Im Dienste der Menschheit

Engagiert für Erziehung, Wissenschaft und Kultur: UN-Spezialorganisation Unesco begeht ihren 75. Jahrestag

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Unesco hat am vergangenen Freitag bei ihrer gegenwärtig laufenden Generalversammlung feierlich den 75. Jahrestag ihrer Gründung begangen. Dazu waren aus den 193 Mitgliedsländern zahlreiche Staats- und Regierungschefs nach Paris an den Sitz der Unesco gekommen.

Der Beschluss zur Gründung der UN-Spezialorganisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, die an die friedensstiftenden Bemühungen des Völkerbundes nach dem Ersten Weltkrieg anknüpfen sollte, war im November 1945 in London auf einer Bildungsministerkonferenz der Alliierten durch die Vertreter von 37 Ländern gefasst worden. Nach der Ratifizierung dieses Beschlusses durch die ersten 20 Länder erfolgte die eigentliche Gründung der Unesco auf ihrer ersten Generalkonferenz im November 1946 in Paris. Wichtigstes Ziel war es den Statuten zufolge, »eine Kultur des Friedens zu schaffen, die auf der geistigen und moralischen Solidarität der Menschheit beruht«. In diesem Sinne sollten die Mitgliedsländer auf den Gebieten der Erziehung, der Wissenschaft und der Kultur zusammenarbeiten. Nach einigen Jahren kamen noch Kommunikation und Information hinzu.

Heute gliedern sich die Aktivitäten der Weltorganisation in fünf Säulen: Erziehung, Naturwissenschaften, Sozial- und Humanwissenschaften, Kultur, Kommunikation und Information. Auf diesen Gebieten tauschen sich die Mitgliedsländer über ihre nationale Politik aus und versuchen, die besten Erfahrungen zu verallgemeinern. Für jedes Gebiet sammelt die Unesco eine Vielzahl von Fakten und Zahlen, die einen Vergleich und Erfahrungsaustausch ermöglichen und es den Mitgliedsländern leichter machen, für sich die besten Entscheidungen zu treffen.

Zu Schwerpunktthemen werden im Rahmen der Unesco internationale Programme und Initiativen lanciert. So haben beispielsweise auf der gegenwärtigen Generalversammlung 40 Staats- und Regierungschefs in einem »Appell von Paris« dazu aufgerufen, Lehren aus der Covid-19-Pandemie zu ziehen, die weltweit 1,6 Milliarden Kinder über viele Monate um ihr Recht auf Schulunterricht gebracht hat, und massiv in das Bildungssystem ihrer Länder zu investieren. Sie erinnern daran, dass sich die Unesco-Mitgliedsländer bereits 2015 verpflichtet hatten, vier bis sechs Prozent ihres Bruttosozialprodukts für das Bildungswesen aufzuwenden, doch die meisten seien noch weit davon entfernt. Auch in den nationalen Programmen zur Überwindung der Coronakrise sind dafür viel zu wenig Mittel vorgesehen, im Schnitt ein Prozent in den Entwicklungsländern und 2,9 Prozent in den führenden Industrieländern. Gleichzeitig wurde eine Studie zur Zukunft der Erziehung bis 2050 vorgelegt. Darin wird festgestellt, dass die Bildung, um zu einer gerechteren Welt beizutragen, stärker ökologisch, interkulturell und interdisziplinär auszurichten sowie Solidarität und Kooperation in den Mittelpunkt zu stellen seien.

Über die politische Zusammenarbeit innerhalb der Unesco hinaus werden auch konkrete Projekte geplant und durch die Gründung entsprechender Strukturen und das Anwerben von Fachleuten aus aller Welt praktisch umgesetzt. Die dafür benötigten Gelder gehen weit über das Unesco-Jahresbudget hinaus, für das die Mitgliedsländer Beiträge zahlen, und machen dem Umfang nach noch einmal fast genauso viel aus. Diese Zusatzmittel müssen durch freiwillige Zahlungen der am jeweiligen Projekt interessierten Länder und Sponsoren aufgebracht werden. Diese Aktivitäten sind sehr vielfältig. So befindet sich in Hamburg ein Unesco-Institut für Forschungen auf den Gebieten Erziehungsplanung, Elementar-, Sekundär- und universitäre Erziehung sowie für lebenslanges Lernen. Auf naturwissenschaftlichem Gebiet engagiert sich die Unesco stark für nachhaltige Entwicklung und Biodiversität. Dem dienen beispielsweise Forschungsprogramme in tropischen Urwäldern oder Programme für den Bau preiswerter Wasserpumpen und Wasseraufbereitungsanlagen in Afrika.

Die Unesco ist auch an der Klimaforschung, der zwischenstaatlichen ozeanografischen Forschung sowie am Aufbau von Erdbeben- und Tsunami-Frühwarnsystemen beteiligt. Auf humanwissenschaftlichem Gebiet spielt das Thema Ethik der Wissenschaft und der innovativen Technologien eine große Rolle, wo man sich beispielsweise mit den möglichen Konsequenzen aus dem Einsatz von Nano- oder anderen Biotechnologien sowie von künstlicher Intelligenz und der forcierten Automatisierung in der Industrie beschäftigt.

Auf dem Gebiet der Kultur will die Unesco das historisch von Europa und dem elitären Bildungsbürgertum ausgegangene Kulturverständnis überwinden, das sich auf Bauten, museale Kunstwerke und Literatur konzentriert, um es auf die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zu erweitern, bis hin zum mündlichen und immateriellen Erbe der Menschheit. In Entwicklungsländern hilft die Unesco konkret bei archäologischen Grabungen und bei der Aufbereitung und Präsentation des historischen und künstlerischen Erbes in Museen.

Ein wichtiges Instrument der Unesco auf dem Gebiet der Kultur ist die 1972 beschlossene und seit 1978 geführte Weltkulturerbeliste, die zunächst für historisch wertvolle und besonders schützenswerte Kulturdenkmäler gedacht war und später auch auf Landschaften und Naturschutzgebiete ausgedehnt wurde. Das Label wurde bis Mitte des laufenden Jahres bereits 1 154 Mal vergeben, davon an 897 Weltkulturerbestätten, 218 Weltnaturerbestätten und 39 gemischte Stätten. Frankreich erhielt den Titel bisher 49 Mal und Deutschland 51 Mal. Seit 2003 gibt es auch eine Unesco-Liste für immaterielles Kulturerbe mit bisher 584 Einträgen für lebendige und bewahrenswerte kulturelle Traditionen und Ausdrucksformen. Darunter befinden sich beispielsweise die französische Kochkunst und der deutsche Orgelbau. Der Kulturerbetitel ist begehrt, denn in hoch entwickelten Ländern mit zahlreichen Stätten lässt er erfahrungsgemäß den Touristenstrom um durchschnittlich 30 Prozent anschwellen und in Entwicklungsländern ist er eine Hilfe zur Armutsbekämpfung.

Die Unesco führt und veröffentlicht aber auch eine Rote Liste gefährdeter Kulturdenkmäler, um so zu deren Schutz aufzurufen. Es kommt aber nur selten vor, dass Kulturstätten mit dem Unesco-Label auf diese Rote Liste abrutschen, und in der 50-jährigen Geschichte des Titels musste er erst drei Mal aberkannt werden. Dieses Schicksal ereilte beispielsweise 2009 das Dresdener Elbtal, weil den Stadtoberen der Bau einer Brücke für den Autoverkehr, die empfindlich den Anblick das historischen Zentrums der Stadt stört, wichtiger war als das Bewahren des Kulturdenkmal-Titels der Unesco.

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