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Akademie der Arschgesichter

Karen Ruoff zerlegt das schöne Bild von der effizienzgesteuerten Wissenschaftsidylle

  • Lesedauer: 8 Min.

An einer renommierten US-Universität schlägt sich Eve Braintree, Leiterin des Medienzentrums, mit schwindenden Budgets, egomaner Geltungssucht und Korruption herum: Hier wird jede Schwäche ausgenutzt, nur ihr exzentrischer Kater hält zu ihr. Doch dann gewinnt Eve ganz unerwartet einen mächtigen Verbündeten …

Universitäre Intrigen, zügellose Gier, akademische Nebelkerzen und romantische Liebe: Karen Ruoffs Campus-Satire ist eine treffsichere Groteske aus der Welt der höheren Bildung. Und ein böser Augenöffner für alle, die versucht sind, sich bildungspolitisch immer noch am neoliberalen Hochschulmodell zu orientieren.

Die Autorin und die Übersetzerin

Karen Ruoff, geboren und aufgewachsen in Compton (Kalifornien), lebt seit 1970 in Berlin. Sie studierte Literatur und Germanistik in Stanford, Philosophie und Amerikanistik an der Freien Universität Berlin. Seit 1980 ist sie Direktorin des Berlin-Ablegers der Stanford University, unterrichtet Theater und Film. 2002 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz für ihr Engagement für internationale Kulturbeziehungen.

Christa Schuenke, geboren 1948 in Weimar, ist mehrfach preisgekrönte deutsche literarische Übersetzerin und lebt in Berlin. Seit 1978 hat sie ca. 150 literarische Werke aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt, darunter sämtliche seit 1997 erschienenen Romane des irischen Schriftstellers John Banville; außerdem zeichnet sie für viele Erst- und Neuübersetzungen klassischer Werke verantwortlich. Sie ist seit 2001 Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland, dessen Vizepräsidentin und »Writers in Exile«-Beauftragte sie von 2009 bis 2013 war.

Eve Braintree nahm sich einen dritten nimm2. Ein oraler Rettungsring für die Beinah-Exraucherin, die nur in Momenten größter Not wieder in ihre alte Unsitte verfiel, und auch das nur, wenn es keiner sah. Sie schaute aus dem Fenster, blicklos, ohne auf die Postpuberalen zu achten, die dort draußen in den neuen Zweihundertdollartag hineinradelten. Durch den Büroflur waberte der Duft von Kona koffeinfrei, und nach und nach trafen die Kollegen ein, manche schlurfend, andere schlendernd, und alle nuschelten irgendwelche arabesken Bemerkungen vor sich hin, die die banale Tatsache zu verhehlen trachteten, dass sie, um es geradeheraus und ohne Rücksicht auf den tiefen Ernst der jeweils erlebten Sachzwänge zu sagen, schlicht und ergreifend zu spät kamen.

Eve war pünktlich gewesen. Eve war immer pünktlich, obwohl sie eigentlich keine von denen war, denen es leichtfiel, pünktlich zu sein. Bei ihr klingelte jedes Mal, wenn sie endlich richtig eingeschlafen war, der Wecker. Aber die Karriere ging nun einmal vor, und als neue Direktorin des CMC, des Center for Media and Communications, der Parrington Simmons University, kurz Medienzentrum genannt, hatte Eve gelernt, ihre Ps und Qs im Kopf zu behalten. Was es mit den Qs auf sich hatte, war ihr noch nicht so richtig klar, völlig klar aber waren ihr die Ps. Ganz oben auf der P-Liste standen P-rofessionalität und P-rioritätensetzung, kurzlebige Schlagwörter, mit denen gutgekleidete Administratoren mit tadelloser Haltung, wissendem Blick und Spearmintlächeln sowie ohne ein Gramm Übergewicht gern um sich warfen. Eve hatte zwar nicht unbedingt den Eindruck, dass man an dieser Uni mit Lob für eine P-ositive Leistungsbilanz geizte, war aber dennoch stets bemüht, P-unkte zu sammeln. Und weil P-ünktlichkeit eine P-riorität war und zu einem P-rofessionellen Gesamtbild zwingend mit dazugehörte, kam Zuspätkommen für sie einfach nicht in Betracht.

