Kuba kennt kein Omikron

Auf der sozialistischen Karibikinsel geht das Leben fast wieder seinen normalen Gang

  • Andreas Knobloch, Havanna
  • Lesedauer: 5 Min.

Es herrscht weitestgehend Normalität auf den Straßen Havannas. Busse und Taxis rollen wieder durch die kubanische Hauptstadt, Bars und Restaurants sind geöffnet, die Clubs füllen sich allabendlich und seit dem 15. November kommen Touristen quarantänefrei ins Land. Zugangsbeschränkungen gibt es fast nirgends. 3G, 2G oder 2G-plus sind kein Thema; auch nach dem Impfstatus fragt niemand. Nur die Maskenpflicht im öffentlichen Raum erinnert daran, dass die Pandemie noch nicht vorüber ist. Ansonsten herrscht auf Kuba Alltag wie vor Auftreten der ersten Coronafälle - die katastrophale Versorgungslage eingeschlossen.

Das heißt nicht, dass die Pandemie auf der Insel keine Spuren hinterlassen hätte. Durch die ersten Wellen ist das Land noch gut gekommen, nicht zuletzt, weil die Regierung schnell handelte. Die Grenzen wurden geschlossen und es gab eine rigorose Kontaktverfolgung. Medizinstudent*innen gingen von Haustür zu Haustür. Auch setzte Kuba früh auf eigene Medikamente, um schwere Krankheitsverläufe einzudämmen, wie das antivirale Interferon Alfa-2b zur Stärkung des Immunsystems. Nach der Grenzöffnung im Herbst 2020 stiegen die Infektionszahlen aber rapide und Kuba hatte im vergangenen Jahr mit einem der schwersten Ausbrüche weltweit zu kämpfen. Überfüllte Krankenhäuser, Probleme bei der Sauerstoffproduktion und fehlende Medikamente brachten das kubanische Gesundheitssystem an die Belastungsgrenze. Die Regierung reagierte mit harschen Maßnahmen: Erneut wurde der Reiseverkehr eingeschränkt, von Februar bis Ende September gab es eine nächtliche Ausgangssperre von 21 Uhr bis 5 Uhr morgens, Bars und Restaurants waren in dieser Zeit selbst tagsüber geschlossen.

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Kuba kann solche Einschränkungen des öffentlichen Lebens aufgrund seiner politischen Struktur natürlich sehr viel direkter durchsetzen als beispielsweise Deutschland mit seinem föderalen System und verschiedenen Interessensgruppen. Darüber hinaus hat Kuba Erfahrungen mit Epidemien wie Dengue oder Zika. Überlagert wird die Pandemie von der Wirtschafts- und Versorgungskrise aufgrund des coronabedingten Einbruchs des wichtigen Devisenbringers Tourismus bei gleichzeitiger Verschärfung der US-Blockade. Covid-19 ist in diesem Teil der Welt eben »nur« eine Katastrophe unter vielen.

Die Infektionsraten während der abflauenden Omikron-Welle waren deutlich niedriger als in den USA und Europa. Zum Höhepunkt gab es rund 4000 Fälle am Tag, bei niedriger Hospitalisierungs- und Sterberate. Seit Wochen sinken die Infektionszahlen. Am 15. Februar vermeldete das kubanische Gesundheitsministerium 630 Neuinfektionen und 4324 aktive Fälle. 8476 Menschen starben seit Pandemiebeginn an Covid-19.

Die Impfung von Kindern, eine der weltweit höchsten Impfraten und die hohe Herdenimmunität nach dem massiven Ausbruch im vergangenen Sommer hätten zu dem glimpflichen Verlauf beigetragen, so Gerardo Guillén, Direktor für biomedizinische Forschung am Zentrum für Gentechnik und Biotechnologie (CIGB) in Havanna. Die flächendeckende medizinische Grundversorgung, eine klare Impfstrategie über die Familienarztpraxen und das Vertrauen der Bevölkerung in die eigenen Impfstoffe ermöglichten eine erfolgreiche Impfkampagne. Zwar gibt es auch auf Kuba Impfskeptiker, aber sie sind keine große Gruppe. Rund 90 Prozent der kubanischen Bevölkerung sind mittlerweile vollständig geimpft. Kuba ist zudem das einzige Land, in dem bereits Kleinkinder ab zwei Jahren gegen Covid-19 geimpft werden; mehr als 95 Prozent der 2- bis 18-Jährigen sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums inzwischen vollständig geimpft. Und das ausschließlich mit eigenen Impfstoffen. Denn Kuba entwickelte als erstes lateinamerikanisches Land fünf eigene Impstoffe gegen Covid-19. Die drei Konjugatimpfstoffe aus rekombinantem Protein, Abdala, Soberana 02 und Soberana Plus, sind bereits im Einsatz. Ihre Technologie beruht auf der bestehender Vakzine, die seit Jahrzehnten zur Impfung von Kleinkindern verwendet werden, beispielsweise gegen Tetanus.

Derweil ist der Impfstoffkandidat Mambisa der erste für die nasale Verabreichung, der weltweit klinische Versuche am Menschen begonnen hat. Laut dem Präsidenten der Unternehmensgruppe Bio Cuba Farma, Eduardo Martínez Díaz, könnte Mambisa eine Übertragung des Sars-CoV-2-Virus vollständig verhindern. Erste Testreihen seien vielversprechend. Anfang Januar erhielt Kubas Covid-19-Impfprogramm zudem frisches Geld. Die Zentralamerikanische Bank für Wirtschaftsintegration (CABEI) gewährte Kuba ein Darlehen in Höhe von umgerechnet 46,7 Millionen Euro. Die Mittel sollen dem Land helfen, seine Produktionsanlagen für Impfstoffe zu verbessern. Dies gilt als Voraussetzung für Anerkennung der kubanischen Vakzine durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Kuba hofft auf Zertifizierung noch in diesem Jahr. Ende Dezember erteilte die mexikanische Zulassungsbehörde Cofepris dem kubanischen Vakzin Abdala eine Notfallzulassung. Da Cofepris eine Referenzregulierungsbehörde der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (PAHO) ist, werden ihre Entscheidungen in Lateinamerika anerkannt, so dass Abdala auch in anderen Ländern verwendet werden kann.

Große Probleme hat Kuba hingegen mit der Arzneimittelproduktion. Im Jahr 2021 wurde auf der Insel nur gut ein Drittel der normalerweise im Land hergestellten Medikamente produziert, erklärte Bio-Cuba-Farma-Chef Martínez kürzlich. Gegenüber der Tageszeitung »Granma« sagte er, dass sich die Situation ab Juni dieses Jahres verbessern werde. Das Hauptproblem seien der Mangel an Grundstoffen für die Medikamentenherstellung und das begrenzte Budget. Die Hälfte der im vergangenen Jahr zur Verfügung stehenden Mittel sei für die Entwicklung und Herstellung der Covid-19-Impfstoffe verwendet worden. »Wir mussten einen erheblichen Teil der Mittel zur Bewältigung der Pandemie einsetzen«, so Martínez. Derweil verlängerte die Regierung bis Ende Juni die zollfreie Einfuhr von Medikamenten durch Privatpersonen. Die Pandemie wird trotz weitgehender Normalität vor allem wirtschaftlich noch lange Spuren im Alltag der Kubaner*innen hinterlassen.

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