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Entspannung als Krisenlöser

Kombinierer Johannes Rydzek scheint zum Start in den Olympiawinter endlich zur alten Form zurückzufinden

Der Unterschied könnte kaum größer sein, obwohl sich die Bilder so sehr ähnelten. Johannes Rydzek lag auch am Sonnabend mal wieder völlig entkräftet im Ziel. Dieses Mal hatte sich die Schinderei für den Nordischen Kombinierer aus Oberstdorf aber endlich wieder gelohnt, denn eine knappe Stunde später durfte er sich auf den Stufen des Rathauses der thüringischen Kleinstadt Zella-Mehlis als neuer deutscher Meister die Goldmedaille um den Hals hängen - und das dürfte nicht nur ihn selbst, sondern auch den gesamten Deutschen Skiverband (DSV) ziemlich erleichtern.

Schließlich war der Doppelolympiasieger und sechsfache Weltmeister in den vergangenen Jahren weit entfernt von seinen besten Ergebnissen geblieben. Nicht einmal national hatte er noch mit dem neuen Spitzenmann Vinzenz Geiger oder den anderen beiden Mitgliedern des jahrelangen Erfolgstrios Eric Frenzel und Fabian Rießle mithalten können. Auf den neuen Dominator der Szene, Jarl Magnus Riiber aus Norwegen, verlor der 29-jährige Bayer regelmäßig gleich so viele Meter auf der Skisprungschanze, dass schon am Start in die Langlaufloipe immer klar war, dass Rydzek keine Erfolgschancen mehr haben würde.

Sein letzter Weltcupsieg stammt aus dem Januar 2019, liegt also bald schon drei Jahre zurück. So lange dauert die Krise an, die im vergangenen März in einer verkorksten Heim-WM in Oberstdorf endete. Er wurde 17. und 28. - auf die Medaillenplätze fehlten immer mehr als zwei Minuten. Bei den beiden Teamentscheidungen musste der Lokalmatador von draußen zusehen, als sich andere die Medaillen abholten. Der einstige Seriensieger musste sich eingestehen: »Die WM ist nicht so gelaufen, wie ich mir das gewünscht habe. Wir werden nach der Saison alles in Ruhe analysieren. Jetzt erst mal abschalten und den Kopf freibekommen.«

Offensichtlich hat Rydzek beides geschafft: die richtigen Schlüsse zu ziehen und Ruhe zu finden. Ergebnisse des Sommer Grand Prix, an dem beispielsweise die besten Norweger nicht immer teilgenommen haben, oder der nationalen Meisterschaft an diesem Wochenende in Oberhof und Zella-Mehlis lassen nicht immer Prognosen für die folgende Saison auf Schnee zu. Dennoch ist eines klar: Johannes Rydzek ist wieder da. Auf der Schanze hat er sich beim Sommer Grand Prix zumindest wieder ins Mittelfeld vorgekämpft, auf den Skirollern folgten dann regelmäßig Aufholjagden, die ihn in jedem der insgesamt fünf Rennen unter die besten Sechs der Konkurrenz vorspülten und in Oberhof sogar einen Sieg bejubeln ließen.

Hinter dem Finnen Ilkka Herola war Rydzek über den Sommer hinweg der zweitstärkste Läufer, und diese Form scheint er auch im Herbst nicht verloren zu haben. Am Samstag sprengte er zunächst mit einem Tempolauf an einem langen Anstieg auf den Straßen von Zella-Mehlis eine fünfköpfige Spitzengruppe, bevor er im Zielsprint dann auch noch Rießle und Terence Weber abschüttelte.

Bei den Frauen holte sich tags darauf die 19-jährige Jenny Nowak ungefährdet ihren zweiten nationalen Titel. Da ist Rydzek, der danach mit Julian Schmid auch im Teamsprint siegte, schon weiter: »Mein achter deutscher Meistertitel im Einzel. Mega happy und dankbar für die Unterstützung«, jubelte er auf seiner Facebook-Seite. Der letzte Eintrag davor stammte vom Anfang des Monats: Darin sieht man Rydzek wandern, auf einer Bank den Ausblick auf die Berge genießen oder an einem See entspannen. »Weil Regeneration Teil der Leistung ist. Nach über zwölf Jahren im Leistungssport weiß ich, wie viel Wahrheit in diesem Satz liegen«, schrieb Rydzek dazu. Er hatte seinem Körper - und wahrscheinlich noch viel mehr seinem Kopf - drei Tage Auszeit in Österreich gegönnt, anstatt wie so oft in den vergangenen Jahren an Anzügen, Sprungtechnik, Anstellwinkeln oder Trainingsplänen zu tüfteln, um irgendwie wieder die Kurve zu kriegen.

»Ich empfinde die Situation als Motivation, weiter an allen Punkten zu arbeiten«, hatte Rydzek im Frühjahr schon erkennen lassen, dass er trotz der jahrelangen Formkrise weiterhin nicht an einen Rücktritt denken wollte. Schließlich steht in diesem Winter mit den Olympischen Spielen in Peking erneut ein großer Höhepunkt an. Ein persönliches Startrecht hat er trotz seines Olympia-Einzelsiegs 2018 in Pyeongchang nicht. Was in manch anderen Sportarten üblich ist, hat der Weltverband Fis für die Kombinierer nicht vorgesehen. Also muss sich Rydzek im immer ausgeglichener werdenden deutschen Team in diesem Weltcupwinter durchsetzen. Zumindest an diesem Wochenende ist ihm das im Thüringer Wald schon mal eindrucksvoll gelungen.

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