Don’t kill the messenger

Den Boten erwischt es oft, wenn der Inhalt der Nachricht missfällt

Dass der Überbringer unangenehmer Nachrichten allzu oft für deren Inhalt verantwortlich gemacht wird, scheint zu den Mustern zu zählen, die die Menschheit nicht überwinden kann. »Don’t kill the messenger«, mahnt ein englisches Sprichwort und will den Boten schützen. Die erste Erwähnung der problematischen Verknüpfung von Ursache, Wirkung und Folge ist bereits in griechischen Schriften um 470 vor Christus zu finden. Heute könnte es Telegram treffen. Im digitalen Bereich hat sich dieses Verhaltensmuster in den letzten Jahren immer wieder gezeigt. Symptomatisch dafür steht auch die fälschlicherweise sogenannte Facebook-Revolution vor rund zehn Jahren.

Ins Bewusstsein rückte Ägypten, als sich Tausende Menschen auf dem Tahirplatz in Kairo versammelten. Es bildete sich die Erzählung von einer »Facebook-Revolution« heraus, obgleich nichts am Netzwerk revolutioniert wurde und auch Twitter eine wesentliche Rolle bei der Organisation der Proteste spielte. Auslöser dafür waren nicht die Netzwerke, über die die Menschen sich organisierten, sondern die politische und soziale Unzufriedenheit der Menschen. Nicht zuletzt hatten steigende Preise bei Grundnahrungsmitteln dafür gesorgt, dass die Krise über lange Zeit wirkte.

»Wir hatten solche Phänomene im Iran«, sagte 2012 die Professorin Marianne Kneuer und wies darauf hin, dass es vergleichbare, auf soziale Medien gestützte Organisationsformen gab, die aber im Iran nicht zur Revolution führten. In der Bekämpfung des Arabischen Frühlings spielte dann aber bald die zeitweise Abschaltung des Internets oder einzelner Plattformen ebenso eine Rolle wie später staatliche Eingriffe und Sperrmaßnahmen in China oder in der Türkei.

Lesen Sie auch »Nicht nur ein Hass-Megaphon« von Sebastian Weiermann

Im Fall Telegram nun dieselben Fehler zu machen - dieses Mal läuft die Debatte in Deutschland -, sollte vermieden werden. Betreiber von Netzwerken entziehen sich zu Recht den Löschversuchen, die häufig staatliche Ersatzmaßnahmen für die eigentlich nötige strafrechtliche Verfolgung der Verbreiter von Hassbotschaften sind. Reglementiert und knebelt ein Staat einen Kommunikationskanal, verschwindet das Problem nicht. Es werden neue Kommunikationsmittel gefunden, instrumentalisiert und missbraucht. Für das politische Problem ist das keine Antwort. Es ist nur für eine Weile weniger sichtbar.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal