Mehr Arbeit, weniger Lohn

Wie sehen die Arbeitsbedingungen von Live-in-Betreuungskräften konkret aus?

  • Eva Roth
  • Lesedauer: 3 Min.
Die gesetzliche Pflegeversicherung übernimmt nur einen Teil der Pflegekosten. Deshalb gebe es keine ausreichende ambulante pflegerische Betreuung, sagt Heike Prestin von der Diakonie. Diese Lücke füllen schlecht bezahlte Arbeitskräfte aus Osteuropa und Angehörige.
Die gesetzliche Pflegeversicherung übernimmt nur einen Teil der Pflegekosten. Deshalb gebe es keine ausreichende ambulante pflegerische Betreuung, sagt Heike Prestin von der Diakonie. Diese Lücke füllen schlecht bezahlte Arbeitskräfte aus Osteuropa und Angehörige.

Schätzungsweise 600 000 Frauen aus Osteuropa leben und arbeiten derzeit hierzulande in Privathaushalten und kümmern sich um alte, hilfebedürftige Menschen. Ihre Arbeitsbedingungen beschreibt Justyna Oblacewicz von Faire Mobilität so: Die Frauen hätten unterschiedliche Verträge, je nachdem, aus welchem Land sie kommen. Polnische Betreuungskräfte hätten in der Regel Dienstleistungsverträge, die von einer Art Selbstständigkeit ausgehen - diese Beschäftigungsform sei am weitesten verbreitet. Frauen aus Kroatien, Ungarn und Rumänien seien häufig bei deutschen Unternehmen angestellt, serbische Kolleginnen hätten oft gar keine Verträge, so die Branchenkoordinatorin für häusliche Betreuung bei Faire Mobilität, dem Beratungsnetzwerk für Arbeitsmigrant*innen aus Osteuropa.

1300 Euro im Monat

Eines gelte dabei immer: »Was in den Verträgen steht, stimmt nie mit der tatsächlichen Arbeitsrealität überein.« Die Frauen arbeiteten länger als vereinbart und erhielten weniger als den gesetzlichen Mindestlohn von 9,60 Euro pro Stunde. »In der Regel erwarten die Familien zunächst einmal, dass die Frauen immer zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden. Genau das vermitteln Agenturen ja auch, wenn sie von einer 24-Stunden-Betreuung sprechen«, sagt Oblacewicz »nd.Die Woche«. »Oft werden erst dann Pausen vereinbart, wenn die Frauen dies einfordern. Die Pausen sind aber nicht immer verlässlich. Je nach Familie geht die tatsächliche Arbeitszeit inklusive Bereitschaft dann mehr oder weniger in Richtung 24 Stunden am Tag.«

Die Vergütung betrage meist um die 1300 Euro netto im Monat. »Bei polnischen Betreuungskräften kommen brutto minimale Rentenbeiträge hinzu. Sie haben aber keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub. Geld gibt es nur, wenn sie arbeiten, weil sie formal freie Mitarbeiterinnen sind.« Darum sind die 1300 Euro nicht mit einem Nettogehalt von Angestellten vergleichbar.

Fair-Care will es anders machen

Es gibt aber auch Projekte, die sich für legale Arbeitsverhältnisse einsetzen, bei denen die gesetzlichen Standards des Arbeits- und Sozialschutzes eingehalten werden. So vermittelt der diakonische Dienst Fair-Care, der zu dem gemeinnützigen Verein für Internationale Arbeit gehört, Betreuerinnen aus Osteuropa, die einen regulären Arbeitsvertrag haben. Die Frauen sind bei den Familien angestellt, erläutert Tetiana Darchiashvili von Fair-Care. »Wir nehmen den Haushalten die administrative Arbeit ab.«

Die Betreuerinnen haben eine 40-Stunden-Woche und 30 Urlaubstage. Fair-Care kümmert sich um Vertretungen, auch bei Krankheit. In der Regel betreuen die Arbeitskräfte tagsüber die alten Menschen. »Wir empfehlen, einen Tagesplan zu erarbeiten, in dem die Pausen geregelt sind«, sagt Darchiashvili. Allerdings sei es oft schwierig abzugrenzen, was zur Arbeitszeit gehört. Manche Familien erwarteten zu viel, manchmal auch die alten Menschen - etwa Hausfrauen, die selbst nie Geld für ihre Arbeit bekommen haben.

Wenn eine Familie Hilfe beantrage, die mit einer Arbeitskraft nicht abzudecken ist, »machen wir das nicht«, sagt Darchiashvili. Dies gelte etwa dann, wenn auch nachts häufig Hilfe nötig sei.

»Viele können sich das nicht leisten«

Derzeit habe Fair-Care rund 200 Arbeitskräfte aus Polen, Bulgarien und Rumänien in Deutschland vermittelt. Für die Haushalte koste die Betreuung rund 2700 bis 2800 Euro im Monat, inklusive Vermittlungsgebühren. Die Betreuerinnen erhielten bei einer vollen Stelle einen Bruttolohn von rund 2100 Euro im Monat. Kost und Logis wird vom Haushalt gestellt. »Bei uns melden sich viele, weil sie einen fairen Weg gehen wollen«, sagt Darchiashvili. Menschen mit hohen Einkommen können das bezahlen, bei Hilfebedürftigen mit wenig Geld können die Kosten teilweise oder ganz vom Sozialamt übernommen werden. »Doch viele Haushalte, die dazwischen liegen, können sich das nicht leisten.«

Die Ampel-Parteien planen nun, Familien mit Kindern oder Pflegebedürftigen einen Zuschuss zu zahlen, wenn sie Haushaltshilfen beschäftigten.

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