• Kultur
  • Nachruf auf Sidney Poitier

Botschafter eines künftigen Amerikas

Zum Tod des großen US-Schauspielers und Diplomaten Sidney Poitier

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.

Am Anfang singt er und am Ende wieder. Er singt beide Male mit Inbrunst und ganz ohne Rücksicht auf die Ohren anderer. Ist das ein gutes Zeichen? Ja, wenn man davon absieht, dass der Sträfling Joah sich am Anfang auf einem Gefängnistransport befindet und am Ende ebenso.

Dazwischen liegt eine vergebliche Flucht. Fast wäre sie gelungen, aber eben nur fast. Davon erzählt Stanley Kramers »Flucht in Ketten« von 1958. Ein Meilenstein des US-amerikanischen Films mit dem damals 31-jährigen Sidney Poitier und Tony Curtis in den Hauptrollen. Ein Schwarzer und ein Weißer aneinandergekettet, da müsse man sich keine Gedanken machen, so der Gefängnisdirektor, spätestens nach zehn Kilometern würde einer von ihnen den anderen erschlagen. Tatsächlich hassen sie sich, aber die Kette ist zu kurz, als dass sie diesem Hass Raum geben könnten.

Es sind Dialoge wie diese, die den Zuschauern des an Rassentrennung gewohnten Amerika der 1950er Jahre den Atem verschlugen. Poitier zu Curtis, die Verfolger knapp hinter ihnen: »Du bist so weiß, dein Gesicht ist der reinste Vollmond.« - Eine Handvoll Erde macht das weiße Gesicht dunkler. Poitier zufrieden: »Jetzt scheint nur noch die Gemeinheit durch.« - Curtis: »Genau. Komm!«

Am Ende dann ist die Flucht gescheitert, da sind sie die metallene Kette längst losgeworden, aber nun sind es andere Dinge, die sie verbinden. Einer allein hätte es schaffen können? Dann eben gar nicht. Es sind starke Botschaften, die von Filmen wie diesem ausgehen. Doch die Botschaft allein macht bekanntlich noch keine Kunst. Sidney Poitier war ein Ausnahmekünstler mit einer immensen Ausstrahlung, einer, der seine Zuschauer in Bann zu schlagen vermochte.

Geboren wurde Sidney Poitier 1927 in Florida, dort waren seine Eltern, die auf den Bahamas lebten, gerade zu Besuch gewesen. Und nach dem Geburtsortsprinzip wurde der Junge US-Amerikaner. Doch aufgewachsen ist er auf den Bahamas, in großer Armut - es gab auf dem Bauernhof seiner Eltern weder Elektrizität noch fließendes Wasser.

In seinem 15. Lebensjahr kam er wieder in die USA, ging nach New York, spielte in Harlem im American Negro Theatre. 1950 entdeckte ihn Hollywood-Produzent Darryl F. Zanuck und besetzte ihn als Gegenspieler von Richard Widmark in Joseph L. Mankiewicz’ »Der Hass ist blind«. Ein weißer Patient in Lebensgefahr verweigert sich in der Notaufnahme eines Krankenhauses der Behandlung durch einen »Nigger«. Zu der Zeit ein brisantes gesellschaftspolitisches Thema.

In einer ganzen Reihe von Filmen, die offen oder latent von Rassendiskriminierung handelten, spielte er sich unter den jungen Hollywood-Darstellern nach vorn - in »Die Saat der Gewalt«, »Porgy und Bess«, »Ein Fleck in der Sonne« oder »Lilien auf dem Felde« (wofür er 1964 als erster schwarzer Schauspieler den Hauptdarsteller-Oscar erhielt).

Poitier vermochte jeden Film durch sein Charisma zu prägen. Aus der Reihe der großen Filme aber sticht einer noch heute heraus: »In der Hitze der Nacht« von 1967 (ebenfalls oscarprämiert) in der Regie von Norman Jewison. Hier sehen wir das Duell zweier filmischer Schwergewichte: Sidney Poitier contra Rod Steiger. Ein Meisterwerk, das in seiner kompromisslosen Filmästhetik immer noch besticht.

In einer Südstaaten-Kleinstadt ist ein Mord geschehen, ein wichtiger Unternehmer von außerhalb, der hier eine Fabrik bauen wollte, liegt eines Nachts erschlagen auf der Straße. Ein Schwarzer wird am Bahnhof festgenommen und umstandslos als Mörder behandelt. »Na, los Negerjunge, erzähl uns mal, wie du den Mann umgebracht hast!« Rod Steiger hat bei diesen Worten eine trivial-dämonische Ausstrahlung, die vermuten lässt, diesen Worten sollten sogleich gewaltsame Taten folgen.

