Erst der Untergang, dann die Rettung

Nach Glasgow wird über Sinn und Unsinn von Weltklimagipfeln diskutiert

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Zeit der »Huddles« beim Glasgower UN-Klimagipfel begann am Samstagnachmittag. Im Konferenzsprech ist damit gemeint: Im großen Plenarsaal bilden sich Trauben gestikulierender Politiker*innen, die - die Handys gezückt und auf Zettel starrend - die offenen Fragen in letzter Minute klären wollen. Die schon ritualisierte Klimadiplomatie erlebte im Glasgow Centre noch eine dramatische Steigerung. Als alle Staatenvertreter - mehr oder weniger zufrieden mit den Abschlussformulierungen - den »Klimapakt« billigen wollten, meldete sich Indien zu Wort und verlangte ultimativ, den »Punkt 36« der Abschlusserklärung zu ändern. Die beherzte Aussage über einen »Ausstieg« aus der Kohle, die über Tage verteidigt worden war, sollte in ein »Herunterfahren« umgeschrieben werden. Um zwei Wochen Arbeit und den Pakt zu retten, gab der britische Gipfelpräsident Alok Sharma dem indischen Ansinnen statt - unter Schweiß, Tränen und dem aufmunternden Applaus Hunderter Staatenvertreter*innen.

40 000 Teilnehmer*innen, Diplomat*innen, Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen von Nichtregierungsorganisationen hatten den Gipfel in Glasgow zur bislang größten UN-Klimakonferenz gemacht. Der Gipfel hatte am Ende dann noch seinen ganz eigenen Aufreger: Indien verzögert den weltweiten Kohleausstieg. Dass ein Mensch in Indien im Schnitt nicht einmal zwei Tonnen CO2 jährlich erzeugt und damit einen Bruchteil dessen, was in den Industrieländern pro Kopf anfällt, ging da völlig unter. Dem Subkontinent klimapolitisches Versagen unterzuschieben, geht fehl.

Der indische Alleingang und dessen Erfolg haben aber den Streit angefacht, was der Klimagipfel wirklich gebracht hat. Für die einen - wie die geschäftsführende deutsche Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) - geht jetzt das fossile Zeitalter zu Ende, weshalb die UN-Klimakonferenz geradezu »historisch« sei, wie sie es ausdrückte.

Andere wie der renommierte Klimawissenschaftler Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel sind von Glasgow »maßlos enttäuscht«. Er hält die nunmehr geltende Kohleformulierung für »windelweich«. Beim derzeitigen Stand des Klimaschutzes werde die Welt die 1,5-Grad-Marke um 2040 gerissen haben. Latif hält Klimagipfel generell für »nicht zielführend« und plädiert für eine Allianz der Willigen. Europäer und Amerikaner sollten vorangehen und zeigen, dass Wohlstand und Klimaschutz keine Gegensätze seien. Dann könnten sie auch mehr Druck auf China und andere Blockierer ausüben.

Die scharfe Auseinandersetzung hat ihren Grund: Die aktuelle klimapolitische Entwicklung ist so widersprüchlich wie vermutlich nie zuvor. Vor Glasgow lieferten sich große Emittenten beinahe ein Rennen, wer etwa um die Mitte des Jahrhunderts eher klimaneutral zu wirtschaften gedenkt. Flugs rechneten Modellierer*innen in der Folge aus, dank der avisierten Klimaneutralität befinde sich die Welt auf dem Pfad zu 1,8 Grad oder noch weniger.

Das Problem dabei ist bloß: Zu den hehren klimaneutralen Zielen passt die Klimapolitik bis 2030 ganz und gar nicht. Da sollen noch viele Treibhausgase in die Luft geblasen werden. Insbesondere Industrieländer würden ihr CO2-Budget so strapazieren, dass eben schon 2040 die 1,5 Grad im globalen Schnitt erreicht werden.

Langfristig wird die Welt gerettet, aber kurzfristig geht sie erst mal unter? Was absurd klingt, wäre die reale Folge der bisherigen Planung. Daraus lässt sich nicht nur der Schluss ziehen, dass sich in den nächsten Jahren wirklich entscheidet, ob die kurzfristigen nationalen Ziele noch so verbessert werden, dass wir die Rettung des Klimas doch hinbekommen.

Wichtiger noch: Die Welt kann auf niemanden mehr warten, auf den nächsten Gipfel nicht oder darauf, dass Länder wie Deutschland schneller aus der Kohle aussteigen. Wer es vergessen hat: Die Bundesrepublik gehört noch immer zu den größten Förderern der Braunkohle, des schmutzigsten fossilen Energieträgers überhaupt.

Inzwischen kommt es auf jede Tonne CO2 an, die nicht mehr emittiert wird. Das gilt für Indien genauso wie für die USA, China und alle anderen Länder. Die Staaten aber, die in Vergangenheit das Desaster anrichteten und die Erdatmosphäre noch immer als Abfalllager ihrer Treibhausgase missbrauchen, müssen mehr und das auch schneller tun.

Darüber entschieden aber wird nicht in »Huddles« auf Klimakonferenzen, sondern in den Regierungen, Parlamenten und von den Klimabewegten in den Ländern selbst. Sie müssen nicht auf den nächsten Gipfel warten.

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