Übergewinnsteuer? Abfuhr vom Kanzler

SPD und Grüne drängen angesichts hoher Energiepreise auf Übergewinnsteuer, Olaf Scholz widerspricht

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 3 Min.

Während Energiekonzerne Rekordgewinne einfahren, müssen die Verbraucher*innen immer höhere Heizkosten zahlen – so ist die Lage in Folge des Ukraine-Kriegs. Erst am vergangenen Donnerstag gab der britische Shell-Konzern einen Rekordgewinn von 11,5 Milliarden Dollar bekannt, während Total Energies aus Frankreich den eigenen Gewinn auf 5,7 Milliarden verdoppelte und auch der deutsche Gas- und Ölproduzent Wintershall Dea diesen deutlich auf 668 Millionen Euro steigerte. Um die zusätzlichen Gewinne abzuschöpfen und die Bürger*innen zu entlasten, erheben immer mehr europäische Staaten eine Übergewinnsteuer: Italien, Griechenland, Spanien, Belgien, Ungarn und Großbritannien haben eine solche Abgabe bereits eingeführt oder planen sie, wohlgemerkt Länder, in denen nicht überall Progressive an der Macht sind. In Großbritannien regiert die konservative Partei, in Griechenland die liberal-konservative Nea Dimokratia von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis und in Ungarn bekanntlich Viktor Orbán.

Deutschland hat bislang keine Übergewinnsteuer eingeführt, denn die FDP ist dagegen. »Insbesondere für die Innovationskraft einer Ökonomie kann eine Übergewinnsteuer fatal sein«, heißt es in einer Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats im Finanzministerium Christian Lindners. Die Liberalen sind grundsätzlich gegen Steuererhöhungen oder die Einführung neuer Steuern, dieses entscheidende Zugeständnis hatten SPD und Grüne ihnen bei der Erarbeitung des Koalitionsvertrages gemacht. Seit dem 24. Februar, als Russlands Überfall auf die Ukraine begann, haben sich die Bedingungen aber geändert. Auch in anderen Bereichen wie der Atomkraft werden mittlerweile Optionen wie ein sogenannter Streckbetrieb von Atommeilern diskutiert, die im letzten Jahr noch vollkommen fernab jeglicher Realität erschienen.

Sozialdemokraten und Grüne unternehmen deshalb jetzt einen neuen Versuch, ihren Koalitionspartner zu bewegen. »Die SPD wird einen neuen Anlauf nehmen, eine Übergewinnsteuer für Konzerne einzuführen, die sich an der Krise bereichern«, sagte SPD-Parteichefin Saskia Esken der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang pflichtete ihr ebenso bei wie SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Unterstützung erhalten sie von einem Gutachten der wissenschaftlichen Dienste des Bundestags, wie der »Spiegel« am Freitag berichtete: Der Staat müsste demnach darlegen, dass betroffene Unternehmen »unverdiente Gewinne« erzielt haben und sich diese bestimmen lassen. »Angesichts der offenkundigen aktuellen Entwicklungen auf den Energiemärkten scheint dies nicht ausgeschlossen«, zitierte das Magazin aus dem Papier.

Eine Abfuhr bekamen Esken, Lang und Mützenich jedoch gleich am Montag, und zwar ausgerechnet vom Bundeskanzler höchstpersönlich. »Aus Sicht des Kanzlers ist eine Übergewinnsteuer derzeit nicht vorgesehen«, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner in Berlin und verwies in diesem Zusammenhang auf die Vereinbarungen des Koalitionsvertrags. Das ist natürlich ein denkbar ungünstiges Argument, denn auch andere Maßnahmen wie das 100-Milliarden-Sondervermögen, für das aufgrund der Schuldenbremse sogar eine Änderung des Grundgesetzes nötig war, standen nicht im Vertrag der Koalitionsparteien. Eher scheint es, als wolle Scholz keinen Streit mit der FDP provozieren. Das führt dazu, dass die Regierung zwar eine Menge Geld zur Bewältigung multipler Krisen in die Hand nehmen muss, allerdings durch die Liberalen, die auch die Schuldenbremse erhalten wollen, zu einem rigiden Sparkurs gezwungen wird.

Der finanzpolitische Sprecher der Linksfraktion, Christian Görke, begrüßte den Vorstoß der beiden Regierungsparteien, nannte diesen aber auch »scheinheilig«. Im Juni hätten Grüne und Sozialdemokraten einen Antrag der Linksfraktion, der die Bundesregierung zur Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Übergewinnsteuer auffordert, im Finanzausschuss abgelehnt. »Wer in den Medien etwas fordert, aber im Bundestag das Gegenteil macht, wirkt unehrlich«, so Görke. Zudem hatte es bereits eine Bundesratsinitiative aus dem rot-rot-grünen Bremen für eine Übergewinnsteuer gegeben, der sich die ebenfalls von der Linken mitregierten Länder Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen angeschlossen hatten. Allerdings scheiterte die Initiative bei der Abstimmung im Bundesrat: Nur das Saarland (SPD) und Hamburg (SPD/Grüne) schlossen sich noch an, alle Länder mit Unions- und/oder FDP-Beteiligung verweigerten ihre Zustimmung.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal