Rechtsextreme Inhalte und rechtliche Möglichkeiten

Ob Social Media oder Messenger-Dienst: Telegram zu sperren ist schwierig. Seine Nutzer würden zu anderen Plattformen wechseln

  • Elke Wittich
  • Lesedauer: 3 Min.
Telegram: Rechtsextreme Inhalte und rechtliche Möglichkeiten

Das Bundesjustizministerium tendiert dazu, Telegram eher als Social Media einzuordnen denn als Messenger-Dienst. Das würde es einfacher machen, den Dienst auf Grundlage des Netzdurchleitungsgesetzes beispielsweise zu sperren. Dieses Gesetz, so erklärt der Leipziger Rechtsanwalt Erkan Zünbül, beziehe sich nämlich nur auf soziale Netzwerke. In Paragraf 1, Absatz 3 des NetzDG seien Messenger ausgenommen, weil sie der Individualkommunikation dienten. »Beim Versuch, auf der Grundlage des Netzdurchleitungsgesetzes Telegram zu sperren, wird man nicht weit kommen«, ist er sicher.

Im Fall Telegram ist die Einordnung kompliziert: Als Instant-Messenger 2013 von den russischen Brüdern Nikolai und Pawel Durow gestartet, hat der Dienst auch Merkmale von Social Media. Denn neben der Chat-Funktion gibt es öffentliche oder private Gruppen, in denen sich bis zu 200 000 Menschen miteinander austauschen können. Dazu kommen so genannte Kanäle, die eine unbegrenzte Zahl von Teilnehmern und Teilnehmerinnen ermöglichen.

Aus technischer Sicht ist die Einordnung von Telegram allerdings klar: »Einer Gruppe von Leuten wird eine Nachricht zugestellt. Damit handelt es sich um einen Chat«, sagt der Informatiker und Journalist Boris Mayer. Natürlich habe auch Facebook mittlerweile eine Chat-Funktion, »aber das ist eben nicht alles, was Facebook ausmacht«. Dass auch auf Telegram in Gruppen miteinander kommuniziert werden könne, ändere nichts am Chat-Prinzip, betont er, und erklärt: »E-Mails können zum Beispiel auch an mehrere Empfänger versendet werden, auf die wiederum alle Beteiligten antworten können - das macht sie aber noch lange nicht zu Social Media.«

Und noch etwas unterscheide Gruppenchatfunktionen von klassischem Social Media: »Bei Social Media sind einzelne Personen miteinander verbunden, entweder beidseitig (Freunde) oder einseitig wie Follower oder Abonnenten.« Aus all diesen Verbindungen ergäben sich »Netze mit Relationen wie zum Beispiel ›Freunde von Freunden‹, von denen man hin und wieder Kommentare unter Postings von Freunden liest«. Bei Telegram-Gruppenchats seien dagegen lediglich die Teilnehmer einer Gruppe miteinander verbunden. Ähnlich sieht das auch der Münchner Rechtsanwalt Thomas Stadler, der bereits im Dezember 2020 in einem Blogpost darauf hinwies, dass seiner Meinung nach allenfalls Owner von Telegram-Gruppen als Anbieter von Social Media gesehen werden könnten. Das werfe allerdings ein Problem auf, denn »soziale Netzwerke mit weniger als zwei Millionen Nutzern im Inland sind nach § 1 Abs. 2 NetzDG von den wesentlichen gesetzlichen Pflichten befreit. Die Nutzeranzahl der Telegram-Gruppen ist aber auf 200 000 begrenzt, so dass die gesetzliche Grenze nicht überschritten wird.«

Eine Möglichkeit, Telegram dazu zu zwingen, etwa rechtsextreme Inhalte zu löschen, sei »der Rückgriff auf die Störerhaftung«, meint Thomas Stadler. Aber auch das ist problematisch, denn das Unternehmen beziehungsweise sein Entwicklerteam sind formal in Dubai ansässig. »Eine Briefkastenfirma wird sich durch die Zustellung einer Vollstreckung sicher nicht beeindrucken lassen«, betont Erkan Zünbül. »Man braucht jemanden, der haftbar gemacht werden kann, daran ist vor einigen Monaten schon Russland gescheitert, das nun wirklich große Erfahrung mit Zensur hat.«

Der erfolgversprechendste Weg sei wohl, »in Dialog mit großen Tech-Unternehmen zu treten«, sagt er. Um die Verbreitung von IS-Propaganda zu minimieren, sei beispielsweise Druck auf Apple und Google gemacht worden. Im Übrigen sei es blauäugig anzunehmen, dass die Querdenker-Ideologie durch die Sperrung oder Abschaltung eines Kanals plötzlich verschwinde: »Man sieht jetzt schon, dass dazu aufgerufen wird, Alternativen zu nutzen, also sich bei anderen Plattformen Accounts anzulegen.«

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