Verhinderter Historiker

Wladimir Medinski ist Leiter der russischen Delegation bei den Verhandlungen mit der Ukraine

In George Orwells dystopischem Roman »1984« ist ein ganzes Wahrheitsministerium zuständig für die Anpassung der Vergangenheit, um die Kontrolle über die Gegenwart zu gewährleisten. Skrupellos wird dort die Geschichte umgeschrieben. In Russland hat diese Aufgabe Wladimir Medinski übernommen. Der ist unter anderem ehemaliger russischer Kulturminister, derzeit Staatsrat 1. Klasse, Berater von Präsident Wladimir Putin - und Leiter der russischen Delegation, die mit ukrainischen Unterhändlern am Donnerstagnachmittag zum zweiten Mal zu Gesprächen zusammengekommen ist.

Die Mission des 51-Jährigen ist es, die russische Geschichte von ihren Anfängen bis heute jeglicher Verfehlungen, Verbrechen und Irrungen zu befreien. Sie in ein lupenreines Heldenepos zu verwandeln, dessen strahlender Protagonist der Gegenwart Putin ist. Dieser Blick des gebürtigen Ukrainers auf die Historie ist es denn auch, der hervorscheint, wenn Präsident Putin etwa von einer »Entnazifizierung« der Ukraine spricht, oder wenn der Überfall auf das Land in den russischen Staatsmedien gemäß Kremlvorgaben als »Friedensmission«bezeichnet wird.

Medinski war schon viel in seinem Leben - unter anderem Parlamentsabgeordneter, Mitglied der Kommission zur Verhinderung der Fälschung der Geschichte zum Schaden der Interessen Russlands, Schulbuchautor, PR-Berater, Kolumnist einer Boulevardzeitung. Auch Historiker wäre er gerne. Doch studiert hat er nicht Geschichtswissenschaften, sondern Journalismus. Und auch wenn er seine Doktorarbeit im Fach Geschichte vorlegte, wert ist sein Titel in der Fachwelt nichts, denn seine Arbeit ist voll mit Plagiaten. Aber um Wissenschaft geht es Medinski wie auch Putin gar nicht. Allein die historische Rechtfertigung der Politik Putins ist es, worauf es ankommt.

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