Das vergessene Kind der Klimakrise

Verluste und Schäden werden in Glasgow eine ungewöhnlich wichtige Rolle spielen

  • Sandra Kirchner und Christian Mihatsch, Glasgow
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OCED) schlägt Alarm: Mit jedem Grad, um das die Erderwärmung zunimmt, steigen die Risiken für Volkswirtschaften, Ökosysteme, Unternehmen und Menschen. Diese Risiken seien ungleich über die Länder verteilt, ausgerechnet die Ärmsten und Schwächsten würden unverhältnismäßig stark getroffen. Das sei »ein zwingender Grund, jetzt zu handeln«, mahnt die OECD in einer am Montag auf der Weltklimakonferenz im schottischen Glasgow vorgestellten Untersuchung. »Ein großer Teil der heutigen und künftigen Weltbevölkerung wird mit häufigeren und intensiveren Klimaereignissen konfrontiert sein«, sagte OECD-Generalsekretär Mathias Cormann bei der Vorstellung des Berichts, der mit Unterstützung des deutschen Entwicklungsministeriums entstanden ist.

Gerade die am wenigsten entwickelten Länder und die kleinen Inselstaaten sind von den Auswirkungen des Klimawandels unverhältnismäßig stark betroffen. »Unsere Länder stehen in der Klimakrise an vorderster Front«, sagt Abul Kalam Azad vom Forum der besonders verwundbaren Staaten. So habe etwa Bangladesch selbst kaum zur Klimakrise beigetragen, sei aber häufig von Zyklonen und Überschwemmungen betroffen gewesen. Mittlerweile seien im ganzen Land über 10 000 wirbelsturmsichere Hochbunker, sogenannte Cyclone Shelter, errichtet worden.

Drei Klimagefahren unterscheidet die OECD in dem Bericht: immer häufiger und intensiver werdende Wetterextreme, allmähliche Veränderungen wie der Anstieg des Meeresspiegels und schließlich die besonders dramatischen Auswirkungen, wenn Schwellenwerte im Klimasystem überschritten werden. Der wichtigste Weg, um die kommenden Risiken zu begrenzen, sei schnelles Handeln, um die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2050 auf netto null zu bringen.

Trotzdem wird es »unvermeidbare Grenzen der Anpassung an den Klimawandel« geben, wie der Weltklimarat IPCC bereits im Jahr 2014 festgehalten hat. Ein Beispiel: Wenn der Meeresspiegel steigt, kann man eine Zeit lang die Deiche erhöhen. Irgendwann stoßen aber besonders niedrig liegende Inselstaaten an eine Grenze. Eine weitere Erhöhung der Deiche ist entweder technisch nicht möglich oder schlicht unbezahlbar. In diesem Fall muss die Insel aufgegeben werden, und es entsteht ein permanenter Schaden. Im Rahmen der UN-Klimaverhandlungen werden derartige Szenarien unter der Rubrik »Verluste und Schäden« diskutiert. Nennenswerte Fortschritte wurden hier bisher nicht erzielt: Während die Reduktion der Emissionen und die Anpassung an die Erderwärmung im Rampenlicht stehen, fristen Verluste und Schäden seit jeher ein Nischendasein.

Der Grund dafür sei die Angst der Industriestaaten, sagt Saleemul Huq vom Umweltforschungsinstitut ICCCAD in Bangladesch: »Die Industriestaaten haben sich geweigert, das Thema ›Verluste und Schäden‹ anzuerkennen - aus Angst vor Haftungs- und Entschädigungsansprüchen.« Aus diesem Grund wurden zwar Gremien eingerichtet, die den betroffenen Ländern technische Unterstützung gewähren sollen, aber eine gesonderte Finanzierung für Verluste und Schäden gibt es im multilateralen Rahmen nicht.

Bislang existiert nur auf bilateraler Ebene eine Initiative, diese Länder auch finanziell zu unterstützen: »Insuresilience« versucht Versicherungslösungen zu entwickeln, bei denen Industriestaaten einen Teil der Versicherungsprämie zugunsten der betroffenen Entwicklungsländer übernehmen. Damit lässt sich der Anstieg des Meeresspiegels nicht stoppen, aber Inselstaaten können sich zumindest gegen besonders schwere Sturmschäden versichern.

»Wir müssen über Versicherungen hinausgehen«, meint dagegen Saleemul Huq. »Wir brauchen eine echte Finanzierung für die Schäden und Verluste.« Auch die OCED plädiert in ihrem Bericht für eine Stärkung der weltweiten Finanzierung von Klima- und Katastrophenrisiken. Die Unterstützung solle so gestaltet werden, dass der Druck auf die am wenigsten entwickelten Länder und die kleinen Inselstaaten nicht noch größer wird.

Eine erste Zusage machte nun Schottland: Regierungschefin Nicola Sturgeon hat einen Fonds in Höhe von einer Million Pfund zugesagt, um die Entwicklungsländer bei der Bewältigung von Verlusten und Schäden durch den Klimawandel zu unterstützen.

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