Es ist eine Szenerie immer knapp vorm Pogrom, an der sich eine ganze Stadt gegen einen Einzelnen zusammenrottet. Aber dieser Einzelne erweist sich in jedem Moment als souverän. Schnell stellt sich heraus, dass der »Negerjunge« Polizeiinspektor Virgil Tibbs aus Philadelphia ist, zudem ein erfolgreicher Mordermittler. Aber an der Rhetorik ihm gegenüber ändert das erst einmal nichts. Schwarze sind hier immer so etwas wie ehemalige Sklaven, und sie werden bestenfalls wie Dienstboten behandelt, geduzt sowieso und, so oft es geht, beleidigt. »Wie nennt man dich denn im Norden Virgil?«, so der von Vorurteilen getriebene Bulldozer von Sheriff. »Dort nennt man mich Mister Tibbs!«, kontert dieser.

Eine schwer erträgliche Abfolge von Demütigungen und Schikanen, aber was Poitier aus seiner Rolle macht, wirkt dann umso erstaunlicher. Er bleibt ruhig, geradezu gelassen, die pure Verkörperung des Weltgeistes, der um die niederen Affekte der Menschen, vor allem die der Provinz, zu genau weiß, um darüber seine Contenance zu verlieren. Ein gut angezogener Mann aus der Großstadt, mit kultivierten Umgangsformen, ein erstklassiger Fachmann dazu - da wendet sich die Wut der Provinzler umso schneller gegen ihn. Dass er schwarz ist, scheint für ihn selbst keine Rolle zu spielen, er trägt die universalen Werte der Aufklärung bis in dieses dunkle Kaff, wo sich die Weißen etwas auf ihre Hauptfarbe einbilden. Regisseur Norman Jewison führt den infantilen Dünkel der Provinz schonungslos vor.

Natürlich wird es für Virgil Tibbs immer gefährlicher, je näher er der Wahrheit kommt. Und nun ist es der Sheriff, in dem das Gewissen erwacht. Hat er hier nicht die gleiche Aufgabe zu erfüllen wie sein schwarzer Kollege, muss er ihn nicht schützen vor dem Lynchmob? Eine einzige Szene zeigt Poitier als Handelnden gegen die herrschenden Rassevorurteile. Sehr kühl, geradezu beiläufig, aber auch wieder ganz selbstverständlich. Als er in Begleitung des Sheriffs den Baumwoll-Großproduzenten vor Ort, der der Südstaaten-Sklaverei ganz offen nachtrauert, befragen will, erklärt ihm dieser, Schwarze seien wie Kinder, sie bräuchten viel Aufmerksamkeit und Strenge. Poitier zeigt keine Regung, überhört dies, er habe Fragen an ihn zum geschehenen Mord.

Der Baumwollmogul gibt ihm daraufhin eine Ohrfeige - und augenblicklich gibt sie ihm Poitier zurück. Perplex fragt der heimliche Herr des Ortes den daneben stehenden Sheriff, was der nun zu tun gedenke. Er wisse es nicht, antwortet dieser - und weiß es wirklich nicht. Sein Vorgänger, so der Nachfahre der Südstaaten-Sklavenhalter, hätten diesen »Nigger« sofort erschossen. Mit seinem Zögern aber ist auch der Sheriff zum Fremden in der Kleinstadt geworden.

Was folgt, ist eine eindrucksvolle Variation auf die widerspenstige Zähmung, und das ganz durch überlegende Ruhe und Vernunft, wie sie Sidney Poitier verkörpert. Rod Steiger muss sich entscheiden. Er wird Mensch und weiß sich seinem schwarzen Kollegen näher als dem Pogrommob der Stadt.

Immer wieder in seinem Leben als Schauspieler und Bürger hat sich Sidney Poitier als Brückenbauer in einem bis heute gespaltenen Land bewährt. Er wusste, Menschen, egal welcher Hautfarbe, eint die Fähigkeit zum Denken und Fühlen. Sein Talent als Diplomat hat er im Alter auch als Botschafter für die Bahamas unter Beweis gestellt. Am 6. Januar ist Sidney Poitier mit 94 Jahren in Los Angeles gestorben.

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