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Londoner Trauerspiel
Peter Steiniger zur Aufhebung des Auslieferungsverbots für Assange
Der Londoner High Court hat sich den Tag der Menschenrechte ausgesucht, um ihnen ins Gesicht zu schlagen. Er kippte ein Urteil, demzufolge Julian Assange aus humanitären Gründen nicht an die US-Justiz ausgeliefert werden darf. Die Richter werten es nun als zweitrangig, dass den Wikileaks-Gründer in den Staaten ein politischer Prozess und ein absurd hohes Strafmaß erwarten, dass in den US-Gefängnissen unverändert unmenschliche Bedingungen herrschen, dass eine fortgesetzte Isolationshaft Assange endgültig als weiße Folter zu Tode bringen könne.
Die Entscheidung ist ein trauriges Indiz dafür, dass sich Großbritannien nach dem Brexit auch von eigenen wie europäischen rechtsstaatlichen Traditionen wegbewegt. Das Urteil kuscht vor staatlicher Willkür made in USA. Es ist eine kalte Dusche für alle Verteidiger einer unabhängigen Presse. Denn schließlich wird Assange nicht wegen gewöhnlicher Verbrechen, sondern seit Jahren dafür verfolgt, Material zu Kriegseinsätzen im Irak und in Afghanistan veröffentlicht zu haben, das Verbrechen des US-Militärs ans Licht brachte. Dafür wird der 50-jährige Australier zum Spion gestempelt und sein Kopf gefordert. Mit Signalwirkung: Investigativer Journalismus, der ohne Whistleblower oder Hacker nicht an die am besten gehüteten Geheimnisse gelangt, soll seine Nase nicht zu tief in die Angelegenheiten der Mächtigen stecken.
Jetzt droht Assange akut die Auslieferung durch ein Land, das selbst tief in die US-geführten Kriege verstrickt ist. Die Biden-Regierung verfolgt in der Causa weiter die Linie Trumps. Mit einer Überstellung an die US-Justiz wäre die am Ziel, egal, wie lange Assange in den Knast wandert. Vor allem geht es um Genugtuung und eine Machtdemonstration: Niemand, der sich mit den USA anlegt, entkommt innerhalb ihrer Einflusssphäre ihrem langen Arm. Die neue deutsche Außenministerin darf ihren wertebasierten Ansatz sehr gern mal an Freunden testen: Annalena Baerbock, übernehmen Sie!
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