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  • Tarifabschluss im Gastgewerbe

Mehr als Trinkgeld

Neuer Tarifvertrag: Löhne im Gastgewerbe steigen ab Januar auf mindestens 12 Euro

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach den Tarifverhandlungen zwischen der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und dem Berliner Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) am 28. Oktober liegt nun ein Tarifabschluss vor. Die Tarifkommission der Gewerkschaft stimmte dem letzten Angebot der Arbeitgeber zu, teilte die NGG am 8. November mit. Der neue Engelttarifvertrag wird laut NGG für rund 60000 Beschäftigte im Berliner Gastgewerbe gelten.

Die Einkommen im Gastgewerbe steigen in den beiden untersten Lohngruppen auf zwölf Euro Stundenlohn. Für die Beschäftigten in diesen Gruppen ein Anstieg von 13,6 Prozent beziehungsweise 9,6 Prozent. Sie verdienen in der untersten Gruppe derzeit 10,55 brutto pro Stunde. Für jede*n Beschäftigte*n in der niedrigsten Lohngruppe bedeutet das 236 Euro mehr im Monat und soll dem Vernehmen nach ab dem 1. Januar 2022 gelten. In den anderen Entgeltgruppen steigen die Einkommen um jeweils vier Prozent. Zum 1. Oktober 2022 steigen alle Einkommen um weitere sechs Prozent. Auszubildende bekommen zwei Mal 50 Euro mehr im Monat.

»Das ist ein guter Abschluss«, sagte der Berliner NGG-Chef Sebastian Riesner gegenüber »nd«. Der auf den ersten Blick mit 13,6 Prozent vergleichsweise hoch erscheinende Anstieg der Entgelte ist nicht nur deshalb notwendig geworden, weil 10,55 pro Stunden kaum zum Leben in der Stadt reicht. Auch wegen der Ankündigung der kommenden Bundesregierung, den gesetzlichen Mindestlohn auf zwölf Euro anzuheben, wird die Anhebung der unteren Lohngruppen nötig. »Wir wissen ja nicht, wann die neue Bundesregierung das beschließt und wann es dann in Kraft tritt«, so Riesner. »In Berlin werden wir jetzt die zwölf Euro als Untergrenze im Gastgewerbe ab dem 1. Januar haben.«

»Nach intensiven, aber fairen und offenen Verhandlungen einigen sich Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter auf deutlich bessere Konditionen für die rund 80000 Beschäftigten im Berliner Gastgewerbe«, schrieb der Berliner Dehoga anlässliche der Tarifeinigung auf seiner Homepage.

Für den Fall, dass der gesetzliche Mindestlohn auf zwölf Euro angehoben wird, während der Tarifvertrag noch gilt, enthält er eine Abstandsklausel: Die Vergütung würde in den untersten Lohngruppen dann auf 12,50 Euro steigen. Die NGG hatte ursprünglich 13 Euro gefordert. Mit der langen Laufzeit ist der Gewerkschafter nicht ganz glücklich. Der Tarifvertrag gilt bis zum 30. Juni 2023. Die NGG wollte eigentlich eine Laufzeit von nur zwölf Monaten. »Das hätten wir gerne noch verbessert, das war aber nicht zu machen«, bedauert Riesner, der jedoch betont, dass die Tarifgespräche Ende Oktober »konstruktiv und ergebnisorientiert« verlaufen seien. Man hat sich mit dem Hotel- und Gaststättenverband darauf verständigt, im kommenden Jahr »ergebnisoffen« über Verbesserungen beim Manteltarifvertrag zu sprechen.

Verbesserung heißt dabei für die Gewerkschaft freilich etwas anderes als für den Unternehmerverband. Während in Entgelttarifverträgen ihrem Namen nach die konkrete Vergütung festgelegt ist, finden sich in Manteltarifverträgen Regelungen zu den grundsätzlichen Arbeitsbedingungen wie beispielsweise Arbeitszeit und Urlaubstage, Krankmeldung und Lohnfortzahlung oder Zuschläge für Nacht - und Feiertagsarbeit.
Im Berliner Gastgewerbe arbeiteten im August 2021 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes rund 89200 Menschen. Seit dem Jahr 2016 hatte die Zahl stabil bei 100000 gelegen, war dann im April 2020 auf rund 78000 abgestürzt. Der Branche rennen insbesondere die Fachkräfte weg, weil die Arbeitsbedingungen hart und die Einkommen gering sind.

Streiks sind im Gastgewerbe eher selten. Es sind nicht sonderlich viele Beschäftigte in der Gewerkschaft organisiert. Das Drohpotenzial von Arbeitskämpfen ist entsprechend gering. Doch es gibt ein anderes Druckmittel: Seit den monatelangen Schließungen von Hotels und Gaststätten in der Coronakrise suchten sich viele Mitarbeiter ihr Auskommen in anderen Branchen. Das Gastgewerbe klagt infolge dessen besonders über einen daraus resultierenden Fachkräftemangel. Für gut Ausgebildete, die harte Arbeit mit einer Vielzahl verschiedener Aufgaben gewohnt sind, gibt es Jobs.

Mit dem am Montag erreichten Abschluss »ist ein erster Schritt gemacht worden. Der Weg ist beschritten aber das Ziel noch nicht erreicht«, sagte Sebastian Riesner.

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