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- Holocaust-Comic »Maus« in den USA
Dumm und banal
Moritz Wichmann über konservativen Kulturkampf in den USA
Ein kleiner Sturm der Entrüstung fegte diese Woche durch die liberalen US-Kabelfernsehsender und die sozialen Netzwerke: Die Schulaufsichtsbehörde in McQuinn County in Tennessee hatte mit einem 10:0-Votum entschieden, die Graphic Novel »Maus« aus dem Lehrplan zu streichen. Die Entscheidung zeige den Antisemitismus im konservativen Landkreis, unkten Kommentatoren auf Twitter.
Die Verbannung des Comics, der Nazis als Katzen und Juden als Mäuse zeigt und Kindern die Shoa einfach erklärt, ausgerechnet zum internationalen Holocaust-Gedenktag – das war natürlich ein gefundenes Fressen für liberale Empörung über rückständige Hinterwäldler.
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Tatsächlich fällt die Entscheidung in eine Reihe von Bücherverboten, die in den letzten Wochen und Monaten in republikanisch dominierten Gegenden in den USA in Schulen erlassen wurden. Sie ist Teil eines Kulturkampfs gegen Rassismuskritik und echte oder vermeintliche Critical Race Theory, die konservative Aktivisten derzeit überall im Land in die demokratisch gewählten »school boards« tragen, welche die Schulen verwalten.
Auch Maus-Schöpfer Art Spiegelmann, der mit dem Klassiker seine Familiengeschichte verarbeitet hatte, sieht einen »Hinweis auf das, was noch kommen kann«. Doch er betonte im CNN-Interview, die Mitschnitte der Debatte der Schulaufsichtsbehörde in Quinn County würden auch zeigen, dass etwa das Jüdischsein des Autors keine Rolle spiele und der Holocaust nicht der Grund für die Streichung sei.
Viel mehr sei das Problem »größer und dümmer«: Schimpfwörter und ein Bild, das Nacktheit zeigt, seien die Ablehnungsgründe gewesen. Damit ist die Entscheidung ein perfektes Beispiel für die unter konservativen US-Eltern um sich greifende Abwehr jeglicher Bildungsinhalte, die bei weißen Kinder ein »ungutes Gefühl« oder Scham auslösen könnten. Das Comic-Verbot ist Ausdruck des neuen weinerlichen Konservatismus, der versucht, sich von Kritik zu isolieren.
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