Der Krieg, den wir führen

Warum spielt sexuelle Gewalt bei Linken keine größere Rolle, fragt Jeja Klein

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 4 Min.

Anfang September habe ich an dieser Stelle zu, meiner Meinung nach, populären Fehlannahmen zum Kampf gegen sexuelle Gewalt in linken Kontexten geschrieben. Ein dabei immer wieder an die Oberfläche gespülter Reflex ist die Forderung, linke Gruppen, Cliquen und Bekanntschaftsnetzwerke mögen beim Aufkommen von Vorwürfen gefälligst nicht hinter Prinzipien des Rechtsstaats zurückfallen. Anders gesagt: Wer freiwillig Beziehungen unter dem Vorzeichen geteilter politischer Interessen eingegangen ist, soll sich jetzt wie ein Staat verhalten. Und wie ein guter noch dazu. Die Entdeckung der Zuneigung zum Staat ist angesichts der legendären BRD-Treue der deutschen Linken ja nur folgerichtig. Kleiner Scherz. Wir müssen natürlich ganz andere Mechanismen kultivieren, mit diesen Dingen gut und friedenswahrend umzugehen.

Besonderes Potenzial, Emotionen zu wecken und Gemüter zu erhitzen, schien folgender Satz zu haben. Ich schrieb: »Jeder in linken Bewegungskreisen weiß, dass seit Jahren und Jahrzehnten ein ständiger Krieg rund um die insbesondere von linken Männern fortwährend begangenen sexuellen Übergriffe und Vergewaltigungen herrscht.«

JEJA NERVT

Jeja Klein ist eine dieser Gender-Personen aus dem Internet und nörgelt einmal die Woche an Kultur und Politik herum. dasnd.de/jejanervt

Zunächst einmal: Stimmen Sie jeder meinungsgeprägten Äußerung zu, die sich in dieser Zeitung wiederfindet? Ich hoffe, dass das nicht der Fall ist. Natürlich haben Sie gelernt, sich nicht gleich wegen jedem Unsinn, den irgendjemand in der politischen Linken irgendwo äußert, die Revoluzzermütze aufs linke Ohr und die Lesebrille auf die Nasenspitze zu setzen und eine saftige Erwiderung zu tippen.

Wenn Sie sich also sicher sind, dass sexuelle Gewalt, patriarchale Zustände und darumkreisende Anerkennungskämpfe zwar durchaus nach wie vor ein Problem sind, aber in linken Kreisen keine größere Rolle spielen, darf Sie die von mir aufgestellte Behauptung kalt lassen. Sie wissen es ja besser. Doch wenn Sie beim Lesen das plötzliche Verlangen spüren, zu sagen: »Aber so schlimm ist es bei uns doch nicht!«, scheint die Sache ein wenig anders gelagert. Sie sind emotionalisiert. Das ist erst einmal nichts Schlimmes, ich bin es ja schließlich auch. Warum sind Sie emotionalisiert?

Meine Interpretation, die ich anzubieten habe, ist folgende: Sie fühlen sich bedroht. Als Linke*r haben Sie sich - und das ist gut so! - entschieden, die Verwerfungen, die der Kapitalismus unter der Menschheit anrichtet, nicht einfach so hinzunehmen. Sie mögen in der Minderheit sein. Aber Ihre narzisstische Selbstbesetzung vermag das ja nicht zu schmälern. Wir zählen uns zu den Guten. Das ist legitim, hat jedoch Implikationen, derer wir uns bewusst sein sollten.

Feministinnen kritisieren einen sexistischen Normalzustand, auch in linken Kontexten. In diesem Zustand müssen wir uns jedoch alle irgendwie einrichten. Schließlich ermöglicht nur das unser gemeinsames Streben nach einer anderen Welt. Damit meine ich ausdrücklich auch das sexuelle Universum, in dem wir uns individuell einrichten - mit all seinen Widersprüchen, dem moralischen Zwielicht und den Ahnungen und Ängsten, die uns in schwachen Momenten heimsuchen. Erst recht Männer.

Je schwerer es uns fällt, uns selbst in all diesen Schattierungen anzuerkennen, umso stärker unser Bedürfnis, immer nur gut zu sein. Dann wächst aber auch die Energie, mit der wir dieses Selbstbild aufrechterhalten müssen. Und damit die Emotionen, wenn es infrage gestellt wird, wir uns bedroht fühlen.

Wer also beim feministischen Vorwurf, im eigenen Milieu herrsche ein Krieg, den unwahrscheinlichen Antrieb in sich aufkommen spürt, zu widersprechen, sollte zunächst innehalten. Denn die Leugnung des Krieges könnte in der Kriegslogik, die ich ja behauptet habe, als eine Kriegshandlung »missverstanden« werden. Ich sag nur, wie es ist - und um dem mehr Gewicht zu verleihen, sage ich es mit Gerhard Schröder. Der hat einmal gesagt: »Wir führen keinen Krieg ...« Der Satz ging, Sie ahnen es, so weiter: »..., aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen.« Peace Out!

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