Nachhaltigkeit made in GDR

Ein Dok-Film würdigt Erich Johns Werke und zeichnet mit dessen Lebensweg einen der DDR-Aufbaugeneration nach

Heike Schüler und Michael Günther begleiteten Erich John (l.) mit der Kamera.
Heike Schüler und Michael Günther begleiteten Erich John (l.) mit der Kamera.

Ihr Schöpfer stand damals nicht im Scheinwerferlicht, und auch heute ist es dem vitalen 90-Jährigen wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Urania-Weltzeituhr eine Gemeinschaftsarbeit mit vielen daran Beteiligten war. Erich Johns vor mehr als einem halben Jahrhundert kollektiv verwirklichte Idee ist längst weit über Berlin hinaus eine Berühmtheit. Wie die Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz genau tickt, wollte die Fernsehjournalistin Heike Schüler herausfinden.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Bei Ihrer Recherche zum 50. Geburtstag des Kunstwerks 2019 stieß sie auf dessen Erfinder - und seine Geschichte. Auf sein Archiv und einen Dachboden voller Dinge, die ihre eigene Kindheit und Jugend begleitet hatten: vom Schülermikroskop über Eisbecher und Ferngläser bis zur Erika-Schreibmaschine. Dinge, die von ihrem Weltzeituhr-Zeitzeugen entworfen wurden. Dessen Vita stehe »Pars pro Toto für DDR-Biografien«, betont die Reporterin bei unserem Treffen mit Erich John in den Räumen der unabhängigen Filmproduktion Mind-in-Motion im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin. Johns Lebensweg, so Schüler, wurde möglich durch eine Umkehrung der Verhältnisse vor allem in den Anfängen der DDR, die »nicht immer gut und gerecht« gewesen sei, aber ungewöhnliche Aufstiegsgeschichten zur Folge hatte. Anders als heute, wo vor allem das Geld den Weg nach oben ebne. »Ich dachte, so eine Geschichte darf nicht verloren gehen.«

Dafür hat Heike Schüler gesorgt. Mit Beiträgen für die »Abendschau« des RBB und einem im Jaron-Verlag erschienenen reich illustrierten Buch, in dem sie den Lebensstationen des Topdesigners nachgeht und die Entwicklung der Formgestaltung im ostdeutschen Staat betrachtet. Besonders fasziniert ist Schüler von einer Design-Auffassung, die sich an Nachhaltigkeit orientieren musste. Was gebaut wurde, sollte lange funktionieren, »sozusagen für die Ewigkeit« - so wie das Getriebe der Weltzeituhr mit originalen Trabant-Teilen, das seit 1969 seinen Dienst tut.

Nun liegt auch ein ausführlicher Film über Erich Johns Leben und berufliches Wirken vor. Nach der ersten Karriere und dem Ende der DDR wirkte das Multitalent auch als Innenarchitekt und ist ein begabter Maler und Fotograf. Wie das Buch trägt der Film den Titel »Weltzeituhr und Wartburg-Lenkrad«. Auf die Idee, solch ein künstlerisches biografisches Porträt zu machen, brachte die Autorin Michael Günther von Mind-in-Motion, Produzent und hinter der Kamera dabei.

Günther, der 1983 beim Bayerischen Rundfunk startete, seit Jahren unter anderem für die ARD, Spiegel-TV und die britische BBC arbeitet und auch ein Faible für Kuba hat, ließ sich von seinem Gespür für spannende Geschichten leiten. 1956 hatten Günthers Eltern der DDR den Rücken gekehrt. Umso mehr interessieren ihn die Biografien von Menschen, die den anderen deutschen Staat auf sehr unterschiedliche Art erlebten oder die diesen mittrugen und -prägten. Noch dazu, wenn sie wie John über ein gutes Gedächtnis verfügen und viele Anekdoten auf Lager haben. Immerhin war der Gestalter etlicher Ostklassiker der erste und einzige DDR-Professor, der als Gastprofessor in den USA wirken durfte. Dahinter stecken, natürlich, weitere Geschichten.

