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  • Coronaproteste und die Linke

Kritik im Handgemenge

Ist die Protestbewegung gegen die Pandemiepolitik für eine vernünftige Gesellschaftskritik wirklich verloren? Das Verhältnis der Linken zu dieser Frage ist gespalten

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 8 Min.

Ein guter Leugner stirbt zuhaus und schont damit das Krankenhaus« - das war zu lesen auf einem Transparent der »Provinz Antifa Bergedorf«, bei einer Protestaktion gegen eine Demonstration von Gegner*innen der Corona-Maßnahmen am 5. Februar in Hamburg-Bergedorf. Weitere Transparente trugen den (ein kleines bisschen weniger martialischen) Spruch »Stäbchen rein - getestet sein«. Zivilgesellschaftliche und antifaschistische Gruppen mit ähnlichen Parolen wenden sich mittlerweile in vielen deutschen Städten gegen die »Spaziergänge« der Impfkritiker*innen, die seit Mitte Dezember 2021 stattfinden. Im Internet kann man Hunderte Orte finden, wo diese sich zumeist am Montagabend zum Protest versammelten. In größeren Städten wie in Hamburg, Köln und Berlin trafen sich die Impfkritiker*innen in verschiedenen Bezirken und Stadtteilen, häufig vor den Rathäusern oder einer Kirche.

Zu diesen Veranstaltungen kommen Menschen, die bisher noch nie auf einer Demonstration waren. Scheinbar wird hier ein alter linker Traum zur Wirklichkeit: Menschen, die bisher nicht politisch aktiv waren, gehen auf die Straße, ohne dass Parteien oder andere Großorganisationen dazu aufrufen. Doch ein großer Teil der parlamentarischen und außerparlamentarischen Linken war wenig erfreut über diese Aktivitäten. Vor allem in größeren Städten beteiligen sie sich an Gegenprotesten zu den »Montagspaziergängen« wie dem in Hamburg-Barmbek. Hier sind oft die Aufforderungen, sich impfen zu lassen und von Rechten zu distanzieren, nebeneinander auf den Transparenten und Plakaten zu lesen. Manchmal schallen den Spaziergänger*innen auch nur die Rufe »Nazis raus« oder »Wir impfen euch alle« entgegen.

Deutsche »Gelbwesten«?

Das hat auch Dietrich Wegner in den letzten Wochen mehrmals beobachtet. Er ist seit Jahren in der Initiative »Jour Fixe - Gewerkschaftslinke Hamburg« aktiv, die sich für die Unterstützung betrieblicher Kämpfe einsetzt. Als im Dezember 2021 auch in Hamburg die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen größer wurden, suchte eine Gruppe der linken Gewerkschafter*innen das Gespräch mit den Demonstrant*innen. Die Proteste erinnerten sie an die Bewegung der Gelbwesten, die 2018 und 2019 in Frankreich eine Massenbewegung waren. Auch dort fanden sich Menschen zusammen, die zuvor noch nie an einer Demonstration teilgenommen hatten und in keiner Partei oder Gewerkschaft aktiv waren. Und auch den Gelbwesten wurde anfangs vorgeworfen, rechtsoffen zu sein. Später beteiligten sich in vielen Orten allerdings linke Gruppen und Basisgewerkschaften an ihren Aktivitäten. So näherten sich in verschiedenen Städten die regionalen Gelbwesten an Gruppen der außerparlamentarischen Linken an, bevor die Corona-Pandemie diese Straßenaktivitäten massiv einschränkten.

