Eine Schicht Zuckerguss liegt über allem

»Résistance« will kein biografischer Film über den französischen Pantomimen Marcel Marceau sein, hält sich aber an die wichtigen Eckdaten seines Lebens

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.

Ein Künstler, der zum Widerstandskämpfer wird, obwohl er von seinem Naturell her genau zum Gegenteil neigt: ein völlig mit sich beschäftigter junger Mann in Straßburg, wo er als Sohn eines jüdischen Metzgers und Vorbeters der Gemeinde aufwächst.

Das ist tatsächlich eine Geschichte, die einmal erzählt werden sollte. Zumal Marcel Marceau, um ihn geht es im Film »Résistance«, ein die Geschichte der DDR von Anfang an begleitender Künstler war, der noch bis kurz vor seinem Tod 2007 bevorzugt durch die ostdeutschen Bundesländer tourte.

Doch was so naheliegend scheint, entpuppt sich als schwieriger als gedacht. Denn Marceau, der schon als Junge auffällig introvertiert war, sprach wenig – so revolutionierte er dann auch als Pantomime später die Kunst, ohne Worte, nur mit Körper und Gesten. Er stand ganz unter dem Eindruck von Charlie Chaplin und Buster Keaton. Woher nahmen diese bloß die Intensität ihres Ausdrucks, so fragte er sich.

1951 drehte die Defa sehenswerte Kurzfilme mit Marcel Marceau, unter anderem zu seiner Adaption von Gogols »Der Mantel« (auf Youtube kann man davon einen Eindruck bekommen). Brecht und Beckett waren gleichermaßen von ihm fasziniert, ließen sich in ihrer eigenen Ästhetik von Marceau beeinflussen, so Beckett beim wortlosen Schluss seines »Endspiels«. Damit ist der Rahmen abgesteckt für die Bedeutung Marcel Marceaus als Weltkünstler. Dass er zudem als junger Mann in der Résistance eine wichtige Rolle gespielt hat, wussten nur jene, die seine Erinnerungen gelesen hatten. Ein starker Kontrast also prägt seine Persönlichkeit, aus der Forderung der Geschichte an ihn erwachsend. Erst zögernd, aber dann rückhaltlos stellt er sich ihr.

Auf diese Entwicklungsgeschichte Marceaus also durfte man gespannt sein, zumal »Résistance – Widerstand« eine Co-Produktion aus Frankreich, Deutschland, den USA und Großbritannien ist. Doch schon beim deutschen Verleih-Titel stutzt man. In der Originalfassung heißt der Film noch schlicht »Résistance«, hierzulande setzte man ein »Widerstand« dazu. Offenbar hat man keinerlei Zutrauen zur Bildung mehr, sodass man die Erklärung gleich noch hinzufügt. Doch wer nicht weiß, was die Résistance überhaupt war, wie soll sich so jemand für die Jugend des Pantomimen Marcel Marceau interessieren?
Man hört hier förmlich die Einwände von PR- und Vertriebsbereichen der Filmproduktion: Bloß nicht so viele geschichtliche Details, keine widersprüchlichen Charaktere, dafür mehr Liebe und Schmerz, mehr glücklich gerettete Kinder, mehr Actionszenen!

So ist »Résistance« dann auch geworden, in der Regie des Venezolaners Jonathan Jakubowicz, der bislang mit eher simplen Actionfilmen wie dem Boxerfilm »Hands of Stone« oder »Secuestro Express« hervortrat. Auch hier lautet nun das dramaturgische Grundprinzip: Die Guten fighten gegen die Bösen! Differenzierte Geschichten zu erzählen, wird so unmöglich.

Jesse Eisenberg spielt Marcel Marceau. Ein freundlicher Schauspieler, ein offensichtlicher Sympathieträger. Er kann einem leidtun, dass er hier nicht einmal ausprobieren darf, ob er dem komplizierten Charakter Marceaus gerecht zu werden vermag. Dafür aber muss er berühmt gewordene Pantomimeszenen nachspielen (wie jene, wo dessen bloßes Pusten auf sein Gegenüber wie ein Sturm wirkt). Da ist er chancenlos. Hier ist offensichtlich jemand, der viel lieber reden würde, als seinen Körper zu verrenken. Der »Schrei der Stille«, als den Marceau später seine Pantomime bezeichnen wird, findet nicht statt.

