Ein hoher Preis für die Umwelt

Polen baut eine Mauer an der Grenze zu Belarus, um Migration in die EU zu verhindern. Bogdan Jaroszewicz ist Experte für den Białowieża-Wald und warnt vor den Folgen für die Biodiversität im Naturschutzgebiet

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 5 Min.

In der letzten Woche hat Polen begonnen, eine 186 Kilometer lange und 5,50 Meter hohe Mauer an der EU-Außengrenze zu Belarus zu bauen. Sie soll verhindern, dass Asylsuchende die Grenze überqueren, und soll umgerechnet über 350 Millionen Euro kosten. Ein Teil des Baus verläuft durch den Białowieża-Wald. Deswegen kritisieren auch Naturschützer diese Mauer.
Weltweit gibt es rund 40 000 Kilometer solcher Grenzbarrieren, in etwa 70 Ländern. Studien zeigen, dass dadurch die Migration von Menschen nicht gestoppt wird. Menschen sind immer in der Lage, andere Wege zu finden - Tunnel zu graben, Leitern aufzustellen oder einfach eine andere Route zu nehmen. So eine Mauer trägt nur dazu bei, das Einkommen der Schmuggler zu erhöhen. Menschen werden trotzdem Grenzen überqueren. Aber der Preis, den die Umwelt für eine solche Mauer zahlt, ist hoch.

Inwiefern?
Der Białowieża-Wald ist einer der besterhaltenen Mischwälder Mitteleuropas - und Unesco-Weltkulturerbe. Er erstreckt sich über die Grenze von Polen und Belarus. Dieses Gebiet ist seit fast 12 000 Jahren mit Wald bedeckt. In der Folge ist die Artenvielfalt hier extrem groß. Es gibt viele Tier- und Pflanzenarten, aber auch Pilze, die so in anderen Wäldern nicht mehr vorkommen. Hier lebt noch das komplette Ensemble der Wirbeltiere, die für mitteleuropäische Wälder typisch sind. Einschließlich Wisente, Luchse, Schneehasen und Wölfe und einige Braunbären, die erst in den letzten zwei bis drei Jahren wieder zurückgekommen sind - aus Belarus übrigens.

Interview

Bogdan Jaroszewicz ist Direktor der Geobotanischen Station Białowieża an der Universität Warschau. Er forscht und lehrt unter anderem zum Thema Erhaltung von Waldökosystemen am Beispiel des Białowieża-Waldes. Er ist Mitglied der Weltkommission für Schutzgebiete (IUCN). Ulrike Wagener sprach mit ihm darüber, wie sich der Bau der Grenzmauer in Polen auf den Wald auswirkt.

Bis jetzt war der Białowieża-Wald ein einziges zusammenhängendes Ökosystem. Die Tiere waren in der Lage, sich frei zu bewegen, das heißt, es gab auch einen Genaustausch über die Grenze hinweg. Diese Mauer wird die Bewegungen größerer Tiere komplett verhindern - und zwei getrennte Ökosysteme schaffen, die sehr viel kleiner sind als das bisherige. Damit werden sie viel anfälliger für die Auswirkungen von Störungen. Zum Beispiel für Insektenbefall nach Windbruch, also wenn Bäume durch starke Stürme entwurzelt oder beschädigt wurden. Und je kleiner das Ökosystem ist, desto schwieriger ist es, dass es sich von einer solchen Störung erholt.

Welche Folgen hat das für die Tiere?
Vom Luchs gibt es beispielsweise auf polnischer Seite des Waldes etwa 10 bis 20 Individuen. Normalerweise haben diese sich mit Tieren auf der belarussischen Seite kreuzweise verpaart. Das wird jetzt nicht mehr möglich sein. Das kann dazu führen, dass der Genpool sich verschlechtert, die Tiere anfälliger für Krankheiten werden. Im schlimmsten Fall könnten seltene Arten wie eben der Luchs oder auch der Schneehase aussterben.