Die Gelbwesten jedenfalls hatten die Hamburger Gewerkschaftslinken vor Augen, als sie am 15. Januar in einen Offenen Brief an das »Hamburger Bündnis gegen Rechts« kritisierten, das dieses die tatsächlich mitlaufenden Rechten in ihren Aufrufen gegen die Corona- Proteste überbewerte. Ausgeblendet werde hingegen, dass sich überwiegend »Normalbürger*innen« mit durchaus nachvollziehbaren Anliegen an den Demonstrationen beteiligten. Diese Klassifizierung der Gewerkschaftslinken ist allerdings ihrerseits problematisch: In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Beispiele, wo Menschen mit der Aussage »Wir sind normale Bürger« an rechten Aktivitäten beteiligten. Im Gespräch mit dem »nd« präzisiert Wegner nun, dass sich »viele Pfleger*innen, Solo-Selbstständige und Studierende« an den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen in Hamburg beteiligen würden. Diese Menschen würden durch die Gegenproteste eher von linken Positionen abgeschreckt, so Wegners Befürchtung, der weiter erzählt: »Am Rande standen kleine Gruppen der Antifa. Diese riefen nicht nur Sprüche wie Nazis! Nazis! und ›Wir impfen euch alle‹, sondern auch ›Masken auf!‹ Polizist*innen mussten die Antifaschist*innen darauf hinweisen, dass zu diesen Zeitpunkt in der Öffentlichkeit in Hamburg keine Masken getragen werden mussten.«

Sozialkritik statt Ressentiments

Auch der Linke-Abgeordnete in der Hamburger Bürger*innenschaft, Mehmet Yildiz, mahnt eine differenzierte Sichtweise auf die Proteste der Corona-Maßnahmenkritiker*innen an. »Die Demonstrationen in Hamburg haben, anders als die in einigen sächsischen Städten, keine rechte Ausrichtung. Die AfD versucht zwar, die Demonstrationen zu kapern, das gelingt ihr jedoch offensichtlich nicht«, so seine Beobachtung. Yildiz warnt vor der Gefahr, dass Ungeimpfte zu Sündenböcken für eine Politik gemacht werden, die das Gesundheitswesen über die vergangenen Jahrzehnte systematisch an Kapitalinteressen ausgerichtet hat. Er schlägt deshalb vor, mit konkreten sozialpolitischen Forderungen in die Bewegung der Maßnahmenkritiker*innen hineinzuwirken: Etwa die Forderungen nach der Rekommunalisierung von Krankenhäusern, besserer Bezahlung des Personals und der Pflegekräfte sowie ein allgemeiner Ausbau des Gesundheitssystems. Mit seiner Forderung, die Produktion bei vollem Lohnausgleich herunterzufahren, geht Yildiz auf Vorschläge des linken Bündnisses »Zero Covid« ein, das seit Frühjahr 2021 für einen »solidarischen Lockdown« wirbt, bei dem die Schließungen in der Arbeitswelt und nicht im Freizeitbereich stattfinden. Indem Yildiz sich gegen eine Impfpflicht ausspricht, sucht er auch den Brückenschlag zu jenem Teil der Kritiker*innen der Corona-Maßnahmen, der sich um den Erhalt der Grundrechte sorgt.

»Die Trennung verläuft nicht zwischen Geimpften und Ungeimpften«, wandelte Sozi36, ein bekannter Sprayer aus Berlin-Kreuzberg, eine bekannte linke Parole ab. Das ist auch der Impetus der Organisator*innen einer Kundgebung unter dem Motto »Nein zur Impfpflicht! Für ein solidarisches Gesundheitswesen«, die am 10. Februar in Magdeburg stattgefunden hat. Der Aufruf zu der Veranstaltung warnt davor, »dass die Ausbreitung einer globalen Pandemie den eigenen Nachbar*innen, Freund*innen oder Arbeitskolleg*innen in die Schuhe geschoben wird«. Stattdessen sollen die »Profiteure dieser Krise« benannt und »das kapitalistische System als Ganzes in den Fokus« genommen werden. Der Kampf um diese Deutung der Pandemiesituation wird in Italien mit seiner stärkeren Tradition von Basisgewerkschaften und außerparlamentarischer Linker schon länger geführt. Zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr und Sommer 2020 hatten Basisgewerkschaften etwa auf selbstorganisierte Lockdowns gesetzt, fanden dabei aber wenig Rückhalt unter den Lohnabhängigen, die zwischen Gesundheitsschutz und Verlust ihrer Arbeitsplätze wählen mussten.