An diesem Morgen hatte es sie einiges gekostet, pünktlich zu sein. Da sie als Erste im Büro gewesen war, hatte sie eine Kanne von dem guten hawaiianischen Spezialkaffee für alle gekocht. Natürlich war es für sie als Frau rückschrittlich, Kaffee zu kochen, für sie als Chefin aber war es fortschrittlich, und außerdem hatte sie keine Lust gehabt, so lange auf ihren Kaffee zu warten, bis irgendjemand anders kam und welchen kochte. Während der Kaffee gurgelnd vom festen in den flüssigen Aggregatzustand überging, zollte Eve der maßgeblichen Rolle, die in einer Informationsgesellschaft den Informationen zukommt, Tribut, indem sie sich in den E-Mail-Account der Abteilung einloggte, eine Aufgabe, der sich normalerweise ihr Sekretär Brad McGillicutty-Hernandez angenommen hätte, nur gönnte dieser sich gerade noch jene paar Stunden Tiefschlaf, auf die Eve verzichtet hatte. Die kunterbunte Liste, die sich seit dem letzten Login im Postfach angesammelt hatte, enthielt unter anderem eine Anweisung, wie das neue Formular zur Einreichung von Beschwerden bei der Ombudsperson auszufüllen sei, einen schmutzigen Witz, den ein schweinischer Hacker geschickt hatte und auf den man nicht zu antworten brauchte, außerdem haufenweise Spam, die übliche Reklamesülze, und die in solchen Massen, dass man eine ganze Kompanie ausgehungerter Soldaten satt kriegen würde; dann eine verzweifelte Nachricht von einem Doktoranden, der diverse plausible, sich jedoch gegenseitig ausschließende Entschuldigungen dafür zum Besten gab, warum er irgendeinen Abgabetermin nicht einhalten konnte, und zu guter Letzt noch das hier: eine Mitteilung von Hartley Kendall, dem Präsidenten der Universität, an alle Abteilungen mit dem Betreff: »Veränderte Prioritätensetzung unter den Neuen Finanzpolitischen Rahmenbedingungen«.

Die Universität steht gegenwärtig vor der Notwendigkeit, einige richtungsweisende Neuorientierungen vorzunehmen. Die internationale Finanzkrise hat unsere Stiftung schwer getroffen, die Anlagerenditen sind auf einem historischen Tiefpunkt. Dementsprechend hat sich der Stiftungsrat gestern für eine Kürzung des Budgets um 8 % ausgesprochen. Ob dieses Einsparungsziel durch flächendeckende Einschnitte zu erreichen ist oder ausgewählte Fachbereiche geschlossen und Institute zusammengelegt werden müssen - oder beides -, darüber wird in Absprache mit den zuständigen Fakultätsvorständen zu befinden sein. Diejenigen von Ihnen, die über den nötigen Weitblick verfügen, werden diese Entscheidung begrüßen und darin eine Möglichkeit zur Sanierung ihrer jeweiligen Bereiche und Verwaltungseinheiten erkennen. Wir sind der festen Überzeugung, dass Parrington Simmons, den guten Willen und das Engagement unseres Lehrkörpers sowie der Administration vorausgesetzt, gestärkt und mit frischem Schwung aus diesem Prozess hervorgehen wird: Lassen Sie uns die Führung übernehmen bei der Neubestimmung nicht nur der höheren, nein, der allerhöchsten Bildung in Amerika!

Ein Schräubchen hatte sich gelockert in Eves Kopf, das schoss ihr nun im Schädel herum und versuchte verzweifelt, irgendwo unterzukommen. Während ihre manikürten Finger automatisch den Druckerbefehl aktivierten, flackerte vor ihren Augen in neuraler Neonschrift der Subtext dieser Aneinanderreihung von Euphemismen: Wir sitzen alle im selben Boot … unser Boot ist ein sinkendes Schiff … rette sich, wer kann, und alle Mann runter von Bord. Eve, die als nachweislich am wenigsten männliche Führungskraft ein der Parrington Simmons außerbudgetär angeschlossenes Institut leitete, hatte die Befürchtung, dass sie sehr nass werden würde.

Doch plötzlich waren Schritte auf dem Flur zu hören, was ihre Aufmerksamkeit, die wie ein Fisch am Haken zappelte, sogleich in Anspruch nahm. Sie wappnete sich innerlich für den Auftritt einer Person, die ihr nur allzu vertraut war. Die Tür flog auf, und wenn das Leben ein Comic wäre, hätte der Luftzug augenblicklich den ganzen Raum leergefegt. Mit einer mächtigen Bugwelle kam ein forscher, vor Chuzpe strotzender Mann von irgendwas zwischen nicht mehr jung und noch nicht alt hereingewogt.

»Morgen, Eve. Weißt du schon das Neuste? Nachdem sie uns zwei Jahre hintereinander runtergekürzt haben, wollen sie jetzt das Basisbudget um noch mal acht Prozent zusammenstreichen, und dabei sind wir ja nicht mal drin im Basisbudget. ›Verlängerungsfähige Einmal-Finanzierung‹, das ist der Begriff , mit dem unser Budget schöngeredet wird.« Eve nickte benommen und hielt ihm den Ausdruck von Kendalls E-Mail unter die Nase.

