Hahn nach Osten zugedreht

VNG Gaskonzern wird langjährige Beziehungen zu Russland auf Eis legen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Der VNG-Konzern hat eine wechselvolle Geschichte. Das in Leipzig ansässige Unternehmen, das sein Geld vornehmlich mit Handel, Transport, Vertrieb und Speicherung von Erdgas verdient, ging aus der 1958 gegründeten, in Dessau ansässigen Technischen Leitung Ferngas hervor. Danach gab es viele Veränderungen; die markanteste war die Privatisierung durch die Treuhand und die Gründung der Verbundnetz Gas AG zwei Tage vor der Währungsunion Ende Juni 1990. Eine Konstante gab es zumindest seit 1973 aber immer: Vertrieben wurde überwiegend Erdgas aus der Sowjetunion, später aus Russland. Damit wird früher oder später wohl Schluss sein. »Russisches Erdgas«, sagt Vorstand Ulf Heitmüller, »wird für VNG an Bedeutung verlieren«.

Grund dafür ist der russische Angriffskrieg in der Ukraine, den Heitmüller in politischer, aber auch in energiewirtschaftlicher Hinsicht als »Zäsur für Europa« bezeichnet. VNG trifft er in vielerlei Hinsicht ins Mark. Die Unternehmen des Konzerns hätten russische und ukrainische Mitarbeiter, sagt Personalvorstand Bodo Rodestock; zudem pflege man eine »gut 50-jährige Partnerschaft« mit Lieferanten und Unternehmen. Zwar gab die russische Gazprom ihren VNG-Anteil von 10,52 Prozent im Jahr 2015 ab; bis dahin wurden Bilanzpressekonferenzen simultan ins Russische übersetzt. Doch die Bindung blieb eng, bis zur wissenschaftlichen Kooperation zur Substitution von Erdgas durch Wasserstoff. Vieles davon wird jetzt auf Eis gelegt. Für die knapp 1500 Mitarbeiter sei die jüngste Entwicklung »ein Schock«, so der Manager. Auch die wirtschaftlichen Aussichten sind schwierig. Die Prognose für 2022 sei schwer, sagt Heitmüller: »Vieles ist unsicher geworden.«

Linke, Krieg und Frieden

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine stellt die Linke vor neue Fragen. Die Linkspartei und die gesellschaftliche Linke überhaupt. Nato, EU, Uno, Russland, Waffenlieferungen, Sanktionen – dies sind einige Stichworte eines Nachdenkens über bisherige Gewissheiten und neue Herausforderungen. Wir beginnen eine Debatte über »Linke, Krieg und Frieden«, die uns lange Zeit begleiten wird.

Dabei war das abgelaufene Geschäftsjahr für VNG »sehr erfolgreich«, wie Rodestock sagt. Der Umsatz stieg von 9,8 auf 18,5 Milliarden Euro, wozu stark gestiegene Gaspreise ebenso beitrugen wie die kühle Witterung und Käufe von Unternehmen. Der Gewinn erhöhte sich von 46 auf 141 Millionen Euro. Man habe die eigenen Erwartungen »deutlich übertroffen« und stehe »sehr solide da«. Allerdings räumte Rodestock ein, dass man wegen der Turbulenzen auf dem Energiemarkt bei der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) einen Kredit von einer Milliarde Euro beantragt habe. Dies sei eine »reine Vorsichtsmaßnahme«, betonte der Vorstand.

Für Unternehmen wie VNG gibt es viele Unwägbarkeiten. Im Raum steht ein vollständiger Stopp der Gasimporte aus Russland. Davor warnt Heitmüller eindringlich. Zwar betonte er vor dem Hintergrund der Debatten in der Europäischen Union und in der Bundespolitik über Maßnahmen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine: »Wir unterstützen ausdrücklich das Handeln der Politik.« Mit Blick auf einen Importstopp fügte er aber an, russisches Gas lasse sich »nicht so schnell ersetzen«. Der Anteil am gesamten deutschen Gasmarkt liege bei rund 50 Prozent.

VNG importiert 20 Prozent seines Gases direkt aus Russland. Zudem kommt auch rund die Hälfte des Erdgases, das auf Handelsplätzen eingekauft wird, aus dieser Quelle. Mittelfristig strebe man an, mehr Gas als bisher in Norwegen zu erwerben, hieß es nun seitens des Konzerns. Zudem setzt er auf Flüssiggas und Importe aus Holland. Das brauche aber Zeit, gibt man bei VNG zu bedenken. Eine eigenmächtige Kappung der Lieferbeziehungen strebe man auf keinen Fall an, um die Versorgungssicherheit nicht zu gefährden. »Wir sehen uns nicht in der Position zu sagen: Das machen wir nicht mehr«, sagte Heitmüller.

Zeit braucht auch der Abschied vom Erdgas. Zwar will auch VNG grüner werden und verfolgt dazu eine Strategie namens »VNG 2030+«. Man sei sich darüber im Klaren, dass Erdgas in eine klimaneutrale Zukunft »nicht mehr hineinpasst«. Erste energische Schritte geht VNG bereits. Eine Tochter namens Balance betreibt inzwischen 38 Biogasanlagen und gehört zu den größten Akteuren auf dem Markt. Erzeugt werden 157 Megawatt Energie, was den Strom- und Wärmebedarf von je rund 50 000 Haushalten deckt.

In Zukunft soll mit Partnern eine Anlage entwickelt und betrieben werden, die Biomethan verflüssigen kann. Mit täglich 200 Tonnen Flüssiggas könnten 3600 Lkw betrieben werden. Sowohl die erzeugten Mengen als auch die erwirtschafteten Umsätze »im unteren einstelligen Millionenbereich« wirken aber in der Bilanz bisher wie Fußnoten. Insgesamt lag der Gasabsatz von VNG im Jahr 2021 bei 762 Millionen Megawattstunden.

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