Im Herbst vergangenen Jahres beteiligten sich Hafenarbeiter*innen in Triest und anderen italienischen Städten an Protesten gegen den digitalen Impfnachweis, »Grüner Pass« genannt. An den Blockaden, die die Arbeiter*innen über mehrere Tage organisierten, beteiligten sich auch rechte und faschistische Gruppen. Das linke Autorenkollektiv Wu Ming aus Italien äußerte dennoch Verständnis für die Beteiligung linker Gewerkschaft*innen an den Protesten - trotz des »ideologischen Mülls, der in der Bewegung gegen den Grünen Pass verbreitet« worden sei. »Es ergibt wenig Sinn, über den angeblichen Missbrauch des Begriffs ›Freiheit‹ bei diesen Mobilisierungen zu philosophieren. Das geht an der Sache vorbei, denn meistens geht es den Teilnehmenden nicht um Freiheit, sondern um ihre eigene Proletarisierung«, betonten die linken Intellektuellen in einem Interview mit der Wochenzeitschrift »Jungle World«. Sie wiesen darauf hin, dass ein Teil der prekären, verarmten und verängstigten Mittelschicht die Sprache des sozialen Kampfes nicht beherrscht und nicht zu den Erben politischer Traditionen mit etabliertem Vokabular gehört. Dieses Milieu übersetze, so Wu Ming, »die Wut über seinen kürzlich erfolgten oder bevorstehenden sozialen Abstieg und über die Ungerechtigkeit, die es aufgrund der Art und Weise, wie der pandemische Notfall gehandhabt wurde, erlitten hat, in Begriffe der ›Freiheit‹.«

Die Sichtweise des italienischen Autorenkollektivs deckt sich mit einer Analyse über die Bewegung der »Querdenker*innen«, die das Offene Antifaschistische Treffen Köln kürzlich veröffentlichte. Neben den Vordenker*innen rechter und verschwörungstheoretischer Initiativen wird hier eine zweite Gruppe unter den Maßnahmekritiker*innen ausgemacht: »Kleinbürger*innen, die an verschiedenen Zeitpunkten auf Grund von starken Einschnitten in ihrer finanziellen Situation und daraus resultierenden existenziellen Ängsten einen einfachen Ausweg aus der Pandemie genommen haben, nämlich die Leugnung der Pandemie oder einzelner Aspekte des gesellschaftlichen Pandemiegeschehens«.

Pandemiesituation als Klassenfrage

Die Kölner Antifaschist*innen plädieren für einen differenzierten Umgang mit den Protesten. Während die Rechten klar bekämpft werden solle, müsse die Linke »den wütenden Bürgerlichen, welche die Masse der Demonstrationen ausmachen, (...) eine Alternative aufzeigen«. Die Kölner Antifa erinnert in diesem Zusammenhang an - allerdings meist kurzlebige - linke Organisierungen wie das Hamburger Bündnis zur Umverteilung »Wer hat, der gibt«, aber auch an Beteiligungen an Streiks und Arbeitskämpfen in Krankenhäusern. Dabei stellt sich das von Wu Ming benannte Problem, das entsteht, wenn Menschen auf die Straße gehen, die nie mit linken Positionen in Berührung gekommen sind, in Deutschland mit besonderer Schärfe - wegen der gesellschaftlichen Marginalisierung der Linken und damit auch der linken Positionen .

Fakt scheint jedenfalls: Es werden sich immer mehr Menschen an den Protesten gegen die Maßnahmen beteiligen, die weder die Codes noch die Sprache der Linken kennen. Die (deutsche) Linke muss sich angesichts dessen die Frage stellen, ob sie mit ihrer Rhetorik und ihren Auftreten die Kluft zwischen sich und der Gesellschaft nicht noch vergrößert. Oder, anders formuliert: Wie es gelingen kann, durch soziale Forderungen deutlich zu machen, dass auch der Umgang mit der Pandemie eine Klassenfrage ist. Denn die Spaltung der Gesellschaft verläuft eben letztlich nicht zwischen Geimpften und Ungeimpften, sondern - beispielsweise - zwischen einem Krankenhauskonzern und der dort angestellten Pflegekraft.

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