Die Waffen der Friedlichkeit

Die Linke verurteilt den Krieg gegen die Ukraine und wendet sich gegen eine Relativierung der russischen Aggression

Schon bei der Ankunft der Parteitagsbesucher am Erfurter Messegelände ist klar, was die Stunde geschlagen hat. Der erste sichtbare Hinweis auf den Parteitag, der viele schwierige Fragen zu klären haben wird, sind die Linke-Banner, die nahe der Straßenbahn-Haltestelle müde in der schwülen Sommerhitze flattern. Der zweite Hinweis, schon deutlich drängender, ist das Transparent einer linken Splittergruppe: »Schmeißt die EU/Nato-Unterstützer aus der Linken!« Ein Mann versucht, gleichlautende Flugblätter zu verteilen, kaum jemand will einen seiner Zettel haben. »Ich schmeiße niemanden raus«, sagt eine Delegierte im Vorbeigehen.

Dass die russische Aggression gegen die Ukraine der Linken politisch zu schaffen macht, ist seit Wochen zu beobachten. Der Partei, die immer für die Forderung stand, ein europäisches Sicherheitssystem gemeinsam mit Russland zu schaffen. Die sich dafür einsetzte, russische Interessen, auch im Bereich der militärischen Sicherheit ernst zu nehmen. Die sich gegen westliche Überheblichkeit wehrte und die Ostausdehnung der Nato kritisierte.

Spätestens seit dem 24. Februar 2022, dem Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine, ist die Debatte in der Linken zur Haltung gegenüber Russland, gegenüber der Rolle des Westens, gegenüber Waffenlieferungen in schwere Bewegung geraten. Je länger dieser Krieg dauert, desto verbissener wird der Streit geführt. Seit Langem war klar, dass dieses Thema eines der entscheidenden auf dem Erfurter Parteitag sein würde. Weshalb der Parteivorstand ihm einen eigenen Leitantrag widmete.

Die russische Führung trage die Verantwortung »für diesen verbrecherischen Angriffskrieg«, sagte die alte und neue Parteivorsitzende Janine Wissler in ihrer Rede zu Beginn des Parteitags. Die Solidarität und – wie Wissler ausdrücklich hinzufügt – die Empathie der Linken gehöre den Menschen in der Ukraine, »die fliehen mussten, die alles verloren haben«, und auch den Menschen in Russland, die sich gegen diesen Krieg wenden. Man wisse, dass dieser Krieg eine Vorgeschichte habe, sagt Wissler und meint damit die letztlich gescheiterten Minsk-Verhandlungen und die seit 2014 anhaltenden Kämpfe zwischen dem ukrainischen Militär und den Separatisten im Donbass, aber das sei »keine Rechtfertigung« für den russischen Überfall.

Es gibt einen Konsens in der Linkspartei zu diesem Krieg, der enge Grenzen hat. Niemand bestreitet, dass die russische Aggression völkerrechtswidrig ist, niemand auch findet sich, der das gigantische Rüstungsprogramm der Bundesregierung und anderer Nato-Staaten nicht strikt ablehnen würde. Aber dann beginnen auch schon die Differenzen, und was sich in einer zähen Antragsdebatte teilweise wie rechthaberische Wortklauberei anhört, wirft bei genauerem Hinsehen Schlaglichter auf die Streitpunkte. Denn es mag zweitrangig erscheinen, ob die Verantwortung der Nato für die Zuspitzung des Verhältnisses zu Russland im ersten oder im dritten Absatz des Leitantrags thematisiert wird. Aber es ist eben ein Unterschied, ob – wie im Antrag des Parteivorstands – zunächst der »verbrecherische Angriffskrieg Russlands« als Teil »zunehmender geopolitischer Rivalitäten unterschiedlicher imperialer Machtansprüche« kritisiert wird oder ob dieser Krieg als von der Nato provoziert dargestellt wird. Die Nato habe viele Fehler gemacht, sagte Gregor Gysi, außenpolitischer Sprecher der Linke-Bundestagsfraktion, aber keiner davon rechtfertige die Aggression gegen die Ukraine.

