Wer schießt mit?

Der Anschlag im US-amerikanischen Buffalo hat ideologische Mittäter

  • Johanna Soll
  • Lesedauer: 4 Min.

In der Stadt Buffalo im US-Bundesstaat New York fand am Dienstag gegenüber der örtlichen Filiale der Supermarktkette Tops eine Trauerfeier statt. Die Menschen versammelten sich zu Ehren der Opfer des Anschlags am vergangenen Samstag. Ein 18-jähriger Weißer hatte zehn Menschen erschossen und drei verletzt. Der Täter wurde noch am Tatort festgenommen und befindet sich wegen zehnfachen Mordes in Untersuchungshaft.

Bei den Todesopfern handelt es sich allesamt um Schwarze: Roberta A. Drury (32), Margus D. Morrison (52), Andre Mackneil (53), Aaron Salter (55), Geraldine Talley (62), Celestine Chaney (65), Heyward Patterson (67), Katherine Massey (72), Pearl Young (77), Ruth Whitfield (86). Zwei der Verletzten, Zaire Goodman (20) und Jennifer Warrington (50), wurden inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen, Christopher Braden (55) befindet sich noch in stationärer Behandlung. Der Name des Täters soll nicht genannt werden, um ihm die Genugtuung des öffentlichen Ruhms zu verwehren.

Die Tat geschah nicht spontan oder im Affekt: Über drei Stunden fuhr der Täter aus dem Süden des Bundesstaates New York nach Buffalo und dort gezielt in den Teil der Stadt, in dem überwiegend Schwarze leben. Er begann das tödliche Massaker auf dem Parkplatz des Supermarktes und setzte es im Innern fort. Die ersten zwei Minuten seines Anschlages streamte der Täter live im Internet, bevor die Online-Plattform Twitch den Livestream beendete.

Auf die Tatwaffe, ein halbautomatisches Gewehr, hatte der Täter in weißer Farbe das N-Wort geschrieben, eine rassistische Beleidigung. Die Polizei nahm ihn am Tatort fest, vor dem Haftrichter plädierte er auf »nicht schuldig«. Der Täter, dessen Eltern Ingenieure sind, musste sich vor einem Jahr einer psychiatrischen Befragung unterziehen, nachdem er damit gedroht hatte, in seiner Schule ein Massaker anzurichten. Dies blieb für ihn allerdings ohne Konsequenzen.

Taten wie die in Buffalo sind keine Einzelfälle – weder in den USA noch weltweit. Täter in Halle in Sachsen-Anhalt, in Christchurch in Neuseeland oder im norwegischen Oslo und Utøya hatten es auf religiöse beziehungsweise ethnische Minderheiten oder Linke abgesehen. In den USA gelten die Anschläge von Buffalo, Charleston, Pittsburgh, El Paso und weitere als Inlandsterrorismus. Laut dem US-Inlandsgeheimdienst FBI stellt rechter Terror im eigenen Land derzeit die größte nationale Gefahr dar. US-Präsident Joe Biden sagte bei seinem Besuch am Tatort, die Tat sei »schlicht und einfach Terrorismus«. Es handle sich um ein »mörderisches, rassistisches Verbrechen«.

Bereits vor der Tat hatte der Täter im Internet ein Bekennerschreiben veröffentlicht. In dem 180-seitigen Schriftstück, das er selbst als »Manifest« bezeichnet, beschrieb der 18-jährige Rechtsterrorist, was ihn zu der Tat motiviert und wie er sich im Internet radikalisiert hat. Wie andere rechtsnationale Attentäter vor ihm, die er als Vorbilder nennt, glaubt er an den Verschwörungsmythos des »Großen Austausches«, auch unter »Umvolkung« bekannt. Anhänger*innen dieses Irrglaubens sind davon überzeugt, eine jüdische »Weltelite« wolle in westlichen Ländern die mehrheitlich weiße Bevölkerung durch nichtweiße Einwanderer*innen »austauschen«. Darin zeigen sich sowohl Antisemitismus als auch Rassismus.

Der Attentäter von Buffalo wollte nach eigenen Angaben schwarze Menschen töten, um sie zu dezimieren, Nachahmer*innen zu motivieren und einen »Rassenkrieg« zu provozieren. Was nach verquasten Ideologien weniger Rechtsradikaler im Internet klingt, ist indes längst in einem US-Leitmedium angekommen: Beim quotenstärksten Nachrichtensender der USA, den rechten Fox News, verbreitet deren beliebtester Moderator, Tucker Carlson, allabendlich zur besten Sendezeit abgeschwächte Versionen dieser und anderer rechtsextremer Weltanschauungen. Allein in mehr als 400 seiner Sendungen erwähnte der TV-Demagoge den »Großen Austausch«.

Doch Tucker Carlson tut noch mehr. Indem er mitunter sagt, »jemand sollte etwas unternehmen«, fühlen sich einige tatsächlich angesprochen, etwa Männer wie der Täter von Buffalo. Das wird als »stochastischer Terrorismus« bezeichnet, stochastischer Terrorist ist demnach der, der andere indirekt über Massenkommunikationsmittel zu terroristischen Taten motiviert. Carlson bezeichnete den Täter in seiner Show nach dem Anschlag als »geisteskrank« und dessen »Manifest« als »unpolitisch«.

Auch Politiker*innen der republikanischen Partei glauben an den »Großen Austausch« und halten damit nicht hinter dem Berg. Elise Stefanik, die Nummer drei der Republikaner im US-Kongress, unterstellte in einem Wahlwerbespot, »radikale Demokraten« wollten »elf Millionen illegal Eingewanderten Amnestie gewähren« um dadurch »unsere Wählerschaft zu stürzen und dauerhaft eine links-liberale Mehrheit in Washington zu schaffen«.

Einer aktuellen Umfrage zufolge sind knapp ein Drittel der Menschen in den USA davon überzeugt, »dass eine Gruppe von Menschen versucht, gebürtige Amerikaner durch Einwanderer zu ersetzen, um Wahlgewinne zu erzielen«. Außerdem glauben 47 Prozent der republikanischen Wähler*innen, dass eine Zeit kommen wird, in der »patriotische Amerikaner das Gesetz selbst in die Hand nehmen müssen«.

In dem Versuch, dem rechten Terror politisch etwas entgegenzusetzen, haben die regierenden Demokraten im Repräsentantenhaus für ein Gesetz zum besseren Vorgehen gegen inländischen Terrorismus gestimmt. Doch die Chance, dass es den Senat passiert, ist verschwindend gering.

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