Das Grauen gesehen

Der Hollywood-Schauspieler Ray Liotta, bekannt als Henry Hill in dem Filmklassiker »Goodfellas«, ist gestorben

  • Kristof Schreuf
  • Lesedauer: 4 Min.

Das furiose Finale von Martin Scorseses »Goodfellas« protokolliert einen der letzten Tage vor Henry Hills Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm. Der Mafia-Gangster steigt an einem frühen Maimorgen des Jahres 1980 in seinen Wagen, fährt von seinem Haus in Brooklyn los und entdeckt einen Hubschrauber am Himmel.

In den folgenden Stunden verkauft der von Ray Liotta gespielte Hill erst Pistolen und holt dann seinen Bruder aus dem Krankenhaus sowie seine Frau vom Einkaufen ab. Anschließend kehrt Hill wieder nach Hause zurück, um dem Babysitter seiner beiden kleinen Töchter ein Paket Kokain ans Bein zu kleben. Die Drogenkurierin soll damit zum Flughafen fahren, einen Flieger nach Atlanta nehmen und dort das Paket an einen von Hills Kunden übergeben. Bis dahin und zwischendurch muss er nervige Telefonate mit seiner Geliebten und fruchtlose Wortwechsel mit einigen Gangster-Freunden durchstehen, während er gleichzeitig aufpassen muss, dass die Fleischsoße nicht anbrennt.

Doch so fest sein krimineller Alltag Hill auch in einen Schraubstock zwingen mag, ein gutes Leben, findet er, sei trotzdem gar nicht so schwer. Denn es komme nur darauf an, wie Liotta Lorraine Bracco als seiner Filmfrau Karen erklärt, sich bei Gesetzesverletzungen »einfach nicht erwischen zu lassen«. Damit beschreibt er zwar die Lebensauffassung vieler Menschen heute. Doch für Hill könnte sich deren Umsetzung als schwierig erweisen, da doch, egal, wo er mit seinem Wagen hinfährt, der Helikopter die ganze Zeit über ihm in der Luft hängt. Hills gedunsenes Gesicht glänzt dabei von Schweiß, seine Katzenaugen umkreisen dunkle Ränder. Um Liottas angespannte Gemütslage akustisch zu illustrieren, ergänzt Scorsese die Bilder, welche der Kameramann Michael Ballhaus einfängt, mit vor fiebriger Energie flirrenden Songs. Darunter »Magic Bus« von The Who, »Jump into the Fire« von Harry Nilsson, »Monkey Man« von den Rolling Stones und schließlich »Mannish Boy« von Muddy Waters.

Ray Liotta hatte vor seiner einzigen Zusammenarbeit mit Scorsese die unterschiedlichsten Rollen übernommen. In »Something Wild« trat er als Melanie Griffiths eindrucksvoll gefährlicher Ex-Mann mit Gefängniserfahrung auf. In dem Baseballfilm »Field of Dreams« spielte er den legendären Shoeless Jackson. Der kommt immer wieder aus einem Maisfeld hervor, um Kevin Costner klarzumachen, dass die Pflanzen zwar jetzt noch dastünden, dort aber demnächst unbedingt ein Baseballfeld hinmüsse.

Auch nach »Goodfellas« hat Liotta etlichen Regisseuren sein Können zur Verfügung gestellt. In »Blow« war er als rechtschaffener Vater eines Drogendealers, verkörpert von Johnny Depp, zu sehen, welcher für die Karriere seines Sohns nur Verachtung übrig hatte. In »Copland« war Liotta als ein zwischen Gut und Böse hin- und hergerissener Polizist und erneut an der Seite von Robert de Niro zu sehen.

Einen Grund, warum »Goodfellas« aus Liottas Schaffen herausragt, liefert neben den beschriebenen Einstellungen mit Hubschrauber auch das grotesk angestrengte, überlaute Lachen in der berühmten Szene, in welcher Joe Pesci als Tommy DeVito Liotta fragt: »Do you think, I’m funny?« Der dazugehörige Wortwechsel zwischen den beiden stand ursprünglich gar nicht im Drehbuch. Stattdessen begann Pesci zu improvisieren, während Liotta sich erst klein mit Hut machte und dann um sein Leben wieherte. Gleich wie oft man diese Szene anschaut, sie verstört immer immer.

Ein zweiter Grund, warum sich Liottas Performance in »Goodfellas« ins Gedächtnis eingräbt, liegt in seiner Fähigkeit, in jeder Sekunde zwei Dinge gleichzeitig zu zeigen. Zum einen ist er sich über die Entscheidungen, die ihn ins Zentrum eines Schlamassels befördert haben, absolut im Klaren. Zum anderen fragt er sich trotzdem immer wieder – etwa, wenn er den Kofferraum seines Wagens, in dem der erst zusammengetretene, dann mit einem Messer erstochene und zuletzt mit einer Pistole erschossene Billy Batts liegt, schließt –, wie ihm das jetzt wieder passieren konnte. Bei den aus dem Off gesprochenen Sätze Liottas handelt es sich in solchen Momenten nicht mehr um lakonisch vorgetragene Fußnoten zum auf der Leinwand präsentierten Geschehen. Vielmehr dokumentiert Liotta mit dem Voiceover seine Bemühung, sich mit sanft angerauter Stimme eine Biografie einzureden: »Solange ich denken kann, wollte ich ein Gangster werden.«

Dabei guckt er auch noch so schön leer in die Weite, wie das in »Apocalypse Now« seinerzeit Martin Sheen gelang. Sheen fuhr als Captain Willard den Nung-Fluss auf einem Patrouillenboot hinunter, um, wie es im Militärjargon hieß, Colonel Kurtz’ »Kommando zu terminieren«, ihn also umzubringen. Auch er konnte aus dem Off so einnehmend raunen wie Liotta in »Goodfellas«. Sheen hat in »Apocalypse Now« das von T. S. Eliot bedichtete »Grauen« ebenso gesehen wie Liotta es in »Goodfellas« tat. Deshalb nehmen uns beide Filme bis heute unverändert mit.

Am vergangenen Donnerstag ist Ray Liotta mit 67 Jahren gestorben.

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