Der Ansturm der »Gentleminions«

Kolumnistin Nadia Shehadeh zum neuesten TikTok-Gentleminions-Trend: Nicht nur Fluch, sondern auch Segen

Noch nie hat mich im Leben etwas weniger interessiert als die Minions-Animationsfilmreihe, in denen kleine gelbe Einzeller, die aussehen wie Bohnen mit Gesicht, die Hauptrolle spielen. Seit dem vergangenen Wochenende aber kommt man an dem Kinophänomen kaum noch vorbei – zumindest wenn man sich minimal mit Popkultur, Musik und Internetphänomenen beschäftigt. Der Film »Minions – Auf der Suche nach dem Mini-Boss« brach einen Kino-Rekord für das US-amerikanische Unabhängigkeitswochenende, indem er in drei Tagen 108,5 Millionen US-Dollar auf dem US-Markt einspielte.

Es sorgte außerdem für einen der interessantesten Soundtracks des Jahres – und für einen TikTok-Trend, der geradezu lächerlich erfolgreich ist. Bei Letztgenanntem stürmen überwiegend junge Männer und Teenager in Anzügen die Kinos, um Clips für das Videoportal zu drehen, bei denen von allerlei Schabernack bis hin zu richtigem Radau das Minion-Filmerlebnis zu einem soliden »Shitposting« bei TikTok verwurstet wird. Shitposting bedeutet dabei: im Netz inhaltlich sinnlosen Content hochladen, der amüsieren oder provozieren soll. Und TikTok ist für diese Art von Internetquatsch natürlich genau die richtige Anlaufstelle: Der Trend erreichte mit mehr als 24 Millionen Aufrufen zum Hashtag #gentleminions schwindelerregenden Erfolg im Netzwerk. Das ist wahrscheinlich auch dem Umstand geschuldet, dass sich sowohl Minion-Memes, Nostalgie und das gute alte Kinoerlebnis, das durch die Corona-Lockdowns ein bisschen in den Hintergrund geraten war, mit dem Trend verbinden lassen. Vor allem in Großbritannien sorgen die Gentleminions für Furore – und zwar nicht nur im positiven Sinne.

Wenn man sich die Videos zu #gentleminions in den sozialen Netzwerken anschaut, weiß man zunächst nicht so genau, ob man es mit einer Weiterführung eines obskuren Incel-Trends zu tun hat oder ob einfach Kindheitserinnerungen ironisch persifliert werden. Viele der jungen Erwachsenen, die sich mit voller Hingabe dem Trend widmen, sind schließlich mehr oder weniger mit den Minions aufgewachsen. Die Jungs in Anzügen der #gentleminions-Bewegung ziehen sich während der Filmvorführung Bananen (Lieblingsspeise der Minions) rein, tanzen wie von der Tarantel gestochen zum Hit »Rich Minion« von Yeat vor der Leinwand und verursachten mit krawalligen Tanzzirkeln so viel Randale, dass verzweifelte Eltern, die mit ihren kleinen Kindern die Kinos besuchten, verärgert ihr Eintrittsgeld zurückforderten. Sicherheitskräfte mussten bei manchen Minions-Vorstellungen die »Gentleminions« – so nennen sich die aufgebrezelten jungen Männer voller Stolz selbst – aus dem Verkehr ziehen. Wegen Lärmbelästigung musste zumindest einmal die Polizei ausrücken und einige Kinos kündigten an, überkandidelt gekleidete junge Erwachsene vorsichtshalber gar nicht mehr ins Haus zu lassen, um Unruhe zu vermeiden.

Manche Eltern verließen mit ihrer Brut schon vor Filmbeginn entnervt den Kinosaal, da durch den Krawall der gut gekleideten Teenager an ein entspanntes Kinoerlebnis mit der Familie einfach nicht zu denken war. Und bei den Kindern? Kullerten wegen der Störung teilweise auch die Tränen – aber manche feierten den Hype der älteren Altersgenossen einfach mit, was gemeinsame Fotos in den sozialen Netzwerken belegen. Es ist wie immer: Nicht alles an Teenager-Rabaukerei ist Quatsch, sondern manchmal sind freche Grenzüberschreitungen auch einfach nur unterhaltsam und vor allem aufschlussreich. Insbesondere dann, wenn man mit ansehen möchte, mit welchen kreativen Mitteln junge Menschen den Phänomenen aus ihrer Kindheit Tribut zollen.

Außerdem ist die rabaukige Begeisterung der jungen Anzugträger für den neuen Minion-Film nicht immer nur ein Ärgernis, sondern (sofern die Randale und massives Gepöbel ausbleibt) eigentlich eine feine und vor allem auch unterhaltsame Ironie-Bewegung, die nicht nur für manche Kinobetreiber, sondern vor allem für die Macher der Minions eine regelrechte Erfolgsmaschine ist. Auffallend viele junge Leute zwischen 13 und 17 Jahren schauten sich den Film in den vergangenen Tagen an. Was ungewöhnlich ist für ein Phänomen, das ansonsten eher kleine Kinder und deren Eltern anzieht. Und was besonders sympathisch ist: dass das ganze Ausdruck einer Fankultur ist, mit der es jungen Erwachsenen gelingt, sich nicht für die Freuden ihrer Kindheit zu schämen – sondern im Gegenteil standesgemäß zu zelebrieren, was man als Kind geliebt hat. Auch wenn es dabei teilweise ziemlich ruppig vonstatten geht.

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