»Die Menschen wollen neue Musik«

Wie hat die Musikbranche Corona überstanden? Eindrücke von der Bremer Musikmesse »Jazzahead«

  • Andreas Schnell
  • Lesedauer: 6 Min.
Einige sind virtueller als andere: Die Kulturstaatsministerin war auch dabei, irgendwie.
Einige sind virtueller als andere: Die Kulturstaatsministerin war auch dabei, irgendwie.

Den Jazz in die Stadt bringen. Die Bremer Musikmesse »Jazzahead« hat sich seit ihrem Debüt 2006 zum Familientreffen der internationalen Szene entwickelt. 2019 kamen rund 3400 Fachbesucher, um Kontakte zu pflegen und sich gemeinsam mit dem örtlichen Publikum 40 Showcases junger Bands anzusehen. Doch dann kam Corona. Noch bis weit in den März 2020 hinein hofften die Veranstalter*innen, es könnte eine »Jazzahead« geben, vergebens. 2021 gab es immerhin eine digitale Version, aber die konnte weder den Charme live gespielter Musik ersetzen noch die persönlichen Begegnungen an Messeständen, bei Konzerten und am Tresen.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Am vergangenen Wochenende war es dann endlich wieder so weit. Eingeläutet wurde die »Jazzahead« 2022 mit Partnerland Kanada am Mittwoch mit der Verleihung des Deutschen Jazzpreises im Metropol-Theater vor 500 Zuschauern. Es gab Preise in 31 Kategorien, unter anderem wurde der Komponist und Saxofonist Ernst-Ludwig »Luten« Petrowsky, eine Legende des DDR-Free-Jazz und Ehemann der Sängerin Uschi Brüning, für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Am Donnerstag öffneten die Messehallen. Der Trompeter Uli Beckerhoff, gemeinsam mit dem Journalisten und Veranstalter Peter Schulze künstlerischer Leiter der »Jazzahead«, war die Erleichterung, dass alles geklappt hat, anzumerken. »Es gibt eine unglaubliche Freude und Erleichterung, dass wir uns alle wiedersehen«, sagt er. Wie nach einem Taifun sei es, der vorbeigezogen sei und dabei manches niedergerissen habe. Nun seien nicht nur die Musiker*innen, die Labels, die Konzertagenturen und Journalist*innen wieder da, sondern vor allem auch das Publikum, um zu hören, was sich in der Szene tut. Insgesamt kamen 2700 Fachbesucher aus 55 Ländern.

Dass es mal so etwas wie ein leicht übertragbares Virus mit für viele Menschen tödlichen Folgen in der Welt gab und auch weiterhin gibt, mag man vor Ort kaum noch glauben. Zwar wird der Impfstatus aller Besucher*innen überprüft, stehen Desinfektionsmittel bereit, das Tragen einer Maske wird empfohlen. Aber die meisten scheinen froh zu sein, auf das pandemische Accessoire verzichten zu dürfen.

Auch sonst wird an den Messeständen vorsichtige Rückkehr zur Normalität konstatiert - freilich auf durchaus unterschiedlichem Niveau. Während Länder wie Australien oder Deutschland, das laut Beckerhoff die Künste wie kein anderes Land durch die Pandemie gebracht habe, vergleichsweise großzügig dafür sorgten, dass die Musikindustrie überleben konnte, schauten andere in die Röhre. Afgan Rasul, Pianist aus Aserbaidschan, berichtet vom massiven Clubsterben in seiner Heimat. Musiker hätten kaum Auftrittsmöglichkeiten gehabt, die Regierung habe kaum etwas für die Kultur getan. Am brasilianischen Stand ist man zwar froh, dass es wieder losgeht mit Konzerten, das sei das »Lebensblut der Szene«. Die vergangenen Jahre dürften bitter gewesen sein. Während Präsident Jair Bolsonaro die Krankheit offiziell herunterspielte, erließen die einzelnen Bundesstaaten drastische Lockdowns. Die Managerin Giselle Ventura erinnert an ein kürzlich von beiden Kammern des Parlaments verabschiedetes Finanzpaket von umgerechnet gut 750 Millionen Euro, das dann aber am Veto des Präsidenten scheiterte.

