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  • Impfdebatte in der NBA

Denkt doch nur an Tuskegee!

Schwarze US-Basketballer lassen sich nicht impfen und begründen ihre Skepsis auch mit der Geschichte der Sklaverei. Andere Afroamerikaner kritisieren das

Es ist alles durchgeplant. Für den Start ihrer Jubiläumssaison hat die National Basketball Association (NBA) nicht nur ein Werbevideo mit fast allen aktuellen und ehemaligen Basketballstars dieser Welt gedreht. Sie änderte sogar ihr Logo – die berühmte Silhouette der Lakers-Legende Jerry West wird für ein Jahr inmitten eines Diamanten gezeigt, schließlich wird der 75. Hochzeitstag im Amerikanischen als diamanten-goldenes Jubiläum gefeiert. Das Auftaktspiel sollte zudem ein besonderes Highlight werden: Der Meister Milwaukee Bucks empfängt die hochkarätig besetzten Brooklyn Nets aus New York. Doch vor der Partie an diesem Dienstagabend spricht kaum jemand über die Stars Kevin Durant, James Harden oder Giannis Antetokounmpo, sondern nur über den einen, der fehlen wird: Kyrie Irving.

Der 29-jährige gewann 2014 den WM-Titel, 2016 folgten erst die NBA-Meistertrophäe mit Cleveland und danach der Olympiasieg im Trikot der USA. Gemeinsam mit Durant und Harden sollte er nun für die Nets endlich die erste Meisterschaft holen. Doch daraus wird erst einmal nichts, denn Irving ist der berühmteste jener geschätzt fünf Prozent großen Gruppe von NBA-Spielern, die sich gegen eine Coronaimpfung entschieden haben. Er ist zudem der einzige, der deswegen die ganze Saison verpassen und eine Millionengage verlieren dürfte.

Während sich die allermeisten Impfskeptiker einfach täglich testen lassen, gelten in New York striktere Regeln. Die Stadt erlaubt nur Geimpften den Zutritt zu Sporthallen. Irving dürfte also theoretisch nur bei Auswärtsspielen dabei sein, doch die Nets fürchten, daran könnte das Teamgefüge auseinanderbrechen, also untersagten sie Irving vor knapp einer Woche komplett, »mit dem Team zu spielen oder zu trainieren, bis er voll spielberechtigt ist«. Laut NBA-Vertrag wird er für kein Spiel bezahlt, für das er nicht spielberechtigt ist. 15 Millionen US-Dollar (13 Millionen Euro) würde Irving verlieren, sollte er sich nicht impfen lassen.

Nun wird der in Australien geborene Spielmacher davon nicht arm. Seit seinem Debüt in der besten Liga der Welt hat er knapp 160 Millionen Dollar verdient, ärgern tut es ihn trotzdem. »Glaubt ihr wirklich, ich bleibe gern zu Hause? Glaubt ihr wirklich, ich verliere gern Geld, anstatt mit meinen Kameraden nach dem Titel zu jagen? Kommt schon!«, antwortete er vergangene Woche in einer Instagram-Live-Übertragung auf Kommentare von Fans, die ihn drängten, sich doch endlich impfen zu lassen.

Die Todesstudie von Tuskegee

Der Druck auf Irving, auch von diversen Medienvertretern, ist enorm, doch er hält ihm stand. Er sei kein Impfgegner, behauptet er, aber »kein Mensch sollte gezwungen werden, irgendetwas mit seinem Körper zu machen. Ob du dich impfen lässt oder nicht, ich unterstütze dich!« Da Irving in der Vergangenheit schon als Flat-Earther aufgefallen war, der die Welt als Scheibe sieht, sehen die meisten Beobachter in ihm jedoch einen Mann mit Hang zu Verschwörungstheorien. So werden er und alle anderen Spieler ohne Impfung schnell als Spinner abgetan – doch das lässt eines unbeachtet. Obwohl auch weiße Spieler unter den vermutlich 30 bis 40 Ungeimpften sein können, wurden bislang nur Namen von Schwarzen genannt: Irving, Jonathan Isaac, Bradley Beal, Michael Porter und ein paar andere. Genau diese Bevölkerungsgruppe aber hat in den USA sehr schmerzliche Erfahrungen mit rassistischen Medizinern gemacht. Auch das trägt ganz unabhängig von Verschwörungstheorien zur aktuellen Impfskepsis bei.

Eines der schrecklichsten Beispiele ist ein Experiment, bei dem das US-Gesundheitsministerium im Jahr 1932 etwa 400 ungebildete schwarze Landarbeiter, die sich mit Syphilis infiziert hatten, in Tuskegee, Alabama anstellte. Über 40 Jahre hinweg wurden sie beobachtet, wie sie vermeidbare Tode starben. Selbst als ein Heilmittel gefunden war, wurden die Erkrankten nicht informiert – um die Studie zu verlängern. Erst 1997 entschuldigte sich Präsident Bill Clinton für dieses dunkle Kapitel seines Landes. »Wenn Schwarze gefragt werden, warum sie Ärzten nicht trauen, sprechen sie oft zuerst über Tuskegee« sagte Geschichtsprofessorin Rana Hogarth jüngst der »USA Today«. »Doch Tuskegee ist erst der Anfang.« Oder das Ende, wenn man es chronologisch betrachtet.

