- Wirtschaft und Umwelt
- Steigende Lebensmittelpreise
Beim Weizen sprießen auch die Preise
Niemals zuvor war das Getreide in Europa teurer als heute. Die Nachfrage ist höher als das Angebot
Zweimal Pizza für schlappe 2,59 Euro oder sechs Brötchen für 79 Cent - die Dumpingpreise, mit denen Discounter die Kundschaft anlocken, verdecken das tatsächliche Geschehen auf den Märkten: Rohstoffe sind knapp und daher teuer. Beispielsweise gilt dies für den Weizen, aus dem Pizzen und Brötchen produziert werden.
Weltweit ist Weizen - nach Mais, der vielfach als Tierfutter eingesetzt wird - das meist angebaute Getreide. Etwa gleichauf liegt nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO der Reis. Die größten Erntemengen werden in China, USA und Indien eingefahren. Deutschland folgt erst auf Rang 13, ist dennoch ein Getreideland. So wird viermal so viel Getreide angebaut wie Kartoffeln. Und von 42 Millionen Tonnen Getreide, die laut Statistischem Bundesamt in diesem Jahr geerntet wurden, entfielen auf Weizen rund 22 Millionen Tonnen. Mit weitem Abstand folgen Gerste und Mais.
Niemals zuvor musste an der europäischen Leitbörse für landwirtschaftliche Produkte, der MATIF in Frankreich, für eine Tonne Weizen so viel bezahlt werden wie in der zweiten Novemberwoche dieses Jahres. Erstmals notierte der Preis für den dort gehandelten Standardkontrakt über 300 Euro. Am Dienstag übersprang der Preis dann sogar die 310-Euro-Marke. Seit mittlerweile zehn Wochen ist der Weizenpreis schon am Steigen. Und Analysten erwarten, dass er erst mal so weiter macht wie bisher. Denn mit Rekorden bei Nahrungsmitteln verhält es sich wie auch sonst mit Allzeithochs an den Börsen: »Ihnen folgen mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit weiter steigende Kurse und Preise«, schreibt der Börsenexperte Wieland Staud. Auch der Weizenpreis werde deshalb wohl noch nicht an seinem Endpunkt angekommen sein.
Nun mag man dies als vorübergehende Erscheinung abtun, wie es beispielsweise die Europäische Zentralbank mit Blick auf die Inflationsrate insgesamt macht. Viele Rohstoffe, vor allem Energieträger, fahren zurzeit eine rasante Rallye. So nahm der HWWI-Rohstoffpreisindex im Oktober weiterhin stark zu, auf US-Dollarbasis um 18,7 Prozent allein in diesem Monat. Getrieben werden die Preise von der weltweit hohen Nachfrage. Und die wiederum wird, beflügelt von dem wirtschaftlichen Aufschwung, in vielen Ländern nach Corona sowie dem Klopapier-Phänomen: Rohstoffe werden von vielen Firmen und Verbrauchern gehamstert.
Beim Weizen geht es aber nicht um Computerchips oder Rohöl, sondern um ein für Milliarden Menschen lebenswichtiges Grundnahrungsmittel. Und es gibt Entwicklungen, die auch langfristig die Preise in die Höhe treiben könnten. Es ist nämlich keineswegs selbstverständlich, dass Nahrungsmittel wie in der Bundesrepublik im Überfluss zur Verfügung stehen - Letzteres erklärt teilweise die Billigpreise der Lebensmittelindustrie und des Einzelhandels.
Wenn man den Skeptikern folgt, dürfte die landwirtschaftlich nutzbare Fläche auf der Erde kleiner werden. Wetterturbulenzen in wichtigen Anbaugebieten gefährden zusätzlich die Ernten. Auch dürfte die Produktivität in der Agrarwirtschaft kaum noch steigen. Gleichzeitig lassen die weltweit wachsende Bevölkerung und der zunehmende »westliche« Konsum die Nachfrage nach Weizen und anderen modischen Cerealien steigen.
Nach jüngsten Modellabschätzungen des Thünen-Instituts in Braunschweig gefährdet insbesondere die Zunahme von Hitzeperioden die Erträge: »Und dies nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.« Die Auswirkungen von Hitze auf Getreide werden in Topfversuchen im Gewächshaus untersucht. Feldversuche mit gleichzeitiger Manipulation der CO2-Konzentration, die auch die Temperatur beeinflusst, gibt es bisher nicht.
Der Internationale Getreiderat (IGC) hat seine Prognose für die weltweite Weizenernte 2021/22 nun um vier auf 777 Millionen Tonnen reduziert. Der Großteil der Abwärtsrevision entfiel auf den Iran, der in diesem Jahr von der schlimmsten Dürre seit Jahrzehnten heimgesucht wurde. Abwärtskorrekturen gab es zudem in Algerien, Kasachstan und in der EU. Aktuell könnten exzessive Regenfälle in Australien die Ernte beeinträchtigen.
Im Ergebnis sollen auf dem globalen Weizenmarkt fünf Millionen Tonnen mehr nachgefragt als angeboten werden, wie es heißt. Zwar gibt es Weizenvorräte in wichtigen Exportländern, doch die sind eher für Notfälle gedacht. Am Ende der laufenden Ernteperiode, so die Prognose der IGC, könnten diese Notreserven nur noch den Weltverbrauch von etwa einem Monat abdecken. Dieses Beispiel zeigt, wie kurz die Decke ist, wenn es um die Sicherheit unserer Nahrungsmittelversorgung geht.
Der Weizenpreis steigt auch an anderen Börsenplätzen, wie der weltältesten Terminbörse, der CBOT in Chicago. Im Vergleich zum Vorjahr ist das Getreide dort derzeit um 40 Prozent teuerer. »Das sehr hohe Preisniveau dürfte die Nachfrage nach EU-Weizen bremsen«, erwarten die Rohstoffexperten der Commerzbank. So wurde die Prognose für die EU-Weizenexporte um 1,6 Millionen auf 30,4 Millionen Tonnen reduziert. In der Folge würden sich die Weizenlager in der EU stärker füllen als geplant. Einen sichtbaren Effekt auf die globalen Preise hat der Angebotsüberhang in der EU bislang nicht.
Dennoch wird deutlich, dass der Preisanstieg nicht unbegrenzt so weitergehen dürfte. Vollere Lager dämpfen den Preis. Erst einmal.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!