Lindner spart an der Hungerbekämpfung

Welthungerhilfe stellt Jahresbericht vor und kritisiert Etatplanungen der Bundesregierung

  • Martin Ling
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwei Milliarden Menschen müssten mit je drei US-Dollar pro Tag auskommen. Für sie ist die Verdopplung von Brot- und Lebensmittelpreisen eine Katastrophe. So bringt die Präsidentin der Welthungerhilfe, Marlehn Thieme, die aktuelle globale Entwicklung der Ernährungslage seit dem Ukraine-Krieg auf den Punkt. Die Zahlen im Jahresbericht 2021 der Welthungerhilfe haben diese jüngste Entwicklung noch nicht erfasst. Dort werden 811 Millionen Menschen Hungernde aufgeführt, bei der Pressekonferenz am Dienstag verwies Thieme bereits auf die 828 Millionen, die nach aktuellen UN-Berichten chronisch unterernährt sind – das heißt seit mindestens einem Jahr täglich zu wenig zu essen haben. Zu den wichtigsten Hungertreibern gehören Kriege und Konflikte sowie die Folgen des Klimawandels und der Corona-Pandemie. Der Krieg gegen die Ukraine verschärft die ohnehin dramatische Ernährungslage.

»Uns erreichen aus allen Projektländern verzweifelte Hilferufe. Von Afghanistan bis Simbabwe kämpfen die Menschen mit Preissteigerungen für Brot, Getreide oder Obst um bis zu 60 Prozent. Es leiden insbesondere diejenigen am stärksten, die ohnehin zu den Ärmsten gehören und am wenigsten zu den Krisen beigetragen haben. Zugespitzt hat sich Lage insbesondere am Horn von Afrika, wo 17 Millionen Menschen nicht mehr genug zu essen haben. In Somalia, Kenia und Äthiopien herrscht die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. Die desolate Situation der Familien in Äthiopien wird durch die Folgen des Krieges in der Provinz Tigray sowie Konflikten in anderen Regionen noch verschärft. Millionen Ziegen und Rinder sind bereits gestorben, Felder verdorrt, Brunnen ausgetrocknet und Wasserstellen zerstört und damit die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen zunichte gemacht. Der Krieg gegen die Ukraine wirkt wie ein Brandbeschleuniger der bereits existierenden Krisen und verschärft Hunger und Armut«, warnt Thieme.

Der schwierigen Lage zum Trotz feiert die Welthungerhilfe 2022 ihren 60. Geburtstag. Die Hilfsbereitschaft und Solidarität der deutschen Bevölkerung war auch 2021 außerordentlich hoch. Die Welthungerhilfe verzeichnet das höchste Spendenergebnis in ihrer 60-jährigen Geschichte und konnte mehr als 16 Millionen Menschen unterstützen. »Die privaten Spenden sind für uns eine wichtige Ermutigung und ein Ansporn, denn damit konnten wir auf die dramatische Ernährungslage reagieren und in unseren Projektländern noch mehr Menschen in Not unterstützen, Afrika und insbesondere die Krisenländer wie Südsudan, Mali und DR Kongo stehen dabei wieder im Mittelpunkt unserer Arbeit. In vielen Ländern kämpfen die Menschen mit den Auswirkungen von verschiedenen, sich überlagernden Krisen, und Hunger wird gezielt als Waffe eingesetzt. Wir müssen schnell und entschlossen handeln – sowohl mit kurzfristiger Überlebenshilfe und mehr Geld als auch mit langfristigen Investitionen in die Landwirtschaft«, betont Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe.

Mogge schildert ein prägnantes Erfolgserlebnis: In Uganda sorgte die mit Unterstützung der Welthungerhilfe entwickelte App AgriShare für die Verbindung kleinbäuerlicher Familien und Betriebe. Sie können sich über die Smartphone-App miteinander vernetzen und so landwirtschaftliche Maschinen und Dienstleistungen teilen. Das steigerte Erträge und Einkommen. Generell habe es in den Ländern, in denen die Konflikte beigelegt werden konnten, große Fortschritte gegeben. Neben Uganda nannte er Liberia, Simbabwe und Sierra Leone. In 36 Ländern ist die Welthungerhilfe mit Projekten aktiv. Derzeit zum ersten Mal seit den 90er Jahren in Albanien auch wieder in Europa, in der Ukraine und in der Republik Moldau wegen den Folgen des russischen Angriffskrieges.

Auch deswegen sieht Mogge die von Finanzminister Christian Lindner für 2023 angesetzten Planungen mehr als kritisch. Sie sehen massive Kürzungen vor, 250 Millionen Euro weniger für Hungerbekämpfung. Das sei überhaupt nicht nachvollziehbar, so wenig wie das Senken der Übergangshilfen um 330 Millionen Euro.

Die aktuellen Zahlen geben Mogge eindeutig recht. Der Hunger wächst, weniger Mittel sind darauf sicher die falsche Antwort. Das Bündnis für Ernährungssicherheit, das beim G7-Gipfel in Elmau 4,5 Milliarden Euro zusätzlich zur Hungerbekämpfung zugesagt habe, sei ein wichtiges politisches Signal. Damit kommen die G7 nach eigenen Angaben 2022 auf mehr als 13 Milliarden Euro zur Hungerbekämpfung. Laut UN sind umgerechnet 44 Milliarden Euro nötig, um die aktuelle Nahrungsmittelkrise wirksam einzudämmen. Bisher belaufen sich die Zusagen auf rund die Hälfte. Mit den Lindners dieser Welt lässt sich der Hunger nicht bekämpfen.

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