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Russland dreht den Gashahn zu

Deutschlands Versorgung hängt an der bislang größten Pipeline durch die Ostsee

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Über die Pipeline Nord Stream 1 floss viele Jahre der größte Teil des russischen Erdgases nach Deutschland. Doch an diesem Montag sollen die routinemäßigen jährlichen Wartungsarbeiten an den beiden Leitungssträngen beginnen, teilte Betreiber Nord Stream AG mit. Dann wird kaum noch Erdgas aus Russland nach Deutschland strömen.

Gazprom hatte seine Lieferungen durch die Pipeline zuletzt schon gedrosselt. Zuvor war die Leitung Jamal-Europa, die durch Polen führt, nicht mehr von dem weltgrößten Erdgasförderer befüllt worden. Reduziert läuft auch die Durchleitung über die Ukraine.

Als Teil des kalten Gas-Krieges zwischen Russland und der Europäischen Union wird der heutige Lieferstopp freilich nur von wenigen Fachleuten angesehen. Denn auch andere Pipelines müssen regelmäßig gewartet werden – und dafür ist der Gashahn zu schließen. Mechanische Komponenten und Automatisierungstechnik werden getestet, um auch zukünftig »den zuverlässigen, sicheren und effizienten Betrieb« der Leitungen zu gewährleisten, so das Nord-Stream-Konsortium. Der Zeitplan für die Wartungsarbeiten sei in enger Absprache und in Übereinkunft mit den vor- und nachgelagerten Partnern abgestimmt worden und entspreche den EU-Bestimmungen für den Energiegroßhandelsmarkt.

Bereits am letzten Tag des Monats Mai hatte Gazprom die Reduktion des bisher für die Nord-Stream-Pipeline geplanten Tagesvolumens von 167 Millionen um rund 40 Prozent auf 100 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag angekündigt. Anfang Juni reduzierte der Staatskonzern die Liefermengen dann erneut. Seitdem wurden maximal nur noch 67 Millionen Kubikmeter durch die Röhren gepumpt. Insgesamt wurde die Liefermenge also um rund 60 Prozent reduziert.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck stufte diese Drosselungen als politisch motiviert ein. Gazprom verwies dagegen auf Verzögerungen bei der Reparatur von zwei Gasverdichtern. Siemens Energy in München hatte zunächst mitgeteilt, dass eine in Kanada überholte Gasturbine aufgrund der EU-Sanktionen nicht aus Montréal zurückgeliefert werden könne. Am Wochenende kündigte das nordamerikanische Land jedoch an, Siemens Canada eine zeitlich begrenzte Erlaubnis eben für diese Lieferung zu erteilen. Eine zweite Siemens-Turbine, deren Wartung ebenfalls turnusgemäß 2022 ansteht, soll sich noch in Russland befinden. Im August will Bundeskanzler Olaf Scholz nach Kanada reisen. Dann wird es auch um lukrative Flüssiggaslieferungen unter der Ahornflagge nach Europa gehen.

Schon die nur teilweise verstopfte Nord-Stream-Pipeline hat den größten deutschen Gasversorger in ernste Schwierigkeiten gebracht. Uniper erhält laut Firmenangaben seit Mitte Juni lediglich 40 Prozent der vertraglich zugesicherten Gasmengen aus Russland. Der Düsseldorfer Konzern, Eigentümerin ist die finnische Fortum, kauft fehlende Mengen nun am deutlich teureren Spotmarkt, um seinen eigenen Verpflichtungen nachzukommen. Uniper liefert hauptsächlich an Großunternehmen und Stadtwerke. Bundeswirtschaftsminister Habeck hat am Wochenende signalisiert, dass Uniper die geforderten Staatshilfen erhält: »Wir werden nicht zulassen, dass ein systemrelevantes Unternehmen in Insolvenz geht und infolgedessen der globale Energiemarkt in Turbulenzen gerät.« Habeck will auch die Eigentümer in die Pflicht nehmen, die Opposition fordert unter anderem eine Sicherung der Arbeitsplätze.

Betroffen von der Nord-Stream-Wartung sind auch andere EU-Länder. Fast die Hälfte des nach Deutschland importierten Erdgases wird wieder exportiert. Die Nord Stream AG hat ihren Sitz im schweizerischen Zug, was niedrige Steuerzahlungen garantiert. Es ist ein Gemeinschaftsunternehmen von Gazprom, Wintershall-Dea, Eon, der in Staatsbesitz befindlichen niederländischen Gasunie in Groningen sowie der französischen Engie.

Die beiden Stränge der Nord-Stream-Pipeline verlaufen parallel über eine Strecke von 1224 Kilometern durch die Ostsee von der Bucht von Portowaja (nahe Wyborg, Russland) nach Lubmin. Im Jahr 2021 wurden laut Firmenangaben 59,2 Milliarden Kubikmeter preiswerten Erdgases transportiert. Die nahezu fertiggestellte Gaspipeline Nord Stream 2 wurde bisher nicht in Betrieb genommen.

Russland lieferte vergangenes Jahr rund die Hälfte des hierzulande verbrauchten Erdgases. Trotz des Teilembargos stuft die Bundesnetzagentur die Versorgung noch als sicher ein (Stand vom 10. Juli, 12 Uhr). Szenario-Rechnungen, die von der Netzagentur in Bonn durchgeführt wurden, zeigen: Bleiben die Gasimporte weiterhin eingeschränkt, ist die notwendige Speicherbevorratung für das Winterhalbjahr nicht mehr möglich.

Auch der bis Ende des Jahres geplante Bau von zwei Terminals für verflüssigtes LNG in Deutschland und die dafür bestimmten zusätzlichen Importe reichten nicht aus, so die Bundesnetzagentur, um die fehlenden russischen Gasimporte vollständig zu ersetzen. Der Verband der chemischen Industrie befürchtet, dass im Herbst ein »perfekter Sturm« aus Gasmangel, besonders hohen Energiepreisen in Deutschland und Lieferkettenproblemen losbricht. Die Wartungsarbeiten an der Ostsee-Pipeline sollen am 21. Juli beendet werden, teilte der Betreiber mit.

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