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  • Sport in der Pandemie

Der Breitensport schlägt Alarm

Ein flächendeckender Lockdown hätte vor allem für Kinder und Jugendliche verheerende Folgen, warnt der Dachverband in einem Brandbrief

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.
Turn-Minis des TC Wilhelmsburg bei einem Sportfest
Turn-Minis des TC Wilhelmsburg bei einem Sportfest

Es ist so eine Sache mit der Vorbildwirkung des Sports. Gerade im Profibereich wird diese Begrifflichkeit oft überstrapaziert, arbeiten die echten Vorbilder doch viel eher an der Basis, wo oft jahrzehntelang tätige Ehrenamtliche die wahren Helden sind, die für die Gemeinschaft Gutes tun. Dazu passt auch, dass die sportinteressierten und in Vereinen aktiven Menschen eine deutlich höhere Impfquote aufweisen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Hier liegt sie laut einer Studie, die der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) gern zitiert, bei mehr als 80 Prozent. Auch aus diesem Grund hat der Dachverband einen Brandbrief verfasst - noch vor seiner wegweisenden Mitgliederversammlung an diesem Samstag.

Darin fordert er nicht weniger als eine Breitensportgarantie in der Pandemie. In der jetzigen Phase müssten alle einen Beitrag zum Brechen der vierten Welle leisten, dazu sei selbstverständlich auch der Sport bereit, schrieb Noch-Präsident Alfons Hörmann. »Einen pauschalen und flächendeckenden Sport-Lockdown darf es jedoch nicht wieder geben. Wir können verschärfte Regeln mit 2G einhalten, in kleineren Gruppen trainieren und unsere Impfaktionen im Sport fortführen. Aber die ›sozialen Tankstellen‹ unseres Landes, die Sportvereine, dürfen nicht wieder zugesperrt werden.« Andernfalls würden an der Basis noch mehr Trainer, Erwachsene und Jugendliche aufgeben - vielleicht für immer.

Am Donnerstag sind zwar weitreichende 2G-Regeln auch für den Freizeitbereich beschlossen worden, doch zu einem flächendeckenden Stillstand im Sportbetrieb kommt es vorerst nicht. Der DOSB und seine knapp 27 Millionen Mitglieder in 90 000 Vereinen können zunächst aufatmen.

Rund 800 000 Freizeitathleten hat der deutsche Sport auch infolge der Lockdown-Maßnahmen im vergangenen Jahr verloren. Was die dritte und vierte Welle ausgelöst hat, werde man erst noch erheben müssen. Unentwegt weist der DOSB aber darauf hin, dass insbesondere Kinder und Jugendliche in diesen schwierigen Tagen ein Bewegungsangebot im Verein »für die körperliche und seelische Gesundheit« bräuchten.

Noch deutlicher wird Kerstin Holze, Kinderärztin und Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kinderturn-Stiftung: »Wenn wir Kinder der ersten bis vierten Klasse nun in den zweiten Winter ohne qualifizierte Bewegungs- und Sportangebote in Schulen und Vereinen schicken, dann nehmen wir ihnen sehenden Auges die Hälfte ihres goldenen Lernalters für koordinative Fähigkeiten weg. Das ist unverantwortlich, denn es lässt sich nicht mehr einfach aufholen.« Kinder seien durch die Pandemie sowieso schon stark belastet. »Da dürfen wir ihnen den Sport in der Gruppe nicht auch noch wegnehmen.« Wenn man wolle, dass Jugendliche ganzheitlich aufwachsen, seien Sport und Bewegung unverzichtbar. »Es ist viel mehr als nur ein Zeitvertreib.« Verkürzt gesagt: »Komplexe Bewegungsabläufe wie eine Rolle rückwärts sind die Grundlage für komplexe Denkvorgänge wie das Rechnen.«

Gleichwohl ist den Funktionären bewusst, dass der richtige Umgang mit dem tückischen Virus eine Gratwanderung bleibt. Gerade bei vielen Hallensportarten, argumentieren die Befürworter eines Lockdowns, gebe es Körperkontakt, Corona-Regeln seien nicht immer einzuhalten. Kinder sind nicht geimpft, damit nicht geschützt, und so besteht eben trotz der Testungen in der Schule das Risiko einer Ansteckung. Die Verläufe bei Kindern bleiben zwar weitgehend mild, die Infektionen aber werden dadurch oft erst spät oder gar nicht erkannt und somit häufig in die Familien getragen.

Stefan Raid, im April dieses Jahres, also auf dem Höhepunkt der Corona-Einschränkungen zum Vorsitzenden der Deutschen Sportjugend gewählt, warnt davor, nach dem Vorbild von Mecklenburg-Vorpommern flächendeckend Sporthallen zu schließen. »Wir haben zum Ersten den Schulsport, der letztlich im Tagesablauf als Ausgleich zum normalen Unterricht sehr wichtig ist. Wir haben zum Zweiten den Sport in den Vereinen, der jetzt in der kalten Jahreszeit auf die Sporthallen angewiesen ist. Wenn die wieder geschlossen werden, ist das für den Sport eine Katastrophe«, sagte er kürzlich dem NDR.

Raid kann auch nur wiederholen, was er schon im Frühjahr betonte: »Sport und Bewegung muss als Teil der Lösung zur Überwindung dieser Pandemie gesehen werden.« Grundsätzlich hält der 51-Jährige fest: »Der Bewegungsmangel bei unseren Kindern mit all seinen Folgen besteht nicht erst seit der Pandemie und wird sich auch nicht mit der Bewegungskampagne oder dem Aufholpaket erledigt haben.«

Grundsätzlich setzt der DOSB einige Hoffnungen in den Regierungswechsel, versandte vor einer Woche eigens eine Pressemitteilung, dass im Koalitionsvertrag der Ampel »viel sportpolitisches Potenzial« stecke, etwa bei Sportstättenbau, Breitensportförderung und Sportentwicklung. Zustimmung fanden auch »die Stärkung der Inklusion und Bewegungsangebote im Ganztag für Schüler*innen«. Das alles setzt aber voraus, dass die Sportstätten offen bleiben.

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