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Technikmesse Tour de France

Scheibenbremsen und Schlauchlosreifen – auch bei dieser Tour tüfteln die Teams am richtigen Material. Doch nicht jede Neuerung setzt sich durch

  • Tom Mustroph, La Planche des Belles Filles
  • Lesedauer: 6 Min.
Viele Rennfahrer sind inzwischen auf Schlauchlos-Reifen umgestiegen – bei einem Defekt kann man mit ihnen selbst auf Kopfsteinpflaster noch lange weiterfahren.
Viele Rennfahrer sind inzwischen auf Schlauchlos-Reifen umgestiegen – bei einem Defekt kann man mit ihnen selbst auf Kopfsteinpflaster noch lange weiterfahren.

Die Tour de France ist stets auch ein Produktemarkt. Neue Räder werden vorgestellt, Technologien beim Bremsen, Schalten und Rollen optimiert. Sie sollen, getreu der einstigen Gründungsmaxime vom britischen Rennstall Sky, kleine Nutzen bringen, die sich am Ende zu größeren Wattvorteilen summieren.

»Wir sind schon stolz darauf, dass wir Pioniere dabei waren, am Material etwas zu ändern«, sagte Rod Ellingworth, Performance-Direktor einst bei Sky und jetzt auch beim Nachfolgerennstall Ineos Grenadiers, zu »nd«. Beim Rennen um die besten technischen Neuerungen ist Sky aber schon länger nicht mehr Trendsetter. Die anderen Rennställe haben aufgeholt. Radhersteller, Bekleidungsfirmen und Anbieter von Anwendungen zur Leistungsmessung bieten sich ein Wettrennen. Im Hinterkopf der Firmen steckt dabei oft der Massenmarkt. Die Entwicklung neuer Produkte für den Hochleistungssport rentiert sich nur, wenn auch die Amateure nachziehen. Und die schauen darauf, was die Profis machen. Ein unendlicher Kreislauf.

Die ganz großen Revolutionen dauern aber an. Die ersten Scheibenbremsen baute die japanische Firma Shimano bereits im Jahr 1971 in Kinderfahrräder ein. Aber die Skepsis bei den Profis hielt mehrere Jahrzehnte an. Nach einem Sturz während der Abu Dhabi Tour im Februar 2017 präsentierte der britische Radprofi Owain Doull einen längs aufgeschnittenen Rennschuh und reklamierte, die neue Scheibenbremse des deutschen Topsprinters Marcel Kittel hätte für den Schnitt gesorgt. »Zum Glück war es nur der Schuh und nicht mein Bein«, klagte Doull damals. Im Juli 2017 sorgte Kittel dann für den ersten Etappensieg bei der Tour de France mit Scheibenbremse. Das war ein Durchbruch. Mittlerweile benutzen alle Tour de France-Teams Scheibenbremsen. Die scharfen Kanten sind kein Thema mehr. »Wir sind überzeugt davon, seit langem schon. Und jetzt, da die meisten Scheibenbremsen fahren, macht es das Bremsen auch sicherer, weil es keine Unterschiede mehr gibt. Vor allem im Regen sind Scheibenbremsen sicherer«, erklärt Rolf Aldag, Performance Direktor bei Bora hansgrohe, »nd«. Ein weiterer Vorteil von Scheibenbremsen: Sie verhalten sich bei jedem Wetter gleich. »Felgenbremsen haben die Eigenart, bei Hitze sehr schnell zuzugehen. Im Regen, im Nassen hat man hingegen erst einmal das Gefühl von Beschleunigung. Man zieht, man zieht stärker, und es wird einfach nicht langsamer«, meint Aldag. Manche Teams setzen dennoch vor allem in den Bergen weiterhin auf Felgenbremsen. »Sie sind einfach leichter als Scheibenbremsen«, erklärt Tadej Pogačar. Der Slowene fuhr 2021 in munterem Wechsel zwischen Scheibenbremse und Felgenbremse zum Toursieg. Auch in diesem Jahr fiel er als Bremswechsler auf. Aldag lacht darüber nur. »Das ist nur dann nachvollziehbar, wenn der Hersteller nicht in der Lage ist, ein leichtes Rad zu bauen, mit dem man auch mit Scheibenbremse an das Mindestgewicht von 6,8 Kilogramm herankommt«, sagt er. Colnago, der Radhersteller von Pogačars Team UAE, hat hier offenbar noch Luft nach oben. Wer im Alltagsgebrauch weiter die billigeren und auch viel leichter selbst auszubauenden Felgenbremsen benutzt, kann sich also damit trösten, es wie der zweifache Toursieger zu halten.

