Feier und Protest unterm Regenbogen

Am Samstag findet in Berlin der große CSD statt. Daneben entstehen immer mehr politische Prides

  • Tarek Shukrallah
  • Lesedauer: 5 Min.

Von Friedrichshafen bis Stuttgart, von Marburg bis Berlin: Im Sommer ist auch in Deutschland Christopher-Street-Day-Saison. Am kommenden Wochenende werden Hunderttausende zu Demonstrationen und Paraden erwartet. Allein in Berlin finden über den Sommer verteilt insgesamt acht Christopher-Street-Days (CSD) statt, die zu Protest und Feier aufrufen.

Den Wochenendauftakt macht am Freitagabend der jährliche Dyke March. Hier stehen lesbische Sichtbarkeit und Lebensweisen im Vordergrund. In der heutigen Form existiert der Dyke March schon seit 2013 und geht aus einem Engagement im Umfeld des lesbischen Magazins »L-Mag« hervor. Die Demonstration für lesbische Sichtbarkeit ist für alle offen, die sich als lesbisch verstehen oder solidarisch mit Lesben sind. Aufgerufen wird unter dem Motto »All Dykes* are beautiful« – eine Kampfansage an trans*feindliche Stimmen.

Der große Berliner CSD geht am Samstag unter dem Motto »United in Love. Gegen Hass, Krieg und Diskriminierung« an den Start. Zu der Parade werden etwa 500 000 Teilnehmer*innen erwartet. Neben zahlreichen lokalen und überregionalen, nationalen und internationalen queeren Initiativen und Vereinen sind auch in diesem Jahr bei der Parade Großunternehmen, Botschaften, Parteien und Ministerien vertreten. Darunter neben einer queeren Gruppe des Onlineversandhändlers Amazon auch der Brandenburger Ableger des Elektroautoherstellers Tesla. Tesla Chef Elon Musk ist selbst Vater einer trans Tochter – die nach ihrem öffentlichen Coming-Out in diesem Jahr jeden Kontakt zu ihm abgebrochen hat und ihren Nachnamen änderte, um nicht mehr mit Musk in Verbindung gebracht zu werden. Der prominente Milliardär und Unternehmer war in der Vergangenheit immer wieder mit homo- und transfeindlichen Anspielungen und Kommentaren in die Medien geraten.

Immer wieder stand der CSD Berlin wegen Rassismusvorwürfen und der Zusammenarbeit mit Großkonzernen in der Kritik. Vor zwei Jahren eskalierte der Konflikt, nachdem die rassistisch und nationalistisch tönende Berliner Drag Queen Nina Queer am Programm beteiligt werden sollte. Daraufhin zog die Künstlerin und queere Schwarze Aktivistin Malonda ihre Beteiligung zurück. Malonda ist Teil des QTI*BIPOC United Kollektivs, einer Gruppe queerer Schwarzer Menschen und People of Color, die im vergangenen Jahr unter dem Motto »Reclaiming Pride« im Rahmen der CSD Sterndemos zu einer eigenen Demonstration aufrief. Diesem Kollektiv möchte der Berliner CSD-Verein in diesem Jahr mit dem »Soul of Stonewall Award« verleihen. »Auch in den queeren Communities gibt es Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus. Wir kämpfen dagegen an und jeder und jede ist bei uns willkommen. Wir akzeptieren Diskriminierung gar nicht. Darum wollen wir die Arbeit aller ehren und ihnen die große Bühne geben«, sagt Marc-Erik Lehmann vom Vorstand des CSD dem »nd«.

Malonda selber äußert Bedenken an der Ernsthaftigkeit des CSD im Umgang mit Antirassismus: »Dieser CSD wird zwar einer der diversesten, aber an den Strukturen hat sich nur wenig verändert. Solange sich strukturell nichts tut, bleibt die Veränderung kosmetisch.« Auch beim Preis habe es Ungereimtheiten gegeben: »Der Preis sollte an mich gehen, aber wir haben als Kollektiv entschieden, uns nicht vereinzeln zu lassen. Wir wissen bis heute nicht, ob wir den Preis auf der Bühne überhaupt überreicht bekommen«, sagt Malonda dem »nd«. Die queerfeministische Musikerin Sookee hat seit 2020 den Prozess um den Umgang des CSD mit Rassismus begleitet und pflichtet Malonda bei: »Verschiedene Einzelpersonen, Gruppen und Initiativen haben in den letzten Jahren versucht, mit dem CSD-Verein zum Thema Rassismus in der Queer-Community in den Austausch zu gehen. Aber unter einem tiefgehenden, kontinuierlichen Accountability-Prozess stelle nicht nur ich mir etwas anderes vor. Es gibt noch viel zu tun – denn auch unter dem Regenbogen sind wir noch nicht alle gleich«, sagt Sookee gegenüber »nd«.

Schon seit den späten 90er Jahren gibt es in Berlin alternative Christopher-Street-Day-Demonstrationen, die in direkter oder indirekter Abgrenzung und Kritik zum kommerziellen großen CSD entstanden sind. Es zeichnet sich ab, dass politische und kommerzielle Christopher Street Days immer stärker auseinanderdriften. In diesem Jahr finden mit Marzahn Pride, East Pride, Anarchistischem CSD, Dyke March, Internationalistischer Queer Pride, Trans Pride und Reclaiming Pride gleich sieben alternative politische Demonstrationen statt. Die Internationalistische Queer Pride findet ebenfalls am Samstag statt. Die Demonstration findet im zweiten Jahr in Folge statt. Das veranstaltende Bündnis fordert eine revolutionäre politische Praxis und »radikale Queerness« und verknüpft die Kritik an Queerfeindlichkeit mit der an Rassismus. Ebenfalls das zweite Jahr in Folge findet eine Woche später die Trans Pride Berlin statt. In ihrem Aufruf verweisen die Veranstalter*innen auf die alltägliche Gewalt, der trans*, intersex und nicht-binäre Menschen weltweit, aber auch in Berlin, ausgesetzt sind. Sie kritisieren die fortdauernden massiven Probleme in der Gesundheitsversorgung von trans*, inter und nicht-binären Menschen.

Die Gesundheitsversorgung queerer Menschen wird zum Lackmustest struktureller Homo- und Transfeindlichkeit für die rot-grün-gelbe Bundesregierung, die sich für die Verbesserung der Lebensumstände dieser Gruppen viel vorgenommen, aber noch wenig umgesetzt hat. Während sich Räume zum Ausgelassen-Sein für immer mehr Menschen wieder öffnen, sind Schwule und andere Männer, die Sex mit Männern haben, mit einer neuen gesundheitlichen Bedrohung konfrontiert. Der Ausbruch der Affenpocken verbreitet sich laut RKI fast ausschließlich in dieser Gruppe. Die Auslieferung von Impfstoff erfolgte erst sehr spät und in zu geringen Dosen. Viele Impfwillige haben keinen Zugang zum Impfstoff, und auch eine Impfkampagne ist bislang unsichtbar. Antidiskriminierung, Gesundheitsförderung und die Herstellung sozialer Gleichheit sind Faktoren für eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen queerer Menschen. Dass es immer mehr, immer politischere CSDs gibt, zeugt davon.

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