Gibt es ähnliche Effekte bei Pflanzen?
Die Mauer wird sich auf das Funktionieren unseres gesamten Ökosystems auswirken. Mit den umfangreichen Erdmassen, die bewegt werden, um die Straßen zu den Baustellen und die Barriere an sich zu errichten, werden Pflanzenarten in andere Gebiete verschleppt. Außerdem können auch die Baufahrzeuge selbst solche invasiven Arten in den Wald einbringen. Dadurch werden heimische Arten verdrängt, die Biodiversität verringert sich.

Ein weiteres Problem sind die Metallelemente der Mauer. Diese werden alle paar Jahre zur Instandhaltung gestrichen oder anderweitig bearbeitet werden müssen. Das bedeutet, wir werden Tonnen von Chemikalien in unser Ökosystem bringen - in die Luft, in den Boden und die Flüsse, die durch diese Gegend verlaufen.

Die Mauer soll mit Bewegungsmeldern, Kameras und Beleuchtung ausgestattet werden. Stört das die Tiere?
Kameras oder Bewegungsmelder sind kein Problem für Tiere, aber das Licht. Licht stört das Verhalten von Nachttieren - nicht nur Wirbeltiere, auch Vögel und Insekten sind davon betroffen. Viele nachtaktive Insekten etwa nutzen Licht zur Koordination im Raum. Kommen künstliche Lichtquellen dazu, können sie Schwierigkeiten bekommen, Nahrungsquellen ausfindig zu machen oder in der Paarungszeit einen Partner zu finden.

Nach Gesprächen mit Naturschützern hat die Regierung Änderungen vorgenommen, oder?
Ja, es sollen 22 Tore in die Mauer eingebaut werden. Für 186 Kilometer ist das nicht viel. Außerdem gehe ich davon aus, dass diese Tore geschlossen bleiben, solange es menschliche Migration an dieser Grenze gibt. Angenommen, sie würden sie öffnen und militärisch bewachen - dann würden die Tiere auch nicht durchgehen.

Sie haben sehr viel über Biodiversität gesprochen. Warum ist das so wichtig?
Die für mich beste Erklärung dafür, ist das »One Health«-Konzept. Das geht davon aus, dass wir unsere eigene Gesundheit und unser Wohlergehen nicht trennen können von dem unserer Umwelt und der Tiere, die darin leben. Je höher die Biodiversität in einem Ökosystem ist, desto stabiler, sicherer und gesünder ist es. Und das wirkt sich positiv auf unsere eigene Gesundheit aus.

Nehmen Sie zum Beispiel die Corona-Pandemie: Studien zeigen, dass stark bewaldete Gegenden weniger von dem Virus betroffen waren. Umgekehrt führt der große Druck des Menschen auf die Ökosysteme zu einem engeren Kontakt zwischen Mensch und Tier, was zur Übertragung von Viren führt, die dem Menschen bisher unbekannt waren.

Sehen Sie noch eine Möglichkeit, den Bau zu stoppen?
Es gibt derzeit Gespräche der Unesco mit der polnischen Regierung. Doch die Bauarbeiten haben bereits begonnen. Und die Unesco ist eine diplomatische Organisation, die langsam arbeitet. Ich fürchte, wenn sie reagieren, wird es zu spät sein. Und von der Europäischen Union erwarte ich keine Intervention. Sie scheint diesen Bau zu unterstützen, wenn auch nicht finanziell.

Grenzen der Entmenschlichung. Im polnischen Wald steht Geflüchteten eine Armee gegenüber. Ihre Aufgabe: sie zurück nach Belarus zu befördern. Hilfe gibt es nur von Aktivist*innen - und deren Arbeit wird kriminalisiert

Was ist mit Protestaktionen?
Als die polnische Regierung 2018 Bäume hier im Naturschutzgebiet fällen wollte, gab es viele Aktivisten, die das blockiert haben. Das ist aktuell nicht möglich, weil die Bauarbeiten innerhalb der militärischen Sperrzone stattfinden. Aktivisten kommen an die Baustelle gar nicht heran. Ich bin mir sicher: Diese Mauer wird gebaut.

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