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Der Kulturbotschafter von Ferch

Wolfgang Protze hat mit seiner Obstkistenbühne lokale Musikgeschichte geschrieben

  • Matthias Krauß, Potsdam
  • Lesedauer: 4 Min.

Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) erhält am Freitagabend ein Extra-Hallo. Zum 30. Geburtstag seiner »Fercher Obstkistenbühne« kann Liedermacher Wolfgang Protze noch so mancherlei andere Prominenz begrüßen. Das Jubiläum ist der Musiktruppe, zu der Protzes Frau Ingrid und zwei weitere Musikanten gehören, Anlass für eine Art Festspielwoche bis zum 24. Juli.

Wolfgang Protze, der in den 70er Jahren an der damaligen Pädagogischen Hochschule Potsdam die bekannte FDJ-Singegruppe »Spartakus« geleitet hatte, war für politische und anderweitig engagierte Lieder bekannt. Kurz nach der Wende, 1992, gründete er dann die »Obstkistenbühne«. Eröffnet wurde sie von Günther Fischer, einer Art DDR-Musikpapst. Zum Geburtstag lässt das Publikum Seifenblasen aufsteigen, die »fliegen, weil sie nicht viel wiegen«, wie es in einem der neueren Protze-Songs heißt.

Die Band besingt unter einer alten Linde ihre märkische Heimat, die Fercher Sonnenuntergänge und »Wiesen, die noch blühen«. Eine mitunter leichtgewichtige, verklärte Welt, könnte man meinen, in der der »märkische Goethe«, Theodor Fontane, nicht fehlen darf. Die Bühne ist aufgebaut im Hof des Großvaters von Ingrid, der noch Obstzüchter war und sich nach dem Krieg in der örtlichen Gartenbau-Genossenschaft fortgebildet hatte. Um die Bühne und den Publikumsbereich herum sind die Attribute eines Bauernhofes aus dem 19. Jahrhundert ausgestellt – der »Pferdekarrenzeit«. Das Havelland ist heute allerdings längst nicht mehr der Obstgarten, der es noch bis zum Ende der DDR gewesen ist. Man wolle diese alte, versunkene Welt »weiterleben lassen in Form von Liedern«, sagt Ingrid.

Ist Wolfgang Protze (Jahrgang 1951) als Spartakist gestartet und in der Obstkiste gelandet? Zweifellos ist das nicht so einfach, oder so billig, tatsächlich ist der Klangkörper alles andere als Provinztheater. Die Obstkistenbühne kam herum in der Welt. Ingrid Protze zählt Beispiele auf: Brüssel, Luzern, Brügge. »Sie haben als Kulturbotschafter Ferch in der Welt bekannt gemacht«, lobt Bürgermeisterin Kerstin Hoppe (CDU).

Natürlich ist das Publikum der Protzes längst nicht mehr das des einstigen Festivals des politischen Liedes. Es sind vor allem Touristen, die sich in der Kiste einen gemütlichen Abend machen. Und wenn es Einheimische sind, dann in der Regel die wohlhabenden, im Speckgürtel Angesiedelten, die natürlich auch wohlmeinend sind sowie anspruchsvoll, das heißt mitunter kritisch. Aber Bestätigung wollen sie im Großen und Ganzen vor allem. Und die bekommen sie auch.

Dabei verrät das Programm den augenzwinkernden Realisten, der Protze geblieben ist. Wenn er genau diesen Speckgürtel auf die Schippe nimmt oder in einem seiner Lied sehr deutlich wird, dass das vermeintliche Paradies Ferch eben, wie jedes andere Paradies auch, mitunter gar keines ist. Die Rede ist von Obst mit Maden. (»Wenn die Made es überlebt, dann überleben Sie es auch.«) Oder vom Bus, der leer vorbeifährt. Und sie bekennen mit Fontane: »Was uns hier hält, das ist ein ziemlich weites Feld.«

»Ich bin nicht über Nacht verschwunden«, offenbart der Liedermacher mit den beiden so unterschiedlichen künstlerischen Schaffensphasen im Lauf des Abends. Landtagspräsidentin Liedtke ist der Bühne seit 30 Jahren verbunden. Kurz nach der Wende hatte sie die Rheinsberger Musikakademie geleitet und für aus der DDR stammende Liedermacher dort eine Werkstatt eingerichtet. Neben Wolfgang Protze seien unter anderem auch Bettina Wegner und Gerhard Gundermann dabei gewesen. Die Obstkistenbühne war »die erste mit einem Zuwendungsbescheid«, erinnert sie sich. Und fügt hinzu, dass ihre heutigen Lieder keineswegs unpolitisch seien. »Barden hat es immer gegeben.«

Der Abend klingt aus – wie kann es anders sein – mit dem vom Publikum geforderten bekanntesten Lied von Wolfgang Protze, »Der Alte Schulhof ist der schönste Platz, den‹s für mich gibt«. Er sei erstaunt darüber, dass er mit diesem Text in einem zeitgenössischen Schulbuch gelandet sei, lässt er dazu wissen. Befragt, wie er mit dem heutigen Wissen seine Spartakus-Zeit sieht, lächelt Protze. Er sei damals geprägt worden von der Begegnung mit Welt-Musikern wie Perry Friedman und Pete Seeger. »Ich habe mich ausgetobt.«

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