Bis(s) zur Revolution

In der marxistischen Vampirkomödie »Blutsauger« verliebt sich eine Fabrikantentochter in einen Proleten

  • Lara Wenzel
  • Lesedauer: 4 Min.
Herzogin Flambow-Jansen ist überzeugt: Das Leben muss aus Muße bestehen.
Herzogin Flambow-Jansen ist überzeugt: Das Leben muss aus Muße bestehen.

Der »marxkritische Marx-Lesekreis« ist an einem neuralgischen Punkt der Lektüre angekommen: Nicht mehr Leinwand und Rock werden der Anschaulichkeit halber miteinander verrechnet, jetzt müssen Vampire herhalten, um die Argumentation zu illustrieren. Die diskutierenden Arbeiter*innen sind sich uneins. Warnt Marx tatsächlich vor den untoten Blutsaugern, oder geht es ihm um eine strukturelle Position, wenn er im Kapitel zum Arbeitstag schreibt: »Das Kapital ist verstorbne Arbeit, die sich nur vampyrmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und umso mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt.«

Die Frage ist dringlich, denn wiederholt tauchen rote Male am Körper der Arbeiter*innen auf. Handelt es sich hierbei um »chinesische Flöhe«, wie es der Bürgermeister Dr. Humburg behauptet? Oder doch um okkulte Wesen, die den Beschäftigten der Kosmetikfabrik die Lebensenergie aussaugen? Die marxistische Vampirkomödie »Blutsauger« arbeitet mit einer Figur, die zur antisemitischen Personalisierung des Kapitals genutzt wird. Dass es sich um ein schwieriges Sujet handelt, weiß Regisseur Julian Radlmaier und arbeitet beständig dagegen an. Bereits in dem im Jahr 2017 erschienen Film »Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes« setzt sich der Filmhochschulabsolvent essayistisch und humorvoll mit der Arbeitswerttheorie auseinander. Bewusst unauthentisch, im Stile eines Lehrstücks, entsteht ein spekulativer Realismus, in dem fast nur Laien vor die Kamera treten und ihren Text aufsagen. Das befreit die Vorgänge von den großen Gefühlen, die Einfühlung produzieren will.

Der 1928 angesiedelte Schauerfilm bricht gleich zu Beginn mit jeglichem Anspruch auf geschichtliche Genauigkeit. Nach der als Prolog gesetzten Lesekreisszene, die den theoretischen Rahmen für das Folgende liefert, zerstört ein Kitesurfer die Möglichkeit historistischer Immersion. Am Ostseestrand landet ein Gast aus der klassenlosen Gesellschaft – ein vermeintlicher Baron, der aus der stalinistischen Sowjetunion fliehen musste. Sogleich nimmt die Herzogin und protestantische Fabrikantentochter Octavia Flambow-Jansen den interessanten Fremden auf.

Die anfängliche Liebe zwischen dem Paar ist zum Scheitern verurteilt, denn Ljowuschka offenbart sich bald als Fabrikarbeiter, der durch einen Zufall den Trotzki in Sergej Eisensteins Film »Oktober« spielte. Der georgische Regisseur Alexandre Koberidze, dessen letzter Film »Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?« bei der 71. Berlinale Premiere feierte, gibt den postrevolutionären Flüchtling. Was für den Proleten als glückliche Fügung begann, kehrte sich bald ins Gegenteil. Nachdem Stalins Rivale in Ungnade gefallen war, mussten alle Szenen mit Trotzki entfernt werden, und auch der Schauspieler sollte verschwinden.

Hinter dem melancholisch ätherischen Auftreten der Herzogin, deren Rolle die Theaterschauspielerin Lilith Stangenberg übernimmt, verbirgt sich ein sachlicher Wirklichkeitsbezug. Sie umgibt sich gern mit dem sowjetischen Exoten, besteht darauf, von ihrem persönlichen Assistenten geduzt zu werden, und konstatiert: »Das Leben muss ganz aus Muße bestehen.« Doch bleibt sie Hauptaktionärin der Fabrik, die ihre ökonomischen Interessen im Blick hat. Und damit eine Blutsaugerin, die sich die Mehrarbeit der Arbeiter*innen aneignet. Auch ihren Angestellten Jakob, den Alexander Herbst in seiner ersten Filmrolle darstellt, beißt sie hingebungsvoll. Dass nur die Position sie zur Vampirin macht und es sich nicht um angeborene Gelüste handelt, erzählt der Film, wenn der Bürgermeister, gespielt von Andreas Döhler, zum Aktienpaket auch Blutlust erwirbt.

Zentraler noch schält sich das Problem mit der Personifizierung heraus, wenn die Bewohner des Küstenorts mit Fackeln zum Anwesen von Flambow-Jansen ziehen. Die marxistisch geschulten Arbeiter*innen wollen die Kapitalistin enteignen; die transzendental obdachlosen Bürger fordern nur die Pfählung der einen Blutsaugerin. Sie verkennen so die strukturelle Seite des Vampirismus. Schnell erlischt das revolutionäre Moment und schlägt ins Reaktionäre um. Die Kommunist*innen werden an die Wand gestellt; als Schuldigen identifiziert die Stadtgemeinschaft einen Algensammler, der auch noch in Konkurrenz zur Fabrik steht.

In humorvoller Distanz zum gewählten Genre, das in einem Vampirfilm im Film nochmals aufgegriffen wird, breitet sich in zwei Stunden der Widerspruch zwischen totem Kapital und lebendiger Arbeit aus, ohne sich dem Publikum in belehrender Haltung gegenüberzustellen. Dass die richtige Analyse nicht notwendig zur erfolgreichen Revolution führt, wird ebenso erzählt. Falsches Klassenbewusstsein, dem Jakob in Liebe und Identifikation mit seiner Chefin verfällt, hindert die Solidarität und gefährdet die Expropriation der Expropriateure.

Wie in »Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes« blickt der Film ironisierend auf das linke Intellektuellenmilieu, dem er entstammt. Das Unauthentische und nicht Perfekte zelebrierend, mäandern die Figuren durch Dogmatismus-Diskussionen und enttäuschende Revolutionen. Trotz der historischen Selbstverortung kommt es nicht zum müden Vergleich mit den 20ern des letzten Jahrhunderts. Lachenden Auges wird ein abstraktes Verhältnis aus der konkreten Gegenwart betrachtet. Dies geschieht indes selbstentlarvend und ironisierend vom Standpunkt des linken Melancholikers.

»Blutsauger«: Deutschland 2021. Regie: Julian Radlmaier. Mit: Andreas Döhler, Alexandre Koberidze, Lilith Stangenberg, Alexander Herbst, Corinna Harfouch. 125 Minuten. Start: 12.5.

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