KZ-Überlebende brüskiert

Stadt Oranienburg benennt umstrittene Gisela-Gneist-Straße wieder nicht um

Der Ruf von Oranienburg hat gelitten, seit das Stadtparlament im Jahr 2020 beschloss, im neuen Wohngebiet Aderluch eine Straße nach Gisela Gneist (1930-2007) zu benennen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte sie in Wittenberge zu einer antisowjetischen Gruppe, die eine hektografierte Zeitschrift »Germanische Freiheit« herausgab. Ende 1945 verhaftet, verurteilte ein Militärtribunal die Frau zu zehn Jahren Arbeitslager. Vier Jahre musste sie absitzen, die längste Zeit im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen. Von 1995 bis zu ihrem Tod war Gneist Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945-1950. Ihr werden Verharmlosung der Naziverbrechen und Nähe zu Rechtsextremisten vorgeworfen.

Auf dem Gelände des Wohngebiets Aderluch befand sich einst ein Außenkommando des deutschen Konzentrationslagers Sachsenhausen. Zum sowjetischen Speziallager hat das Areal keinen Bezug. KZ-Überlebende aus aller Welt und die Gedenkstätte Sachsenhausen fordern deshalb, dort überhaupt keine Straße nach einem Speziallagerhäftling zu benennen und schon gar nicht nach Gisela Gneist.

Das Stadtparlament wollte sich am Montagabend aus der Affäre ziehen und beschließen, die Gisela-Gneist-Straße in Karin-Ruth-Diederichs-Straße umzubenennen und den Namen von Gneist anderswo auf ein Straßenschild zu schreiben. Der Stadtverordnete Björn Lüttmann (SPD) versuchte, dies als Kompromisslösung zu verkaufen.

Zwar saß Diederichs Mann Georg als Sozialdemokrat im KZ und war später Ministerpräsident von Niedersachsen. Doch seine Gattin gehörte 1945 zu Gisela Gneists antisowjetischer Gruppe und saß deswegen im Speziallager. Deshalb fühlten sich ehemaligen KZ-Häftlinge von dem Vorschlag brüskiert. Er wurde kurzfristig zurückgezogen und kam am Montag nicht zur Abstimmung.

Entschieden wurde lediglich über einen Antrag der Linksfraktion, die Gisela-Gneist-Straße in Minette-von-Krosigk-Straße umzubenennen und außerdem bis Ende März zu überlegen, wie künftig durch Gedenktafeln oder Straßenbenennungen der »Opfer stalinistischer Willkür« - unschuldige Speziallagerhäftlinge inbegriffen - gedacht werden könne. Die 2020 verstorbene Journalistin von Krosigk hatte sich für Toleranz und Zivilcourage eingesetzt. Bürgermeister Alexander Laesicke (parteilos) konnte sich mit der Idee anfreunden, stimmte am Montagabend auch dafür, so wie einzelne Stadtverordnete der SPD und der Grünen. Doch das genügte nicht. Bei zwei Enthaltungen wurde der Antrag der Linksfraktion mit 23 zu 11 Stimmen abgeschmettert.

Linksfraktionschef Ralph Bujok hatte zuvor gestanden, dass er sich für den Beschluss von 2020 noch immer schäme, obwohl er ihn damals gar nicht mitgetragen hatte. Seine nochmalige Warnung, »Opfer vor und nach 1945« ausgerechnet im Aderluch gleichberechtigt zu ehren, wurde erneut in den Wind geschlagen. Grit Hörig (CDU) unterstellte Bujok sogar, er verhöhne die Opfer des Stalinismus und verdrehe die Geschichte. Dabei kann davon bei Bujok keine Rede sein. Sein eigener Schwiegervater habe unschuldig im Speziallager Sachsenhausen gesessen, betonte der Linksfraktionschef einmal mehr. Der Vorwurf Hörigs sei »eine Zumutung«.

Im Ergebnis bleibt es nun bei der umstrittenen Gisela-Gneist-Straße im Aderluch - wenn nicht doch noch eine Verständigung auf eine akzeptable Lösung gelingt. Doch dem SPD-Stadtverordneten Lüttmann, der auch im Landtag sitzt, fehlt der Glaube daran.

Der Stadtverordnete Michael Ney (CDU), der Gisela Gneist persönlich kannte, versuchte unbedachte Äußerungen der Verstorbenen damit zu entschuldigen, dass sie verbittert und traumatisiert gewesen sei. Er habe sie in 15 Jahren nicht einmal lächeln sehen. »Ihr war das Lachen vergangen.« 2006 habe sie das Bundesverdienstkreuz erhalten und weder ihre Wahlheimat Hamburg noch das Bundespräsidialamt würden da wegen irgendwelcher Verfehlungen nachträglich Handlungsbedarf sehen, erklärte Ney.

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