Werbung

Das Symbol der russischen Aggression

Wie der lateinische Buchstabe Z zum Zeichen von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine wurde

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 5 Min.

Wenige Tage nach Moskaus Überfall der Ukraine verbreitete Maria Butina ein Internetvideo, in welchem sie ein großes Z auf ihren teuren britischen Designermantel zeichnet. »Macht weiter so, Brüder«, fordert die Duma-Abgeordnete, die bis zum Herbst 2019 wegen Spionage 15 Monate Haft in den USA absitzen musste. »Wir sind immer mit euch!« Butina ist derzeit nicht die einzige, die mit der Verwendung des Z ihre Unterstützung für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausdrückt: Im russischen Staatsfernsehen treten Moderatoren in T-Shirts mit Z-Aufdruck auf, der Gouverneur des Kohlereviers Kusbass änderte die Schreibweise der westsibirischen Region kurzerhand zu KuZbass. Der Athlet Iwan Kuliak sorgte beim Weltcup in Doha während der Siegerehrung der Barrenturner mit einem aufgeklebten Z auf seinem Trikot für einen Eklat. Auch in Deutschland tauchten das Symbol schon auf Plakaten russischstämmiger Unterstützer von Moskau Angriffskrieg auf.

Doch wie wurde ausgerechnet der letzte Buchstabe des lateinischen Alphabets zum offiziellen Symbol des russischen Krieges gegen das Nachbarland?

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Angefangen hatte alles während des Truppenaufmarsches an der ukrainischen Grenze: Aufmerksamen Beobachter waren immer wieder die Buchstaben Z und V auf russischen Panzern und Truppentransportern aufgefallen. Es handele sich um taktische Markierungen, schlossen Analysten des Conflict Intelligence Teams (CIT), eine Gruppe unabhängiger russischer Militärforscher. Mit Hilfe der Buchstaben könnten verschiedene Truppenteile voneinander unterschieden werden. Das V stehe für Russlands östlichen Militärbezirk, das Z bezeichne die Zugehörigkeit der Einheiten zum Militärbezirk West - in englischer Umschrift oft als Zapad widergegeben.

Wenige Tage nach Moskaus Angriff tauchte das Z dann massenhaft im russischen Internet auf - und wurde in kurzer Zeit zum offiziellen Symbol der Kriegsbefürworter. Ministerien und Behörden verwendeten den Buchstaben in den sozialen Medien. Viele Internetnutzer ersetzten das russische S in ihrem Namen mit einem lateinischen Z. Schnell griff die Kampagne auf das gesamte Land über: Im sibirischen Großstädten wie Toms und Nowosibirsk fanden scheinbar spontane Autokorsos im Zeichen des Z statt. In Jekaterinburg tauchte das Symbol in einem riesigen Graffiti auf. In der tatarischen Hauptstadt Kasan ließ ein Kinderhospiz seine todkranken Patienten für ein patriotisches Drohnenfoto in Z-Formation antreten. Derweil skandierten in einem Shoppingcenter der Wolga-Metropole Studenten in weißen Kapuzenpullis mit Z-Aufdruck »Vorwärts Russland!« und ballten die Fäuste. Sogar Frühstückseier mit Z-Aufdruck gibt es zu kaufen.

Wofür das Z aber wirklich steht, ist auch unter strammsten Kriegsbefürworten umstritten. Manche vermuteten, der Buchstabe spiele auf den Nachnamen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an. Andere tippen auf Losungen wie Za Pravdu (Für die Wahrheit), Za Mir (Für den Frieden) oder Za Pazanow (Für die Jungs). Das russische Verteidigungsministerium erklärte die Bedeutung des Buchstaben mit der Parole »Za Pobedu« (Für den Sieg). Ein Journalist aus der chakassischen Hauptstadt Abakan dekodierte das Symbol gar als das deutsche Wort Zeit: Gegen den »ukrainischen Faschismus« müsse zeitnah gehandelt werden.

Nach Recherchen des kremlkritischen Onlinemediums Meduza aus Lettland gehören die angeblich spontanen Flashmobs, Autokorsos und Solidaritätsbekundungen zu einer von oben inszenierten Aktion von Andrej Ilnitskij, einem Berater von Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Die PR-Abteilung des Ministeriums habe das Z-Symbol zusammen mit Margarita Simonjan, der Chefredakteurin von RT, entwickelt. Der Staatssender vertreibt seit dem zweiten Tag des russischen Angriffskrieges Pullover, T-Shirts und andere Merchandising-Artikel mit Z-Symbolik. Präsident Wladimir Putin selbst soll grünes Licht gegeben haben.

Doch die Kampagne bleibt hinter den Erwartungen der einflussreichen Entscheidungsträger zurück: Viele können mit dem Z nichts anfangen. Das Zeichen erreichen die Russen emotional nicht, ärgern sich Polittechnologen. Die Kampagne sei genauso planlos und hastig improvisiert wie die militärische Planung des Krieges gegen die Ukraine. Zudem leuchte nicht ein, warum man ausgerechnet einen lateinischen Buchstaben als Symbol eines Feldzuges gewählt habe, der nach offizieller Lesart die Russischsprachigen in der Ukraine befreien soll.

Zur Einschüchterung von Andersdenkenden und Kriegsgegnern genügt das Z aber allemal: So beschmierten Unbekannte die Wohnungstür von Russland bekanntestem Kinokritiker Anton Dolin vor dessen Ausreise mit einem Z. Ebenso erging es Rita Flores von Pussy Riot und der Theaterkritikerin Marina Dawdyowa, die eine Petition zur Beendigung des Krieges initiiert hatte. Polizisten, die gegen Antikriegsdemonstranten eingesetzt werden, tragen Helme mit Z-Symbol. Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Memorial fanden den Buchstaben nach einer 14-stündigen Untersuchung ihres Büros im Polizeiprotokoll. Es handele sich dabei keinesfalls um den Beginn einer Säuberungskampagne, erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow auf Nachfrage von Meduza. »Sehr viele wollen den Präsidenten nicht nur emotional, sondern auch aktiv unterstützen«, kommentierte Peskow. »Sie sind in der überwiegenden Mehrheit.«

Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksyj Resnikow bezeichnete das Z auf Twitter als neues Hakenkreuz. Auch Vergleiche mit der Wolfsangel, dem Symbol mehrerer Wehrmachts- und SS-Einheiten im Krieg gegen die Sowjetunion, wurden laut. Dieser Interpretation schließt sich auch die amerikanisch-russische Journalistin Masha Gessen in einer Kolumne im »New Yorker« an. Das Z sei grafisch dem Hakenkreuz näher als Hammer und Sichel, Stern oder jegliches anderes sowjetische Symbol, schreibt die Putinkritikerin. Der Buchstabe sei innerhalb einer Woche zum Symbol eines neuen russischen Totalitarismus geworden.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.