Zahnärzte gegen das große Geld

Private-Equity-Gesellschaften haben Arztpraxen als lukrative Geldanlage entdeckt

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
Zahnärztliche Versorgungszentren sind ein Renner bei Investoren im Gesundheitssektor.
Zahnärztliche Versorgungszentren sind ein Renner bei Investoren im Gesundheitssektor.

Kennen Sie das? »Doktor Meier ist krank, ich muss ihren Termin absagen«, teilt freundlich die Zahnarztassistentin am Telefon mit. Da der Arzt danach Urlaub nehmen wolle, wäre erst Ende August wieder ein Termin frei. Nein, eine Urlaubsvertretung gebe es nicht. Hier haben wir gleich zwei Probleme beieinander, die Patienten und allein praktizierenden Ärzten das Leben schwer machen: Ist der Arzt krank oder auf Reisen, ist die Praxis lahmgelegt.

Deshalb werden seit langem immer mehr Gemeinschaftspraxen gegründet. Sie können den Ausfall eines Arztes leichter wettmachen. Auch lassen sich hier mehrere medizinische Spezialisierungen bündeln. Aus Sicht der Ärzte bieten Gemeinschaftspraxen, ähnlich wie die DDR-Polikliniken, zudem die Aussicht auf geregelte Arbeitszeiten, auf freie Wochenenden und verlässliche Urlaubsplanung.

Solche Versorgungszentren stemmen außerdem unter Umständen anstehende Investitionen leichter. Der Arbeitsplatz eines Zahnmediziners kostet nach Angaben im Internet etwa 500 000 Euro. Praxen von Orthopäden oder Röntgenärzten können weit teurer sein. Solche Investitionen können sich im Laufe der Jahre auszahlen, gewiss ist das aber nicht. Insofern gehen Ärzte auch ein unternehmerisches Risiko ein.

An dieser Stelle kommt »das Kapital« ins Spiel. Immer mehr kleine und große Finanzinvestoren kaufen Praxen und Versorgungszentren auf, so lässt sich der Vorstandsvorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, Wolfgang Eßer, zitieren. Die KZBV vertritt die Interessen von rund 63 000 Zahnärztinnen und Zahnärzten. Eßer zufolge zählen schon jetzt ein Drittel der mehr als 1000 zahnärztlichen Versorgungszentren zu den investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren (IMVZ).

Solche IMVZ sorgen gemäß einer bislang unveröffentlichten Studie der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung zu Über- und Fehlversorgung, erhöhen den ökonomischen Druck gerade auf junge Ärzte und vernachlässigen den ländlichen Raum, da dieser wirtschaftlich uninteressant ist. Auch Patienten mit besonderen Bedürfnissen, etwa Pflegebedürftige oder Behinderte, werden ungern gesehen.

»Immer mehr versorgungsfremde Großinvestoren und Hedgefonds dringen in die zahnärztliche Versorgung«, sagte Eßer der »Ärztezeitung«. »Die Gefahren für die Patientenversorgung sind durch Gutachten klar belegt.« Dringend nötig seien zumindest ein öffentliches Register über alle Zentren und eine Verpflichtung, die Trägerschaft auf dem Praxisschild und im Internet auszuweisen, so Eßer mit Blick auf die Bundesregierung.

Seit der Schelte Eßers im Mai ist die Aufregung in der Medizinbranche über Investorenzentren groß. Unter Banken und Vermögensverwaltern, privaten Krankenhausbetreibern und Industriemanagern gilt der Gesundheitsbereich als grundsätzlich lukrativ und als einer der ganz großen Zukunftsmärkte. Die wachsende Zahl an Zivilisationskrankheiten in reichen Ländern und die Alterung der Bevölkerung dürften den Markt nachhaltig wachsen lassen. Etwa zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden in den EU-Staaten schon heute für Pharmazeutika, medizinische Betreuung und Zahnerhalt ausgegeben. In den Vereinigten Staaten ist der Anteil der Krankheitsausgaben noch höher.

Auch die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Ärztekammern sowie Medizinerverbände äußerten ihre Bedenken gegenüber einer allzu gewerbeorientierten Versorgung. Eine Studie des Iges- Instituts in Berlin kam zu dem Ergebnis, dass Investorenzentren deutlich mehr abrechneten als Einzelpraxen. Je Arztgruppenfall werde ein um 5,7 Prozent höheres Honorarvolumen in Rechnung gestellt.

Der Ärztetag forderte den Gesetzgeber dazu auf, »dem fortschreitenden Aufkauf des ambulanten medizinischen Sektors durch Private Equity und börsennotierte Aktienunternehmen Einhalt zu gebieten«. Immer häufiger flössen Kassenbeiträge und Versichertengelder zu Aktionären solcher Beteiligungsgesellschaften ab.

Philipp Schlechtweg, Facharzt für diagnostische Radiologie, gehört zu den namhaften Kritikern der IMVZ im deutschen Gesundheitssystem. Er weist noch auf einen weiteren Aspekt hin: Am Beispiel von Bayern zeige sich, dass von 17 Arztketten im Private-Equity-Besitz bereits 14 ihren Sitz in Steueroasen wie den Cayman-Inseln hätten.

Investorenzentren wie Alldent, Colosseum Dental und Dr. Z verweisen auf Vorteile, die auch für andere Gemeinschaftspraxen gelten. Zudem hätten die Unternehmen in der Corona-Pandemie weiter gearbeitet, während viele Einzelpraxen geschlossen gewesen seien. Ökonomisch sprechen für sie die sogenannten Skaleneffekte: Da IMVZ Dutzende Standorte vereinen können, haben sie beispielsweise beim Einkauf Größenvorteile und erhalten Rabatte. In der Klinikbranche gebe es daher den Trend zu immer größeren Ketten wie Helios und Asklepios schon länger.

Im Jahr 2015 hatte der Gesetzgeber medizinische Versorgungszentren mit angestellten Ärzten ermöglicht, auch im Dentalbereich. Eigentlich sollte damit die Versorgung außerhalb der Ballungsräume verbessert werden. Offenbar ist dies kaum geschehen. Stattdessen entdeckten Finanzinvestoren über diese Hintertür einen neuen Markt. Diesen einfach wieder zu schließen oder IMVZ sogar zu verbieten, dürfte schon aus rechtlichen Gründen kaum möglich sein.

Eine politische Regulierung käme dagegen schon in Betracht. Auf ihrer Konferenz im Juni haben die Gesundheitsminister der Länder (GMK) einstimmig einen Beschluss zur Regulierung investorengetragener MVZ gefasst. Das Bundesgesundheitsministerium wird aufgefordert, »Regelungen zu treffen, die sicherstellen, Fremdinvestoren mit ausschließlichen Kapitalinteressen von der Gründung und dem Betrieb zahnärztlicher MVZ auszuschließen«. Außerdem sollen die Betreiber Versorgungszentren nur in einem der 17 Bezirke ansiedeln dürfen, in welche die Kassenärztlichen Vereinigungen die Bundesrepublik aufgeteilt haben.

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