Greenwashing zerstört Klima

Aktivisten fordern tiefgreifende Transformation der Energiesysteme

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf dem Klimagipfel in Glasgow purzeln nur so die Verpflichtungen, mit denen sich Staaten und Unternehmen zu Null-Emissionen bereit erklären. In Glasgow gehe gerade eine große Story ab, dass die COP 26 der »Net-Zero«, also Null-Emissions-Gipfel sein wird, der der Menschheit das 1,5-Grad-Ziel beschert, sagte Teresa Anderson von der NGO Action Aid International am Montag.

Zwar erfahre man von den Staaten und Firmen nicht so viel über Details und wie sie das erreichen wollen, kritisierte sie. Vor allem aber müsse man verstehen, dass »Null-Emissionen« eben nicht »Null« bedeute, dass also keine menschenverursachten Treibhausgase mehr die Atmosphäre aufheizen, erklärte Anderson in einer Debattenrunde von Klima- und Umweltschützern.

Der Grund: Die jetzigen Null-Emissionsziele beruhen meistens darauf, dass sowohl Länder als auch Unternehmen künftig sogenannte Offset-Rechte nutzen, Emissionsrechte also, die gewissermaßen künstlich geschaffen werden - derzeit vor allem durch Aufforstungsprojekte. Die dort wachsende Biomasse bindet CO2, das dann als Emissionsrecht verkauft werden kann und den Erwerbern dazu dient, seine CO2-Pflichten zu erfüllen.

Im Pariser Klimavertrag soll das vor allem im bekannten Artikel 6 geregelt werden, über den in Glasgow hart verhandelt wird. Vorgesehen ist aber auch ein privatwirtschaftlicher Offset-Markt.

Mit diesem Kohlenstoff-Handel planten die meisten Staaten und Unternehmen bereits jetzt für eine lange Zeit, sagte die Klimaexpertin. Für sie ist das eindeutiges »Greenwashing«. Es regiere der Glaube, man brauche den Planeten nur ergrünen zu lassen und so das Klima zu retten.

Die Folge dessen sei aber, dass zum Aufforsten riesige Ländereien benötigt werden. So plane der Shell-Konzern für sein Ziel, in 2050 die Null-Emissionsbilanz zu erreichen, Offsets zu nutzen, zu deren »Erzeugung« Bäume auf der dreifachen Fläche der Niederlande benötigt würden.

Und das sei nur ein Beispiel - um auf diese Weise das Null-Ziel zu verwirklichen, gebe es einfach nicht genug Land auf der Erde, betont Anderson weiter. Offsetting mit Bäumen könne aus Emissionssicht höchstens die laufende Abholzung der Wälder ersetzen.

Scharfe Kritik gab es bei der Veranstaltung auch an Australien. Das Land will sein Null-Emissionsziel zu einem Fünftel mithilfe von Offsets erfüllen - und vertritt in Glasgow im Rahmen der entsprechenden Artikel-6-Verhandlungen den Standpunkt, dies sei kompatibel mit dem 1,5-Grad-Ziel sei.

Weitere Experten wiesen darauf hin, dass der künftig entstehende riesige Offset-Markt nicht nur ein großes Loch in die globale CO2-Bilanz reiße, sondern wegen des Landbedarfs auch intakte Ökosysteme in »clean green zones« umwandle, diese also am Ende zerstöre.

Wachsende Bedeutung erlange dabei auch die Umwandlung von Biomasse in Biogas, vor allem in Methan. Das lieferten die Offset-Firmen dann als Antriebsenergie an Autokonzerne. Da kämen zwei »schmutzige« Industrien zusammen, hieß es.

Hoffnungen setzen die Umweltschützer vermehrt in klimaschützende Rechtsprechung, um diese negative Entwicklung zu stoppen. So lobte Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan in der Debatte ausdrücklich das Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Das habe aus den Rechten künftiger Generationen die Pflicht zu schärferen CO2-Reduktionen abgeleitet.

Auch in Frankreich gebe es inzwischen eine wachsende Rechtsprechung, die dem Staat und den Unternehmen zwingendere Klimapflichten auferlege, betont Morgan.

Sie lobte auch das jüngste niederländische Urteil, bei dem der Shell-Konzern für schuldig befunden wurde, das Klima zu zerstören. Erstmals sei ein Unternehmen für den Klimawandel verantwortlich gemacht und verpflichtet worden, seine Klima-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent gegenüber dem Stand von 2019 zu reduzieren.

Solange der Shell-Konzern seine Verpflichtung künftig auch mit Offsets erfüllen kann, laufen die Gerichtsurteile allerdings teilweise ins Leere, ist hinzuzufügen.

Um bei der realen Senkung der Klima-Emissionen rasch voranzukommen, ist für Teresa Anderson eine tiefgreifende Transformation der Energiesysteme, von Wohnen, Verkehr sowie der ganzen Ökonomie unabdingbar. Je mehr Menschen so eine Art radikales Herangehen als normal empfänden, eine Radikalität gewissermaßen normalisiert wird, wie sie sagte, desto größer sei die Chance, die Klimakrise noch zu bewältigen. Eine andere Chance gebe es eigentlich auch nicht.

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