Das Vertrauen und die Offenheit zwischen John und den beiden Journalisten ist schnell spürbar. Das schlägt sich auch im Film nieder, der die drei zu Stationen auf Johns Lebensweg und zu Begegnungen mit weiteren Zeitzeugen führt. Er erzählt von der Vertreibung aus Nordböhmen nach Kriegsende, einer Reise ins Ungewisse und der Ankunft in Mecklenburg unter sowjetischer Besatzung. Er begleitet die Entwicklung des jungen Bauschlossers und Kunstschmieds zu einem der ersten Designer nach DDR-Art, zum Dozenten und Professor. Doch vor seinem Sprung zum Studium in der Hauptstadt war Aufbauarbeit zu leisten, mussten aus Türen von Luftschutzkellern Öfen für Umsiedler gemacht werden. Für John eine frühe Schule in der Kunst der Improvisation.

Was sich hinter der neuen Fachrichtung Formgestaltung für die Industrie an der Hochschule in Berlin-Weißensee verbarg, wusste der junge John anfangs selbst nicht genau. Die Disziplin wollte sich abgrenzen von Designvorstellungen, die äußerliche Erscheinungsform und deren sich wandelnde Moden in den Mittelpunkt stellen. Vor allem Gebrauchsfähigkeit und Langlebigkeit sollten die Maschinen und Produkte auszeichnen. Zugleich galt es, mit exportfähigen Erzeugnissen auf dem Weltmarkt anschlussfähig zu bleiben und im Westen Devisen zu erwirtschaften.

Formgestaltung für die Industrie heißt in dieser Zeit enge Zusammenarbeit mit den Volkseigenen Betrieben und Arbeit in sozialistischen Kollektiven. Die Wirtschaft im jungen Staat trägt an den Folgen der Kriegsverluste und Reparationen, dem Mangel an Ressourcen. Seine Aufträge führen John zu Metallern in Chemnitz, damals Karl-Marx-Stadt, und in die Wartburg-Werke nach Eisenach. Nicht nur für Autonarren ist es faszinierend zu erfahren, welche Überlegungen hinter der Entwicklung eines Pkw-Lenkrads steckten. Eine langjährige Zusammenarbeit entwickelt sich mit den Rathenower Optischen Werken. Auch mit privaten und halbstaatlichen DDR-Firmen war John im Geschäft.

Man erfährt im filmischen Porträt auch, was die Weltzeituhr mit der alten Linde in seinem Geburtsort zu tun hat und wie John kleinbürgerliche Geschmacksverirrungen im Arbeiter-und-Bauern-Staat beurteilt. »Er war immer aktiv, nie so ein Mitläufer«, urteilt Schüler über ihren Protagonisten, der auch politischem Ärger nicht aus dem Weg ging. Hinter dem Dokumentarfilm über John steht kein großer Sender. Seinen Produzenten treibt dieselbe Motivation an wie Heike Schüler, auf deren Buch er basiert und die auch Regie führte. Seit 2018 wurde geplant, gedreht, viel Zeit, Geld und Kraft investiert. Corona habe das Projekt erschwert und verzögert, berichtet Michael Günther. »Nun ist der Film aber fertig produziert, hat eine Länge von 70 Minuten. Wir können ihn aber auch auf ein fernsehgerechtes Format reduzieren«, erklärt er. Beide hoffen, dass der Film bald ein größeres Publikum findet (zum Trailer).

Er verdeutlicht auch die paradoxe Haltung der DDR-Oberen zum kommunistisch beeinflussten Bauhaus, dessen Traditionen erst 1976 mit der Rekonstruktion des Bauhaus-Gebäudes Dessau ins öffentliche Bewusstsein gerückt wurden. Aus wenig viel machen, sich am Menschen orientieren: Obwohl man es nicht Bauhaus nennen durfte, hätten in der DDR Formgestalter wie John, es »eigentlich 1:1 umgesetzt«.

Im Schatten seiner zu DDR-Zeiten unterschätzten Produkte steht Erich John nicht mehr. Mit der Weltzeituhr, für die er 2019 mit der Verdienstmedaille von Berlin-Mitte und im vergangenen Jahr mit dem Bundesverdienstkreuz gewürdigt wurde, hat er sich selbst ein Denkmal gesetzt.

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