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  • Ausbeutung in Italiens Landwirtschaft

Blutiges Gemüse

Die mafiöse Produktion von Lebensmitteln kostet Menschenleben. Als ein Schlüssel im Kampf gegen das System gilt gewerkschaftliche Organisation

  • Johanna Montanari
  • Lesedauer: 4 Min.

Fast zwei Drittel der italienischen Agrar- und Lebensmittelexporte gehen in Länder der Europäischen Union. Gewerkschaftsaktivist Kone Brah Hema nimmt sich in der Publikation »Der Kampf der Landarbeiter*innen in Italien« dem Elend im italienischen Landwirtschaftssektor an. Das Brüsseler Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat die Publikation im August 2020 veröffentlicht. Die Projektmanager der Stiftung in Brüssel, Florian Horn und Federico Tomasone, legen gleich im Vorwort dar, dass der Text, der noch vor der Corona-Pandemie fertiggestellt wurde, nichts von seiner Aktualität verloren hat. Denn die Pandemie habe nicht nur die Ungleichheit verstärkt, sondern auch die Frage von Land, Landwirtschaft und vor allem Landarbeit wieder sichtbarer gemacht.

In Italien wird das System des modernen Lebensmittelhandels »grande distribuzione organizzata« (GDO) genannt: der organisierte Großhandel. »Assoziationen mit der Organisierten Kriminalität sind nicht beabsichtigt, aber die mafiösen Strukturen in diesem System sind auch kein Geheimnis«, schreiben Horn und Tomasone im Vorwort.
Große Lebensmittelkonzerne und Supermarktketten drücken im globalisierten Wettbewerb die Preise extrem, wobei alles jederzeit verfügbar sein muss. Insbesondere die Betreiber kleiner und familiengeführter landwirtschaftlicher Betriebe leiden, da sie nicht mehr die Möglichkeit haben, ihre Produkte zu einem fairen Preis zu verkaufen und ein angemessenes Einkommen aus ihrer Tätigkeit zu erzielen. Die, die am meisten darunter zu leiden haben, sind jedoch die Tagelöhner*innen auf den Feldern, die ohne sozialen Schutz ausgebeutet werden und in katastrophalen Zuständen hausen. Dieses Elend, stellt Kone Brah Hema dar, ist eine Konsequenz des Freihandels, der die Rahmenbedingungen einer in EU- und Weltmarkt integrierten Landwirtschaft setzt, dabei Regeln und Standards beseitigt und alles auf maximalen Profit ausrichtet.

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Laut Brah Hema ist das Phänomen der illegalen Arbeitsvermittlung durch Zeitarbeitsfirmen, das in Italien Caporalato genannt wird, im Obst- und Gemüsesektor besonders verbreitet. Es handelt sich zumeist um sogenannte Grauarbeit, nicht vollständig inoffiziell, aber eben auch nicht legal. Meist werden die Arbeiter*innen nur auf Tagesbasis angestellt und weit unter Mindestlohn bezahlt.

Das Caporalato-System der Ausbeutung setze sich trotz verschiedener Gesetzesinitiativen insbesondere aufgrund von mangelnder Kontrolle fort, schreibt Brah Hema. Die offiziellen Daten zu dieser Form der Ausbeutung seien zwar nur begrenzt aussagefähig, doch klar sei, dass das Phänomen seit Jahren kontinuierlich zunehme. Dem Istat (italienisches Statistikamt) zufolge habe die illegale Beschäftigung in der Landwirtschaft inzwischen einen Anteil von 23 Prozent erreicht und liege damit fast doppelt so hoch wie in anderen Wirtschaftsbereichen. Brah Hema macht auch die Europäischen Union für das Elend verantwortlich, die sich nicht auf Harmonisierungsprozesse hinsichtlich des effektiven Schutzes von Arbeiter*innen einigen könne und so mit für die rechtliche Unsicherheit Verantwortung trage.
»Von den Orangen und Tomaten im Süden bis zur Obstproduktion im Norden ist die landwirtschaftliche Arbeit in Italien saisonal, prekär, auf Abruf, und wird in den meisten Fällen von eingewanderten Arbeiter*innen geleistet«, schreibt Brah Hema. Die Mafia sei in Italien dabei Teil des Systems. Dass fast die Hälfte der von den Mafiaorganisationen beschlagnahmten Vermögenswerte landwirtschaftliche Grundstücke sind, mache diese Verbindung besonders deutlich.
Brah Hema schreibt von durchschnittlich zehn Arbeitsstunden pro Tag für 20 bis 30 Euro, von Todesfällen durch Hitzschlag, von Bränden in den informellen Siedlungen und Zeltstädten der Landarbeiter*innen mit Todesopfern und von Übergriffen von Seiten der lokalen Bevölkerung. Doch er schreibt auch über die gewerkschaftliche Organisierung gegen die Ausbeutung.

Die in diesem Zusammenhang aktive Unione Sindacale di Base (USB) wurde im Mai 2010 in Rom als Bund der unabhängigen Gewerkschaften gegründet. Brah Hema argumentiert, dass die gewerkschaftliche Organisierung der Schlüssel für die Bekämpfung des »auf Ausbeutung und Ghettoisierung basierenden Systems« sei. Die prekäre und rechtlich ungewisse Situation mache die Menschen erpressbar, so Brah Hema. Viele der Arbeiter*innen würden ihre Rechte gar nicht kennen. Gewerkschaftliche Organisierung der Arbeiter*innen sei wegen der kurzfristigen und saisonalen Natur der Beschäftigung eine Herausforderung.

Brah Hema gibt Beispiele aus verschiedenen Regionen Italiens. Er schreibt etwa über die gewerkschaftliche Arbeit in Gioia Tauro im Süden Kalabriens, wo vor allem Arbeitskräfte aus der Sahelzone und Westafrika Zitrusfrüchte ernten. Dabei handele es sich zum Großteil um Personen, deren Asylgesuch bereits abgewiesen worden ist, oder um Arbeiter*innen, die auf die Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigung warten. Die USB mache Aufklärungsarbeit, unterstütze aber auch mit Informations- und Beratungsstellen bei Organisatorischem wie der Eintragung ins Einwohnermelderegister oder bei Anträgen auf subsidiären Schutz.

Die Folgen des Klimawandeln betreffen insbesondere afrikanische Länder, etwa Mali, Senegal und einen Großteil Westafrikas und der Sahelzone – Gebiete, aus denen viele Landarbeiter*innen, kommen. Brah Hemas Publikation zeigt nicht allein die Ausbeutung, die im Bereich der Landwirtschaft in Italien passiert, sondern ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie die Schere zwischen Arm und Reich insgesamt immer größer wird.

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