Zu Zeiten der Sklaverei wurde Schwarzen Essen oder Medizin zwangsweise verabreicht, um sie für die Arbeit fit zu halten. Manchmal wurden ihnen Flüssigkeiten als Strafe für Fluchtversuche eingeführt, an denen sie jämmerlich zugrunde gingen. Andere Weiße sahen Sklaven belustigt dabei zu, wie sie sich übergeben mussten, nachdem ihnen Ärzte entsprechende Mittel gegeben hatten.

Niedrige Impfquoten unter Schwarzen

Jahrhundertelang wurden Friedhöfe der Schwarzen entehrt, als Leichen wieder ausgegraben wurden, um weißen Medizinstudenten als Lehrobjekte zu dienen. Erst einmal ausgebildet, führten die dann Kaiserschnitte ohne Betäubung durch. Oft starben die Mutter, das Kind oder beide bei den Eingriffen. Auch Zwangssterilisierungen waren bis ins 20. Jahrhundert nicht unüblich, berichtet Sharla Fett, eine weitere Geschichtsprofessorin aus Los Angeles. »Wie kann jemand nach solchen Erlebnissen noch Medizinern trauen?«, fragte sie.

Kyrie Irvings Tante Tyki erwähnte jüngst die Tuskegee-Studie, als sie danach gefragt wurde, warum ihr Neffe die Impfung wohl ablehne. Außerdem seien da noch all die weißen Ärzte, allen voran US-Chefvirologe Anthony Fauci, den sie als »Dr. False-y« (Dr. Falsch) beschimpfte, die jeden von einer Impfung überzeugen wollten, obwohl man die doch gar nicht brauche.

Die Impfquote ist unter Afroamerikanern am niedrigsten. Dabei sind sie prozentual am häufigsten Opfer von Corona, da sie durchschnittlich weniger verdienen, in kleineren Wohnungen leben und in Jobs arbeiten, in denen es keine Homeoffice-Angebote gibt. Ihr Ansteckungsrisiko ist also signifikant höher, die Todesraten ebenso, dennoch stagnieren die Impfquoten, in manchen Bundesstaaten liegen sie unter 50 Prozent.

Natürlich gibt es auch viele Impfbefürworter unter den Schwarzen im Land – und in der NBA, sie wird schließlich seit Jahrzehnten von Schwarzen dominiert und gut 95 Prozent der Liga ist voll geimpft. Der lauteste Fürsprecher ist Kareem Abdul-Jabbar, Starspieler in den 70er und 80er Jahren, Gewinner von sechs NBA-Titeln und noch immer mit großem Abstand der erfolgreichste Punktesammler aller Zeiten. »Wir sind doch alle miteinander verbunden. Und mit der Impfung schützen wir uns gegenseitig. Deshalb schockt es mich, dass so viele Menschen, besonders People of Color, die Impfung nur als persönliche Angelegenheit ansehen. Als eine Art Vorliebe, so wie, ob man Zwiebeln auf dem Burger will oder nicht«, schrieb der 73-Jährige in seinem Blog.

Legende fordert Ausschluss Ungeimpfter

Er verstehe das Zögern derer, die in der Vergangenheit vom Gesundheitssystem missbraucht wurden, »aber es wurde längst genug wissenschaftlich dokumentiert, um dies für den Moment hinter uns zu lassen. Wir dürfen nie vergessen. Diese Erlebnisse schärfen unser kritisches Denken, so dass wir nichts blind akzeptieren. Aber das bedeutet nicht, dass wir etwas blind ablehnen sollten.« Athleten mit einer großen Fanbasis – wie jene in der NBA – die immer noch sagen, sie müssten sich mit dem Thema noch mehr beschäftigen, zeigten damit nur, dass sie sich noch gar nicht damit beschäftigt hätten, meint Abdul-Jabbar. »Und damit bestätigen sie nur das rassistische Vorteil vom dummen Sportler, der das alles nur fürs Geld macht.«

Der ehemalige Center mit dem nicht zu stoppenden Hakenwurf spricht sich mittlerweile dafür aus, alle ungeimpften Spieler auszuschließen, um Gegner, Schiedsrichter, Trainer und deren Kinder zu schützen: »Sie haben die freie Wahl, sich nicht impfen zu lassen. Aber dann sollten sie auch die Saison aussetzen. Denn sie haben bereits bewiesen, dass sie keine Teamplayer sind.«

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