Die zweite große technologische Entwicklung im Straßenradsport sind die schlauchlosen Reifen. Bereits 2008 holte Philippe Gilbert beim belgischen Halbklassiker Omloop Het Volk den ersten Sieg mit der neuen Technologie. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass kleinere Löcher durch eine Dichtungsflüssigkeit verschlossen werden und man trotz Defekt noch lange weiterfahren kann. Gilbert meinte nach seinem Pioniersieg: »Ich weiß jetzt, dass ich kein Rennen mehr wegen eines Plattens verlieren kann.« Allerdings hielt auch hier die Skepsis lange an. Denn Schlauchlosreifen sind erstens schwerer. Und sie müssen auf spezielle Felgen geklebt werden. »Im letzten Jahr hatten wir noch ein Problem mit den Felgen. Deshalb sind wir erst in diesem Jahr auf Tubeless umgestiegen«, erzählt Bora hansgrohe-Mechaniker Mario Lexmüller »nd«. Im Rennen hat sich dies bereits ausgezahlt. »Bei der Roubaix-Etappe hatten wir nur einen Platten, mit Alexander Wlassow. Der konnte aber noch die gesamte Pflastersteinpassage mit Luft im Reifen durchfahren. Danach hielt er an, und wir konnten schnell mit dem Materialwagen hin und das Rad austauschen. Mit Schlauchreifen hätte er mit einem Platten mitten auf dem Pflaster gestanden«, blickt Aldag auf die 5. Etappe dieser Tour zurück. Und die Klassementhoffnungen für den Russen wären wohl vorbei gewesen. An eine »Renaissance der Schlauchreifen« glaubt Aldag gerade bei einem solchen Parcours nicht mehr.

Den Herstellern kommen solche Erfahrungen natürlich zupasse. Sie werben mächtig für die neuen Reifensysteme. Sie sind schließlich auch teurer. Wer weiter auf Schläuchen fahren will, weil die sich auch leichter wechseln lassen, kann sich darauf verlassen, dass Radsportphilosoph Guillaume Martin weiterhin auf Schlauchreifen unterwegs ist. Beim Giro zumindest sagte der Cofidis-Profi »nd«: »Wir sind komplett auf Schlauchreifen unterwegs.«

Bergkönig Magnus Cort Nielsen hält es mit den Reifen so wie der Gelbträger Pogačar mit den Bremsen: Er wechselt munter, je nach Terrain. »Im Flachen nutze ich die Schlauchlosen, in den Bergen, wegen des geringeren Gewichts, die Schlauchreifen«, erzählte er »nd«.

Während bei Reifen und Bremsen die nähere Zukunft klar scheint – nur das höhere Gewicht scheint bei einigen Herstellern noch ein Problem – setzt sich nicht alles, was neu ist, tatsächlich durch. Das ovale Kettenblatt ist so ein Beispiel. Chris Froome, ein früher Fan davon, fährt es noch immer. Ob es tatsächlich Wattvorteile bringt, ist unklar. Bei Technikexperte Rolf Aldag lösen sie lediglich Wahrnehmungsprobleme aus. »Mir wird schwindlig, wenn ich da ständig draufstarre«, meint er grinsend. »Ich habe sie selber mal versucht. Aber ich fand sie merkwürdig. Man tendiert dazu, einen größeren Gang zu fahren, weil man an der größten Stelle des Kettenblatts auch sehr gut drücken kann und schnell über den Totpunkt kommt. Es birgt aber auch die Gefahr, dass man sich im größeren Gang einfach festfährt und die Frequenz verliert«, erklärt er.

Mehr Bedeutung als der Technik misst der dreifache Weltmeister Peter Sagan dem Verhalten der Profis bei. Auf die Frage nach der für ihn wichtigsten technologischen Innovation im Profiradsport der letzten zehn Jahre meinte der Slowake trocken: »Das war die aerodynamische Position in der Abfahrt. Aber die hat die UCI verboten.«

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