ermordete er zwei Menschen. Ungefähr dort, wo der zu lebenslanger Haft verurteilte Mann die Passantin Jana Lange tötete, rief Haseloff nun in seiner Rede dazu auf, »eine rote Linie des Anstands zu ziehen«. Ein einträchtiges Bild.

Selbstorganisiertes Gedenken am Abend

Wenig später am »Kiez-Döner« - dem zweiten Anschlagsort, wo der Attentäter den erst 20-jährigen Kevin Schwarze in dessen Mittagspause ermordete - war es dann schon vorbei mit der Harmonie. Auch hier wurden, wie an der Synagoge, Kränze niedergelegt. Rundherum standen Menschen, die das Gedenken in dieser Form eher kritisch beäugten, dem Betenden »Scheinheiligkeit« vorwarfen. Als Haseloff den Platz verließ, warfen ihm Mitglieder der »Soli-Gruppe« des »Kiez-Döners« noch ein paar deutliche Worte hinterher: »Wir werden Sie jeden Tag daran erinnern, Herr Haseloff!«

Der Ministerpräsident ist bei manchen Betroffenen, so bei Imbissbetreiber İsmet Tekin, in Ungnade gefallen, weil er sich zu wenig um deren Bedürfnisse kümmere. Am Abend bei der Kundgebung der Initiativen »Migrant Voices« und »Niemand wird vergessen« am Steintor, ganz in der Nähe der Anschlagsorte, konkretisierten die Mitglieder der »Soli-Gruppe« ihre Verärgerung: Man könne sich auf den Staat nicht verlassen, deshalb müsse man die Dinge selbst in die Hand nehmen. Den Umbau des »Kiez-Döners«, aus dem das Frühstückscafé »Tekiez« und ein Gedenkort werden soll, habe man selbst organisiert. Zugleich bedauerte die »Soli-Gruppe«, sie wisse immer noch zu wenig über die beiden Todesopfer des Anschlags, Schlager-Liebhaberin Jana und Fußballfan Kevin.

Das offizielle Gedenken fiel diesmal deutlich kleiner aus. Im vergangenen Jahr war noch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Besuch, es gab eine große Trauerfeier in der Ulrichskirche. Doch Valentin Hacken vom Bündnis »Halle gegen Rechts« sieht in dieser Entwicklung nicht etwa die Gefahr einer schleichenden Verwässerung, sondern: »Es gibt heute an diesem 9. Oktober zahlreiche Kundgebungen, viele verschiedene Dinge passieren im öffentlichen Raum. Es gibt nicht die eine große Veranstaltung«, sagt er. Seiner Erfahrung zufolge »werden diese großen Events inhaltlich oftmals nicht dem gerecht, worum es eigentlich geht. Wir hatten etwa ein Konzert auf dem Marktplatz, bei dem inhaltlich kaum etwas gesagt wurde.«

Ausstellung lässt Betroffene sprechen

Am späten Nachmittag bekam das Gedenken dann eine ganz praktische Form: Der stadtbekannte Neonazi Sven Liebich veranstaltete am Friedemann-Bach-Platz eine Kundgebung. Eine angemeldete Blockade von rund 300 antifaschistischen Demonstranten verhinderte, dass er und seine etwa 40 Kameraden durch die Innenstadt marschieren konnten. Auf Rammsteins »Deutschland« aus Liebichs Boxen antworteten die Antifaschisten mit »Atombombe auf Deutschland« von der Antilopen Gang - irgendwie auch eine skurrile musikalische Mischung an diesem Tag. Als Liebich entnervt aufgab, kündigte er weitere Demonstrationen an, etwa im Paulusviertel. Dort steht die Synagoge.

Deutlich ruhiger ging es im »Künstlerhaus 188« zu, wo Talya Feldman, die sich zum Zeitpunkt des Anschlags in der Synagoge befand, in einer Installation die Kontinuitäten rechten Terrors von 1979 bis heute untersucht. An herunterhängenden Netzen sind Mobiltelefone angebracht, auf denen Sprachaufnahmen von Überlebenden rechter Gewalt sowie von Familien der Terroropfer und Initiativen zu hören sind.

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