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S-Bahn im Nord-Süd-Tunnel entgleist
Vier Linien in der Innenstadt noch bis mindestens Dienstag unterbrochen
Noch bis mindestens Dienstag um 4 Uhr früh wird der Verkehr auf der Nord-Süd-Tunnelstrecke der Berliner S-Bahn massiv eingeschränkt bleiben. Das geht aus dem öffentlich einsehbaren Bahninformationssystem strecken.info hervor. Grund ist die Sperrung des Gleises Richtung Süden zwischen den Bahnhöfen Oranienburger Straße und Brandenburger Tor, nachdem in der Nacht zu Donnerstag gegen Mitternacht ein Zug der S2 Richtung Lichtenrade auf dem Weg zum Bahnhof Friedrichstraße entgleist war.
Einzig die S1 fährt derzeit im 20-Minuten-Takt auf der ganzen Strecke zwischen Wannsee und Oranienburg durch. Die Unfallstelle an der Friedrichstraße wird in beiden Richtungen auf dem Streckengleis gen Norden umfahren. Zwischen Wannsee und Potsdamer Platz sowie Oranienburger Straße und Frohnau fahren alle 10 Minuten Züge der S1. Die S2 verkehrt gen Süden alle 10 Minuten zwischen Potsdamer Platz und Lichtenrade, wie gewohnt fährt jeder zweite Zug bis Blankenfelde weiter. Nur alle 20 Minuten wird der Nordteil vom Nordbahnhof bis Bernau bedient. Die S25 fährt nicht zwischen Südkreuz und Nordbahnhof. Von den jeweiligen unfallbedingten Endpunkten geht es regulär alle 20 Minuten nach Hennigsdorf beziehungsweise Teltow Stadt. Die S26 verdichtet das Angebot nur auf der Strecke zwischen Südkreuz und Teltow Stadt auf einen 10-Minuten-Takt.
Der zwischenzeitlich am Donnerstag eingerichtete Ersatzverkehr mit Bussen zwischen Potsdamer Platz und Nordbahnhof wurde nach der Wiederaufnahme des eingleisigen Betriebs zunächst ohne Halt an der Friedrichstraße noch am Abend nach der Unfallnacht wieder eingestellt. Zum Teil soll über eine halbe Stunde kein Bus aufgetaucht sein, so Betroffene. Die S-Bahn empfiehlt weiterhin weiträumige Umfahrungen über Ring- und Stadtbahn, mit Regionalzügen und der U-Bahn.
»Gegen Mitternacht sprang ein Drehgestell eines Wagens der S2 auf der Strecke zwischen den Bahnhöfen Oranienburger Straße und Friedrichstraße aus den Gleisen«, teilte die Bundespolizei am Donnerstag mit. Da der Zug nach Lichtenrade noch vollständig in den Bahnhof Friedrichstraße einfuhr, konnten die 30 Reisenden den Zug unverletzt verlassen, hieß es weiter.
Der entgleiste Zug steht weiterhin im Bahnhof Friedrichstraße und wurde noch nicht, wie ursprünglich vorgesehen, nach dem Eingleisen schnellstmöglich Richtung Betriebswerk Wannsee gefahren. Nach nd-Informationen hat das Eisenbahn-Bundesamt die Strecke für die Rekonstruktion des Grundes der Entgleisung durch die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung gesperrt. Erkenntnisse, wie es zur Entgleisung kam, gibt es bisher noch nicht, allerdings wohl einen Verdacht, wie Insider berichten. Da zwischen den Bahnhöfen Oranienburger und Friedrichstraße keine Weichen liegen, scheiden diese als Ursache wohl aus.
Es könnte jedoch sein, dass hier »Toleranzen ausgereizt« worden sind, wie es heißt. Das kann sich auf mehrere Aspekte beziehen. Beispielsweise die korrekte Lage der Gleise im Schotterbett, aber genauso auf das Profil der Schienen oder auch der Räder des Zugs. Im Betrieb verschieben sich Gleise teils unmerklich, Schienen und Räder nutzen sich ab. Für alles gibt es gewisse Toleranzen, bevor durch das Abdrehen von Radprofilen, das Schleifen der Schienenköpfe oder eine Lagekorrektur der Gleise eingegriffen werden muss.
Möglicherweise hat das also im Zusammenspiel mit ausgereizten Toleranzen bei vielleicht allen drei genannten Punkten zur Entgleisung geführt. Die Strecke ist mit ihren engen Kurven und häufigem Wechsel zwischen Rampen, die bergauf und bergab führen, eisenbahntechnisch eine Herausforderung.
»Die Untersuchungen der Behörden vor Ort laufen weiterhin und werden voraussichtlich am Montag abgeschlossen«, erklärte ein Bahnsprecher am Freitag. Erst danach könne der entgleiste Zug abgeschleppt werden. »Anschließend reparieren wir die Infrastruktur, etwa die beschädigte Stromschiene.«
Es gebe derzeit »keine Hinweise auf eine Einwirkung durch Dritte«, so die Bundespolizei. Sie ermittelt mit der Eisenbahnuntersuchungsstelle des Bundes zu den Ursachen. Dafür werden auch Zeugen gesucht, die zur Unfallzeit am Bahnhof Friedrichstraße oder im betroffenen Zug waren. Sie sollen sich bei der Bundespolizei melden.
Auch das Eingleisen des Zuges und der Abtransport Richtung Betriebswerk Wannsee gestaltet sich in dem engen Tunnel jedoch komplizierter und zeitraubender als auf freier Strecke. Wie auf Bildern zu sehen ist, mussten bei dem betroffenen sogenannten Viertelzug, der aus zwei Wagen besteht, zunächst die Kupplung sowie der Faltenbalg getrennt werden.
Wie schwer die Strecke durch die Entgleisung beschädigt worden ist, bleibt für Außenstehende unklar. Auf »nd« vorliegenden Bildern ist jedoch zu erkennen, dass die neben dem Gleis verlaufende Stromschiene abgerissen und zumindest die Wandverkleidung des Bahnhof Friedrichstraße beschädigt worden ist. Die Reparatur dürfte einige Zeit in Anspruch nehmen.
Die Deutsche Bahn war zunächst offenbar optimistischer, was eine schnelle Wiederinbetriebnahme des regulären Betriebs anbelangt. Am Donnerstagmorgen war auf strecken.info zunächst eine Sperrung nur bis 13 Uhr desselben Tages angekündigt, später wurde der Termin auf 18 Uhr verschoben, schließlich lautete die Ankündigung, dass ab 4 Uhr früh am Freitag wieder Züge fahren sollen.
Zuletzt entgleiste an praktisch derselben Stelle im Jahr 2008 ein historischer S-Bahn-Zug. Die komplizierte Bergung dauerte damals knapp 24 Stunden. Gehäuft kam es zu Entgleisungen nach der Übernahme des West-Berliner S-Bahn-Betriebs von der Deutschen Reichsbahn durch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) 1984. Das im Eisenbahnbetrieb unerfahrene Landesunternehmen hatte das Profil der S-Bahn-Räder auf Bundesbahn-Norm geschliffen. Zu den Entgleisungen beigetragen haben dürfte auch der schlechte Zustand der Strecke.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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