Eine aufgeregte Auseinandersetzung hatte es schon vor dem Parteitag gegeben, als eine Gruppe von Delegierten um Sahra Wagenknecht mit einem Änderungsantrag das Bekenntnis zur Solidarität mit den Menschen in der Ukraine aus dem Leitantrag streichen wollte. Nach einem kleinen Empörungssturm war von einem Missverständnis die Rede. Wagenknecht, die wegen einer Krankmeldung nicht nach Erfurt gekommen war, hatte unmittelbar vor Tagungsbeginn in einem Zeitungsinterview die Sanktionen gegen Russland als »völlig verrückt« bezeichnet, »weil sie vor allem uns selbst schaden, während die russischen Einnahmen sogar steigen«. Diese generelle Ablehnung von Sanktionen, in Erfurt auch von anderen vertreten, steht im Gegensatz zum Vorstandsantrag. In diesem heißt es, Sanktionen müssten sich gegen die ökonomische Machtbasis des Systems Putin richten; sie dürften aber nicht zur Verarmung der Mehrheit der Bevölkerung führen.

Unterschiedliche Standpunkte wurden auch beim Thema Waffenlieferungen deutlich. Im Leitantrag des Vorstands heißt es dazu, statt Waffenlieferungen in Kriegsgebiete müssten nichtmilitärische Möglichkeiten erweitert werden, den Konflikt zu beenden. Das ist zumindest interpretationsfähig und so werden wohl weiterhin die einen, wie die Kandidatin für den Parteivorsitz Heidi Reichinnek, generell Waffenlieferungen ablehnen, während andere wie Janine Wissler die Lieferung schwerer Waffen ablehnen. Und wieder andere wie Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow der Ukraine das Recht zugestehen, sich auch mit deutschen Waffen zu verteidigen, denn klar sei, dass der Krieg nicht mit Resolutionen gestoppt werden könne. In einem Interview sagte er , er habe Schwierigkeiten damit, wenn der Angegriffene gesagt bekomme: »Du bist jetzt ein Krisengebiet, du darfst jetzt keine deutschen Waffen anschaffen.«

Wobei es passieren kann, dass die prinzipielle Debatte überraschend von ganz persönlichen Blickwinkeln ausgeleuchtet wird. Plötzlich steht eine junge Frau am Mikrofon, Sofia Fellinger, die aus einer ukrainischen Familie stammt und erzählt, dass es ihr immer schwerer falle, in ihrer Familie und in ihrer Community für Die Linke zu werben, in der sie aktiv ist. Sie erlebe in der Linken »untragbare Äußerungen«, eine Verharmlosung des Putin-Regimes und des Leids in der Ukraine, während in ihrer Heimat täglich Menschen sterben. »Frieden«, sagte sie, »kommt nicht vom Panzerumarmen.« Auch die russische Linke brauche Solidarität, sagte Oksana Timofejewa, Dozentin an der Europäischen Universität St. Petersburg. Sie sprach vom »russischen Raubtierkapitalismus«, in dem eine kleine Gruppe Macht und Privilegien verteidige, nach Timofejewas Ansicht mit faschistischen Methoden. Im Westen glaubten manche noch, Putin bekämpfe den US-Imperialismus, stattdessen unterdrücke er die russischen Arbeiter und führe Krieg.

Am Ende setzt sich der Leitantrag des Parteivorstands ohne Veränderungen durch. Darin werden ein sofortiger Waffenstillstand, ein Rückzug der russischen Truppen und Verhandlungen gefordert. Die Linke sei dem Völkerrecht verpflichtet und messe nicht mit zweierlei Maß. Oder, wie es Gregor Gysi sagte: »Wir müssen das ganze Völkerrecht respektieren und nicht nur die Teile, die wir mögen.«

Die vielleicht griffigste Formulierung fand Gerhard Trabert, der Sozialmediziner, der für Die Linke bei der Wahl des Bundespräsidenten kandidiert hatte. Er war in Erfurt per Video zugeschaltet und sagte aus seiner Erfahrung in Krisengebieten, dass man die von Krieg betroffene oder bedrohte Zivilbevölkerung auch mit militärischen Mitteln schützen müsse. Aber das könne nur eine begrenzte Lösung sein. Vor allem, rief Trabert den Delegierten im Erfurter Sitzungssaal zu, »brauchen wir Waffen der Friedlichkeit«.

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