Moritz Flapp war eine von diesen selbsternannten Spitzenkräften im Gemeinnützigkeitsbusiness, die es in den Universitätsverwaltungen haufenweise gibt, zumal in Zeiten, wo Washington den Staatssäckel besonders fest zugebunden hält. Als einer von einer ganzen Legion von Mitarbeitern in der sogenannten Development-Abteilung der Parrington Simmons war Flapp für die Spenden ehemaliger Absolventen zugunsten an die Universität angeschlossener Institute zuständig. Wenn Eve nicht scheitern wollte mit ihrem Bemühen, aus dem neuen Medienzentrum, das bei den älteren, eher konservativ gesinnten Mitgliedern des Lehrkörpers den despektierlichen Spitznamen ›Club Med‹ hatte, ein Forschungsinstitut von nationalem Rang zu machen, dann musste sie sich wohl oder übel auf friedliche Koexistenz mit Flapp einlassen. Flapps Währung war Wissen, was ja für einen Mitarbeiter einer Universität wahrhaftig nicht ungewöhnlich ist. Doch mit jener Art von Wissen, die sozusagen das Universalticket für alle Geistes- und Naturwissenschaften ist, gab Flapp sich nicht zufrieden. Er machte es sich vielmehr zur Aufgabe, beispielsweise darüber Bescheid zu wissen, welcher wohlhabende Alumnus an einer unheilbaren Krankheit litt und keine natürlichen Erben hatte, oder welche Unternehmen einen guten Steuertrick oder ein philanthropisches Feigenblatt gebrauchen konnten. Zu seinen Spezialitäten gehörten außerdem gewisse Schlüsselkenntnisse, wie er es nannte, etwa die Namen und Geburtstage der Chefsekretärinnen einflussreicher Industrieller parat zu haben, oder nicht nur zu wissen, wer mit wem, sondern auch wo, wie oft und in welcher Stellung. Flapps Handwerk war das Netzwerken.

Als perfekter Bescheidwisser warf er nur einen kurzen Blick auf Eves E-Schrieb. »Jaja, Eve, die Oberhyänen fressen die Unterhyänen. Schlechte Zeiten für Vegetarier. Hitler war auch einer, weißt du.«

Moritz’ Gedanken-Patchwork war selbst in richtig guten Zeiten nur schwer zu ertragen, speziell an diesem Vormittag aber ging es entschieden über das hinaus, was Eve zu dulden geneigt war. Ein hübscher Streich, den ihr das Schicksal da gespielt hatte, ihr eigenes akademisches Überleben und das ihres Instituts an die Fähigkeit dieses Mannes zu koppeln, sich selbst zu promoten; lange hatte sie nicht gebraucht, um herauszufinden, dass die Interessen des Medienzentrums nur das Mittel zum Zweck waren, nicht aber der Zweck selbst, den dieser eingefleischte Schaumschläger verfolgte. Und doch hielt ein altmodisches Bedürfnis nach Lauterkeit Eve davon ab, sich das ganze Ausmaß der Verachtung einzugestehen, die sie für diesen Selbstbedienungssamariter empfand. Da sie gezwungen war, eine freundliche Arbeitsbeziehung zu ihm zu unterhalten, suchte sie bei ihm unentwegt nach Charaktereigenschaften, die sie aufrichtig bewundern konnte - eine Beschäftigung, die mit ihrer allgemein bekannten unvoreingenommenen analytischen Urteilskraft nur bedingt kompatibel war. Respekt vorzutäuschen hätte ein Maß an Heuchelei erfordert, das Eve beim besten Willen nicht aufzubringen vermochte.

»Angriff ist die beste Verteidigung, Eve. Schlagen wir sie auf ihrem eigenen Platz. Wenn wir es schaffen, das Startkapital für einen entsprechenden Fonds einzuwerben, dann können die Ihnen Ihr Budget auf keinen Fall kürzen, sondern müssen es sogar aufstocken. Also ran an den Spender, ehe uns die Konkurrenz zuvorkommt: die potenzielle Finanzierung gleich an der Quelle abzapfen. Und ich hab da so eine Ahnung, wer die Quelle sein könnte. Wenn ich das hinkriege, sind Sie mir natürlich was schuldig. Umsonst ist der Tod!« Mit siegesgewissem Augenzwinkern und unter Fanfarenklängen, die nur er allein hören konnte, verließ Moritz Flapp den Raum.

Karen Ruoff
Academia
A. d. Engl. v. Christa Schuenke.
Ariadne-Argument
400 S., geb., 24 €

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