- Berlin
- 1. Mai in Berlin
Eskalation auf dem Oranienplatz
Am Ende der Revolutionären 1.-Mai-Demonstration greift Polizei massiv in die Kundgebung ein
Immer wieder Schikane durch die Polizei. Das ist die Bilanz der Veranstalter*innen der Revolutionären 1.-Mai-Demonstration am späten Sonntagabend. Teilnehmende der Demonstration, die mit laut Veranstalter*innen 20 000 Menschen das größte politische Ereignis zum Tag der Arbeit in der Hauptstadt gewesen sein dürfte, seien bereits ab ihrem Beginn gegen 18.30 Uhr am Neuköllner Hertzbergplatz anlasslos abgefilmt und durch seitliche Spaliere der Polizei eingeschränkt worden. Die Behörde sprach von 14 000 Teilnehmer*innen und hatte ihrerseits »Zwangsmaßnahmen wie Schieben und Drücken, sowie den Einsatz von Reizgas nach Angriffen durch Pyro, Schläge und Tritte Richtung der Polizeikräfte aus Teilen der Demo« eingeräumt.
»Der anarchistische Block wurde mehrfach angegriffen und Menschen mit Pfefferspray und Schlagstöcken verletzt«, erklärt dazu Aicha Jamal, Sprecherin des Bündnisses. »Trotz dieser Aggressionen« habe die Demonstration aber »kraftvoll bis zum Oranienplatz ziehen« können. Eine Durchführung der für dort geplanten Abschlusskundgebung sei aber durch die Polizei verhindert worden.
Vor Ort sei die Situation mit der einbrechenden Dunkelheit gegen 21 Uhr sehr unübersichtlich gewesen, berichten Teilnehmer*innen. Die Polizei habe einen Teil der Demonstration gekesselt und mit starkem Pfefferspray-Einsatz dafür gesorgt, dass viele Teilnehmende die Veranstaltung fluchtartig zu verlassen suchten. Auf Videos ist zu sehen, wie Polizeibeamte in Gruppenstärke schnell in die Demonstration hineinrennen.
Es sei im Zuge des Polizeieinsatzes immer wieder auch zu Behinderung von Pressearbeit gekommen, berichtet Jörg Reichel, Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union, gegen 22.30 Uhr auf dem Nachrichtenportal Twitter. Demnach sei ein Pressefotograf mehrmals von dem Polizisten 57026 BE 31220 geschubst und bedrängt worden. Der Polizist habe sich vom Blitzlicht geblendet gefühlt.
Der Fotograf sei als Pressevertreter klar erkennbar gewesen. »Ein Polizist der 32. oder 36. Einsatzhundertschaft« habe mit seinem verstärkten Handschuh bis zu fünf Mal »auf den Hinterkopf des Fotografen« eingeschlagen, so Reichel. »Der Fotograf ist leicht benommen und hat Kopfschmerzen« sowie »Schwellungen am Hinterkopf«, hatte der Gewerkschafter mitgeteilt.
Etwa 30 Polizisten sind laut Gewerkschaft der Polizei (GdP) bei kurzen Gewaltausbrüchen nach der großen Demonstration linker Gruppen am Abend des 1. Mai in Berlin verletzt worden. »Es ist schade, dass am Ende 500 Gewaltsuchende reichen, um einen bis dahin nahezu friedlich verlaufenden Tag der Arbeit zu einem weiteren 1. Mai zu machen, bei dem vor allem die Gewalt gegen Menschen hängen bleibt«, vermeldete dazu GDP-Sprecher Benjamin Jendro.
Die Veranstalter der Demonstration sehen das anders: »Die Polizei hat am Oranienplatz bewusst die Eskalation gesucht«, sagt Aicha Jamal. Sie habe »das starke Zeichen der Solidarität unserer Demonstration nicht einfach so stehen lassen« können. Man lasse sich aber nicht einschüchtern. »Wir werden weiter jeden Tag gegen dieses mörderische kapitalistische System kämpfen«, erklärt Bündnis-Sprecher Martin Suchanek.
Die Demonstration werde »jedes Jahr von Falschmeldungen und Verleumdungen aus der bürgerlichen Presse begleitet«, hatte Alex Schneider, Sprecherin der Roten Hilfe Berlin, vor der Demonstration betont. »Das sind wir inzwischen gewohnt.«
Im Vorfeld hatte die Polizei angekündigt, in Erwartung antisemitischer Äußerungen ein besonderes Auge auf pro-palästinensische Gruppen haben zu wollen. Zur Revolutionären 1.-Mai-Demonstration hatte auch die Gruppe »Palästina spricht« aufgerufen. Letztgenannte Gruppe hatte dazu einen Aufruf unter dem Motto »Intifada ist unser Klassenkampf« verbreitet, auf der Kundgebung wurde ein Transparent mit dem Motto gezeigt, hatte am Sonntag das Portal Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) berichtet. Demnach sei die Demonstration »nicht maßgeblich geprägt durch antisemitische Inhalte« geprägt gewesen.
Die Polizei zog eine positive Bilanz und sprach am späten Sonntagabend auf dem Nachrichtenportal Twitter »vom Eindruck des friedlichsten 1. Mai seit Jahrzehnten in Berlin«. 5830 Polizist*innen seien über den Tag verteilt bei Demonstrationen und Kundgebungen eingesetzt worden, darunter 2130 Polizist*innen aus anderen Bundesländern. Nach Angaben der Polizei vom Montag seien im Laufe des Wochenendes 74 Menschen festgenommen worden. Insgesamt gebe es 123 Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs, Widerstands gegen Polizisten, Angriffen, Gefangenenbefreiung und gefährlicher Körperverletzung. 29 Polizisten seien leicht verletzt worden, vor allem hätten sie Prellungen und Verstauchungen.
Jeder Angriff sei einer zu viel, hatte Polizeipräsidentin Barbara Slowik bereits nach dem Ende der Demonstration betont. »Dennoch haben wir an diesem 1. Mai eine noch geringere Gewaltbereitschaft festgestellt als im Vorjahr oder gar vor zehn Jahren.«
Jörg Reichel hatte auch im Hinblick auf die feministische Demonstration am Samstagabend von der Behinderung einer großen Anzahl Pressevertreter*innen durch die Polizei Berlin berichtet. So habe diese 25 Journalist*innen aufgefordert, sich von der Demonstration zu entfernen, während diese auf der Brunnenstraße in Mitte stehen geblieben war. Auch Reichel spricht in diesem Zusammenhang von Schikane.
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