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Hoffen auf Berlin
Ein russischer Aktivist versucht seit Monaten, in Deutschland Asyl zu bekommen
Nikolai Baschmakow ist nervös, immer wieder fragt der 30-Jährige nach, ob er alles richtig verstanden hat, was das deutsche Konsulat in Tiflis von ihm verlangt und wie gut seine Chancen stehen, endlich ein Visum zu bekommen. Fast fünf Monate ist es her, dass Baschmakow nach Georgien kam, um von hier aus weiter nach Deutschland zu gelangen.
In seine Heimatstadt Kasan kann Baschmakow nicht zurück, in Russland wird er wegen seiner politischen Aktivitäten von der Polizei gesucht, ihm drohen mehrere Jahre Haft, erzählt er dem »nd« am Telefon. Mit der Flucht endete sein beinahe zehnjähriges politisches Engagement in seiner Heimat, das im Sommer 2012 begann. Damals habe ihm ein Polizist Drogen untergeschoben, dafür kam er ein halbes Jahr ins Gefängnis. Die Methode ist bei russischen Polizisten so beliebt, dass viele den entsprechenden Paragraphen »Volksparagraphen« nennen. Nach seiner Entlassung kämpfte Baschmakow gegen das Urteil an und gewann, für ihn sei das der Punkt gewesen, an dem er sich entschied, sich einzumischen und für eine bessere Politik in Russland zu kämpfen.
Es folgten Mahnwachen gegen die Folter in den Gefängnissen und Demonstrationen für den Oppositionellen Alexei Nawalnyj. Dafür bekam er immer wieder mehrtägige Haftstrafen. Im vergangenen Jahr machte er Bekanntschaft mit dem Zentrum für Extremismusbekämpfung – kurz: Zentrum »E«. Diese Sonderheit des Innenministeriums ist berüchtigt für die Einschüchterung von Oppositionellen. Nach seiner Mahnwache gegen Folter Anfang November 2021 durchsuchten Mitarbeiter des Zentrums »E« seine Wohnung, berichtet er. Erst später habe er festgestellt, dass die Polizisten Zigarettenstummel aus dem Aschenbecher mitgenommen hatten. Wahrscheinlich, um DNS-Proben zu sammeln. Als Baschmakow dann auf dem Weg zu einem Anwalt war, um über eine Klage gegen das Zentrum »E« zu beraten, kam es zu dem Vorfall, der ihn letztendlich aus dem Land trieb.
Die russische Teilrepublik Tatarstan hatte an diesem Tag QR-Codes im Nahverkehr eingeführt, zu unrecht, meint Baschmakow. Denn auf landesweiter Ebene sei dies nie beschlossen worden, also gab es keinerlei rechtliche Grundlage. Als er im Bus keinen QR-Code vorweisen konnte, kam es zu einem Handgemenge mit dem Fahrer und dem Kontrolleur, die den Aktivisten dann verprügelten. Sowohl der Kontrolleur als auch Baschmakow erstatteten hinterher Anzeige. »Leider war der Kontrolleur schneller als ich«, ärgert sich Baschmakow. Obwohl es Videos vom Vorfall gibt, die seine Version bestätigen, musste er fünf Tage ins Gefängnis und zusätzlich 2000 Rubel (35 Euro) Strafe zahlen. Doch damit nicht genug. Als Baschmakow mitbekam, dass gegen ihn ein Strafverfahren eröffnet werden soll, legten Freunde für ein Ticket nach Georgien zusammen. Am 29. Januar kam er dort mit einem Rucksack und den Sachen, die er anhatte, an. »Glücklicherweise hielten mich die Grenzer für einen Touristen«, sagt Baschmakow über seine Flucht. Denn das Land, lange Zeit Zufluchtsort für russische Oppositionelle, lässt verfolgte Russen immer häufiger nicht einreisen. Die Regierung wolle es sich nicht mit dem Kreml verscherzen, vermuten Beobachter.
Georgien wurde nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine zum wichtigsten Ziel russischer Emigrant*innen. Zum einen, weil sie hier ein Jahr ohne Visum leben können und zum anderen, weil die Europäische Union Ende Februar für Russ*innen gefühlt dicht machte. Auf Anfrage des »nd« schreibt das Bundesinnenministerium (BMI), man habe von Anfang März bis Ende Mai rund 11000 Visa an russische Staatsangehörige ausgestellt. Viele Menschen haben jedoch erst gar kein Visum beantragt, denn das deutsche Konsulat in Moskau ist bekannt für seine sehr strikte Vergabepolitik. Statt betroffenen Russ*innen zu helfen, verwies man dort auf Corona-Beschränkungen.
Die humanitäre Außenpolitik der Bundesrepublik ist für Russ*innen in Moskau und Tiflis so weit entfernt wie die Aussicht auf Frieden in der Ukraine. Bis Mittwoch wurde lediglich 96 Russ*innen die Aufnahme aus humanitären Gründen zugesagt, schreibt ein Sprecher des BMI dem »nd«. Nikolai Baschmakow gehört nicht zu den Auserwählten. Und kann nicht verstehen, warum. Die vom Konsulat in Tiflis geforderten Nachweise, dass er in Russland politisch aktiv war und ihm dort eine Gefängnisstrafe droht, hat Baschmakow als Kopie eingereicht. Die Originale befinden sich unerreichbar in Kasan, darunter auch seine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Auch die diagnostizierte Posttraumatische Belastungsstörung reichte nicht aus, um Asyl zu bekommen. Als er im Mai davon hörte, dass Deutschland die Aufnahme verfolgter Russ*innen erleichtert, war die Hoffnung groß, erzählt er. Doch anstatt mit eine*r Konsulatsmitarbeiter*in sprechen zu können, gab man ihm eine Visitenkarte mit einer E-Mail-Adresse. An diesem Freitag dann endlich eine gute Nachricht: Baschmakow ist zum Gespräch ins Konsulat eingeladen.
Bereits 2018 hatte Baschmakow versucht, in Finnland politisches Asyl zu bekommen, konnte aber nach Ansicht der Skandinavier nicht genügend Beweise vorlegen. Jetzt hofft er, dass die Deutschen ihr Versprechen an russische Aktivist*innen wahrmachen. Denn in Tiflis kann er nicht bleiben. Weil er dort an vielen Anti-Kriegs-Demonstrationen teilnimmt und Texte gegen den russischen Einmarsch im Internet veröffentlicht, befürchtet er, ins Visier der russischen Geheimdienste zu geraten oder ausgewiesen zu werden. Schon länger warnen Journalist*innen davor, dass Russlands Geheimdienste die Visafreiheit nutzen, um in Georgien gegen Landsleute vorzugehen.
In Deutschland will Baschmakow einfach zur Ruhe kommen. Die Hoffnung, dass sich in Russland etwas ändern kann, hat er noch nicht aufgegeben. Wenn es soweit ist, will er wieder zurück nach Kasan.
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