In Tschechien hat die staatliche Förderung populärer Musik keine lange Tradition. Doch seit 2017 gibt es das Musikexportbüro »Soundczech« als Abteilung des Arts and Theatre Institute, einer Art tschechisches Goethe-Institut. Zu exportieren gab es zuletzt wenig, die Gelder kamen deshalb Aktivitäten vor Ort zugute. Laut Projektkoordinatorin Monika Klementova habe die Krise also dazu geführt, dass sich die Szene stärker vernetzt habe und damit im Land sichtbarer wurde. Was auch der Australier Glenn Dickie von »Sounds Australia«, dem australischen Pendant zu »Soundczech«, bestätigt. Die Musikindustrie sei ein komplexes System, von dem die Kulturpolitik keine rechte Vorstellung gehabt habe. Das habe sich durch die Pandemie verändert, als klar wurde, dass eben nicht nur Künstler*innen, Konzertagenturen, Clubs und Plattenfirmen dazugehören, sondern auch Gastronomie, Logistik, Technik und vieles mehr.

Australien hatte sich zu Beginn der Pandemie radikal abgeschottet und in der Folge relativ wenige Covid-Fälle registriert. Für Musiker*innen bedeutete das aber auch, dass sie nicht mehr touren konnten, weder international noch im Land, weil immer wieder auch die Grenzen zwischen den Bundesstaaten geschlossen wurden.

Physische Tonträger und Streaming blieben im Lockdown Wege, die Musik ans Publikum zu bringen. Tobi Kirsch, der als selbstständiger Promotor arbeitet und somit auch davon lebt, dass neue Musik veröffentlicht wird, sagt, er habe sich über einen Mangel an Aufträgen während der Pandemiejahre nicht beklagen können: »Die Menschen wollen neue Musik hören.« Die langfristigen Folgen seien jedoch schwer vorhersehbar. Es gebe einen Rückstau bei den Veröffentlichungen und Tourneen, die Veranstaltungsbranche setze eher auf bekannte Bands, mit denen besser zu kalkulieren ist. Die Preise für Vinyl und Papier verteuern auch die Produktion von Tonträgern.

Marco Ostrowski, Marketingmanager bei ACT, einem der wichtigsten deutschen Jazz-Labels, bestätigt das. Sein Unternehmen habe unter anderem dank Kurzarbeit und Einsparungen einerseits, leichten Zusätzen beim Online-Verkauf andererseits den Umsatz in der Krise immerhin fast halten können - der Streaming-Anteil sei dabei nicht signifikant gewachsen. Ein interessanter Nebeneffekt: In den Feuilletons habe es auf einmal mehr Platz für Tonträgerveröffentlichungen gegeben, was auch jungen Künstlern unerwartete Aufmerksamkeit beschert habe.

Der »Taifun« Corona, von dem Beckerhoff spricht, ist bekanntlich von etwas noch Schlimmerem abgelöst worden: In der Ukraine herrscht seit Monaten Krieg. Dass das nationale Kulturinstitut des Landes trotzdem auf der »Jazzahead« vertreten ist, hält Mariana Bondarenko dennoch für »selbstverständlich«. Sie ist Managerin des ukrainischen »Music Programme«. Das 2018 gegründete Institut soll sämtliche Sparten der ukrainischen Kultur fördern. Schon im vergangenen Jahr war ein Stand auf der »Jazzahead« geplant gewesen. In Zukunft möchte Bondarenko auch ukrainische Bands im Showcase-Programm unterbringen. Die Szene sei groß, aber es fehle international an Aufmerksamkeit. Bondarenko arbeitet zurzeit daran, die Szene zu katalogisieren, auch hinsichtlich der vielen Musiker*innen, die im Ausland leben.

Die politische Großlage lässt sich freilich auch an der ukrainischen Jazzszene ablesen. Bis 2014, als Russland nach den Maidan-Protesten und der Absetzung des Präsidenten Wiktor Janukowitsch die Krim annektierte, gab es laut Bondarenko auch auf kulturellem Gebiet zahlreiche Kooperationen mit den Nachbarn. Jetzt geht der Blick auch kulturell nach Westen.

Rudolf Douw, Assistent des niederländischen Saxofonisten Paul van Kemenade, schaut dagegen ein bisschen wehmütig nach Osten. Vor der Coronakrise war er mit van Kemenade regelmäßig in Russland unterwegs, arbeitete mit russischen Musikern zusammen. »Gebt nicht den Menschen in Russland die Schuld!«, appelliert er - und hofft, eines Tages wieder in dieses Land zurückkehren zu können.

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