Abstieg in vollem Selbst-Bewusstsein

Mit Fürth steigt ein Verein aus der Bundesliga ab, der chancenlos war. Die Branchenreflexe bleiben dennoch aus. Und das aus gutem Grund

Dortmund kassiert für Stürmerstar Erling Haaland (r.) wohl bald 75 Millionen Euro an Transferablöse. Der gesamte Kader des letzten Gegners Greuther Fürth war kaum halb so viel wert.
Dortmund kassiert für Stürmerstar Erling Haaland (r.) wohl bald 75 Millionen Euro an Transferablöse. Der gesamte Kader des letzten Gegners Greuther Fürth war kaum halb so viel wert.

Es waren emotionale Szenen, die sich am vergangenen Samstag im Fürther Ronhof abspielten. Und sie passten vordergründig betrachtet weder zum Ergebnis der gerade zu Ende gegangenen Partie noch zur Saisonbilanz. Dass die Fans des abgeschlagenen Tabellenletzten ihre Mannschaft nach dem 1:3 gegen Borussia Dortmund dennoch nach allen Regeln der Kunst feierten, einzelne Spieler hochleben ließen und den Trainer sowieso, überrascht wohl dennoch nur auf den ersten Blick. Denn zum einen war angesichts des Fürther Mini-Etats eigentlich schon vor dem ersten Spieltag klar, dass der Aufsteiger chancenlos sein würde. Zum anderen stemmte sich die Mannschaft dennoch in (fast) allen Spielen gegen das Unvermeidliche und ließ nie Zweifel an Einsatzbereitschaft und Widerborstigkeit zu. Und zum Dritten haben sie in Fürth ein Publikum, das all das auch richtig einordnen kann. Eine gewisse Trotzigkeit gehört schon dazu, wenn man Fan des Kleeblatts sein will. Schon allein, weil in Franken von Würzburg bis an die tschechische Grenze mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit eher das Club-Logo des 1. FC Nürnberg im Wirtshaus hängt, wenn dort am Stammtisch über Fußball gefachsimpelt wird.

Dass auch der große Rivale aus Nürnberg in der kommenden Saison zweitklassig spielen wird und im Saisonfinish mit seinem Aufstiegstraum scheiterte, ist angesichts der eigenen Bilanz nur ein schwacher Trost für die Fürther: Sieben Gegentore fingen sich die wackeren Fürther gegen Leverkusen, sechs gegen Leipzig und Hoffenheim, fünf gegen Stuttgart und unzählige weitere Niederlagen mit drei oder vier Toren Differenz. Dass Fürth nach 33 Spielen 80 Gegentreffer angesammelt hat, zeigt die Chancenlosigkeit in der 1. Bundesliga. Mehr als 18 Punkte bei drei Saisonsiegen waren angesichts der Defensivschwäche nicht drin. Nach 17 Spielen hatte man sogar erst fünf Zähler auf dem Konto gehabt.

Seit der Gründung der Bundesliga im Jahr 1963 ist es noch nicht oft vorgekommen, dass der abgeschlagene Tabellenletzte seinen Trainer nicht einmal in der Saison ausgewechselt hat. In Fürth war Stefan Leitl, der dreieinhalb Jahre am Ronhof wirkte, aber nicht nur unumstritten – man wäre mit ihm liebend gerne auch in die kommende Zweitligasaison gegangen. Doch Fürth hat nicht nur dann keine Chance, sein Personal zu halten, wenn Leverkusen, Hoffenheim oder Mainz anklopfen. Fürth muss auch die Waffen strecken, wenn der Tabellen-14. der Zweiten Liga anfragt. Bereits in der vergangenen Saison wechselte Stammkraft Sebastian Ernst zu Hannover 96 – und damit von einem Erstliga-Aufsteiger zu einem Zweitligisten. Im Sommer wird es nun Leitl gen Norden ziehen, er unterschrieb in Hannover einen Dreijahresvertrag und nimmt seinen Assistenten Andre Mijatović und wohl auch Angreifer Havard Nielsen gleich mit. Auch Maximilian Bauer (Augsburg), Paul Seguin (Union Berlin) und Top-Talent Jamie Leveling dürften nicht zu halten sein.

Wenn sie in Fürth dennoch im wahrsten Sinne des Wortes mit Selbstbewusstsein absteigen – also der eigenen Grenzen vollkommen bewusst –, dann hat das gute Gründe. Schließlich wurde das Kleeblatt, das in der vergangenen Saison als spielerisch bestes Team der Zweiten Liga aufgestiegen war, auch dieses Jahr immer wieder für seine Spielweise gelobt. Zuletzt ironischerweise von Hannovers Sportdirektor Marcus Mann, als er erläuterte, warum er den Fürthern den Trainer wegschnappt: »Er hat gezeigt, dass er eine Mannschaft und ein Spielsystem Schritt für Schritt entwickeln kann. Unter seiner Regie war in Fürth eine klare Handschrift erkennbar.«

Immerhin: Fürths Sportdirektor Rachid Azzouzi, der für die Klubidentität als Ausbildungsverein bürgt, bleibt, ebenso wie Geschäftsführer Holger Schwiewagner, der stets kerngesunde Bilanzen vorlegen kann. Auch in die kommende Zweitligasaison wird Fürth dank der Einnahmen aus der TV-Vermarktung mit einem Millionenüberschuss gehen. Insofern hat sich die einjährige Exkursion in die Bundesliga dann doch gelohnt.

Außerdem konnte noch ein Bildungsauftrag erledigt werden: Die Geschäftsstellen der 17 anderen Bundesligisten bekamen noch einmal deutlich vor Augen geführt, welchen Verein die Fürther Fans unterstützen. Aus der aktiven Fanszene wurde alle zwei Wochen eine Mail an den jeweils nächsten Gegner verschickt, mit dem Hinweis, man möge beispielsweise im Stadionheft keinesfalls den Vereinsnamen verhunzen, nur weil der dreifache Deutsche Meister (1914, 1926, 1929) im Jahr 1996 mit dem TSV Vestenbergsgreuth fusionierte. Was die Fankurve davon hält, wenn statt von »Fürthern« von »Greuthern« die Rede ist, hat sie in der Vergangenheit auch schon auf Transparente gemalt. »Greuther sind zum Rauchen da«, hieß es da. Oder ganz einfach: »Greuther hört sich halt kacke an.«

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