Die Grundanlage dieses Films also stimmt nicht, rutscht von Anfang an ab ins Sentimentale, in die äußere Bebilderung eines grausamen Geschehens. Denn obwohl »Résistance« kein biografischer Film über Marceau sein will, hält er sich doch an die wichtigen Eckdaten seines Lebens. Dass er ab 1943 dabei half, dreimal Gruppen von jüdischen Kindern in die Schweiz zu bringen, ist authentisch. Auch dass er wegen seiner Englischkenntnisse Verbindungsoffizier zur US-Army unter General George S. Patton wurde.
Aber warum muss jener General Patton (Ed Harris) gleichsam den Rahmen des Films bilden? Vor versammelter Truppe erzählt dieser zu Beginn die Heldengeschichte des Untergrundkämpfers Marceau, die wir dann erst noch sehen. Und am Ende kommt Jesse Eisenberg auf die Bühne, wo eben noch der General stand, und zeigt eine der kunstvollen Pantomimen des stets weiß wie der Tod gekleideten Marceau. Die Soldateska wohnt der Darbietung mit Fassung bei, obwohl sie sicherlich ein anderes Unterhaltungsprogramm bevorzugen würde.

Nein, die Nuancen stimmen keinesfalls. Dazu gehört auch die Filmmusik von Angelo Milli, der, wie es heißt, »überwiegend mit Streichern« arbeitet. Mit anderen Worten: Eine Schicht Zuckerguss liegt über allem. Man spürt jederzeit den Willen, zu gefallen, alles richtig zu machen: Es ist wie eine müde Hollywood-Variation auf Roberto Benignis »Das Leben ist schön« von 1997. An dem schieden sich noch die Geister, denn angesichts des Todes den Clown zu spielen, hat Größe. Aber hier?

Matthias Schweighöfer, sonst der softe Sonnyboy des deutschen Films, ist mit seiner Produktionsfirma beim Film dabei und übernimmt, wohl um zu beweisen, dass er auch anderes spielen kann, die Rolle des Gestapo-Chefs von Lyon, Klaus Barbie, des »Schlächters von Lyon«. Dieser war selbst für einen Nazikriegsverbrecher ein spezieller Fall: ein Sadist, der seine Opfer gern persönlich folterte und darin offensichtlich erfindungsreich war. So erfindungsreich, dass britische und US-amerikanische Geheimdienste ihn nach dem Krieg schützten und bis Mitte der 50er Jahre als Experten beschäftigten. Auch für den BND arbeitete er 1966, aber nur ein knappes Jahr, dann entließ man ihn. In Bolivien wurde er Berater des Diktators Hugo Banzer Suárez, dessen Jagd auf Che Guevara er mit organisierte. In Frankreich war er nach dem Krieg in Abwesenheit gleich mehrfach zum Tode verteilt worden. Ein moralisch degeneriertes Monster – oder aber ein kalter Folterspezialist, der immer neue Auftraggeber fand?

Matthias Schweighöfer macht ihn zum SS-Dandy, der mit einem Glas Cognac in der einen Hand mit der anderen Klavier spielt und, während er sich dabei nur kurz unterbricht, mit sardonischem Lächeln Menschen erschießt.

Das hat nichts Aufschließendes, wir wissen nach diesem Film nicht mehr über die Résistance, nicht mehr über Marcel Marceau oder den Terror der SS in Frankreich. Auch über die geretteten Kinder erfahren wir im Grunde nichts. Es ist eben nur ein weiterer durchschnittlicher Unterhaltungsthriller, der sich der Geschichte realer Figuren erst bemächtigt, um sie dann desinteressiert liegen zu lassen.

Da wird es Zeit für ein Kontrastprogramm, etwa »Die Unsichtbaren« von Claus Räfle, der auch als DVD erhältlich ist. Wahre Geschichten über in Berlin 1943 abgetauchte Juden, von diesen selbst nach sieben Jahrzehnten erzählt. Das ist eine lehrreiche Geschichtsstunde, die auch als Film hervorragend funktioniert.

»Résistance – Widerstand«: Frankreich/USA/ Deutschland/UK 2020. Regie und Buch: Jonathan Jakubowicz. Mit: Jesse Eisenberg, Ed Harris, Matthias Schweighöfer, Clémence Poésy, Bella Ramsey. 122 Min. Start: 14. Oktober.

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