Transfeindlichkeit mit System

Kampagnen und Spenden gegen den Kulturkampf von rechts sind wichtig, aber gewinnen müssen wir den Klassenkampf

  • Penelope Kemekenidou
  • Lesedauer: 7 Min.

Dr. Dana Mahr musste aus ihrer Wohnung flüchten. Sie ist Medizinsoziologin und Wissenschaftshistorikerin. Und sie ist trans*. Kürzlich wurde ihre Adresse im Internet veröffentlicht, dann wurden die Scheiben des Hauses eingeschlagen. Daraufhin zog sich Mahr mit ihrer Familie zu den Eltern zurück, doch auch diese Adresse wurde im Internet verbreitet. Ihr Arbeitgeber erhielt zahlreiche Beschwerden, sie wurde im Netz beleidigt und verleumdet. All das passiert, weil Mahr öffentlich Stellung nahm zu den Geschehnissen um die aufgeschobene Veranstaltung der Biologin Marie-Luise Vollbrecht, weil sie zu den biopolitischen Verbrechen des Nationalsozialismus aufklärte und den rechten Rhetoriken etwas entgegensetzte.

Während Vollbrecht vor einiger Zeit noch gänzlich unbekannt war, brachte ihr ein Skandal um die von der Humboldt-Universität zunächst abgesagte Veranstaltung mit ihr große Aufmerksamkeit. Nun ist sie nicht nur in deutschen Medien präsent, sondern auch auf internationalen Kanälen wie dem Women’s Liberation Radio. Diese Plattform »radikal feministischer« Personen kann dem Spektrum der sogenannten transexkludierenden Radikalfeministinnen (TERFs) zugerechnet werden. Vollbrecht hatte eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um, nach eigenen Worten, »rechtliche Schritte gegen Verleumdungen im Zusammenhang mit meinem abgesagten Vortrag über Biologie und die Evolution der zwei Geschlechter zu ergreifen«.

Bekannt ist, dass die von ihr beauftragte Kanzlei Höcker in der Vergangenheit unter anderen die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel vertreten und dass der ehemalige Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen für die Kanzlei gearbeitet hatte. Mittlerweile hat Marie-Luise Vollbrecht mehr als 41.000 Euro gesammelt. Sie geht dabei aber nicht nur gegen Personen, sondern auch gegen Organisationen wie den Bundesverband Trans* vor, verkündete der Rechtsanwalt Jasper Prigge am 10. August auf Twitter. Der Verein antwortete auf das Schreiben der Kanzlei mit einer »negativen Feststellungsklage«. Mittlerweile wehrt sich auch Dr. Dana Mahr und sammelt erfolgreich Spendenmittel für sich und weitere Betroffene.

Trans*kämpfe

Die Spendenkampagne von Dr. Dana Mahr ist gerade eine dringende Notwendigkeit, denn veröffentlichte Adressen und eingeworfene Scheiben zeigen: Der Kampf gegen trans* Personen wird mit neuer Aggressivität geführt. Aber auch wenn die Spendenkampagne ein wichtiges Zeichen der Solidarität setzt, bleibt sie nur Gegenwehr und ist keine Lösung des zugrundeliegenden Problems. Um der Trans* Community langfristig helfen zu können, muss man thematisieren, dass Trans*feindlichkeit nicht nur ein rechtes Narrativ darstellt. Sie folgt einer gesamtkapitalistischen Logik, in der die Widersprüche des Systems auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen abgewälzt werden und gegen diese dann aggressiv vorgegangen wird. Das ist kein »Kulturkampf«, sondern ein Schutz für den reibungslosen Ablauf der kapitalistischen Verhältnisse. Erst auf Basis dieses Verständnisses können wir effektiv der Community beistehen.

Was medial und auch in der Bewegung als identitätspolitischer Kampf verkauft wird – »Radikalfeminismus« gegen Trans*aktivismus – ist im Grunde ein Scheindiskurs. Der Identitätskampf ist bloß ein rhetorischer Überbau, mit dem die grundlegende Frage der Bedingungen von Klassenherrschaft aus dem Blick gerät. Zu dieser Grundlage gehört auch die Spaltung der arbeitenden Klasse und der Lohnabhängigen über verschiedene Differenzlinien wie etwa Ethnie oder Geschlecht. Trans*aktivismus als Feindbild aktualisiert etwa sexistische Spaltungen, wo andere Themen an Boden verlieren. Die neue Aggressivität, mit der konservative Kräfte in den USA gegen das Abtreibungsrecht in der Politik vorgehen, wie man im Zusammenhang von Roe vs. Wade sehen konnte, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie generell an Zustimmung in der Bevölkerung bei dem Thema verlieren: Entgegen der medialen Darstellung ist in den USA mittlerweile selbst ein großer Teil der konservativen Wähler*innen für ein Recht auf Abtreibung. 2018 ergab eine Studie, dass ein Drittel der Republikaner*innen sich für Abtreibungen aussprach, 2019 verkündete Reuters, dass der Kampf gegen das Abtreibungsrecht ein Wahlkampfrisiko für die republikanische Partei darstelle.

Akzeptieren wir jetzt also die Debatte um trans*feindlichen »Radikalfeminismus« als den ideologischen Kampf, den es zu führen gilt, so ist das ganz im Sinne der Herrschaft, denn es reproduziert deren Mechanismen. Die Antwort auf Trans*feindlichkeit lässt sich aber nicht innerhalb der Auseinandersetzung von widerstreitenden Ideologien finden, weil es hier nicht um die »richtige« Sichtweise geht. Es geht um handfeste Unterdrückung, und zwar von vielen. Diesen Zusammenhang klarzumachen, daran scheitert die politische Linke und verfängt sich immer mehr in liberalen, identitätspolitischen Einzelkämpfen, wobei auch die Trennung von Klassenkampf und Identitätspolitik selbst eine Version der Spaltung ist. Weil die politische Linke das nicht sieht, hat sie die Trans*Community seit Jahren größtenteils alleingelassen.

Kämpfe zusammenführen

Es ist allgemein bekannt: Trans* Personen sind mehr von Gewalt betroffen als viele andere Personengruppen, sie haben Probleme in der bürgerlichen Alltagswelt, mit ärztlicher Versorgung oder auf dem Arbeitsmarkt. Auch wenn es mittlerweile einen Queer-Beauftragten gibt und von rechts eine Trans*Lobby imaginiert wird, findet Trans*aktivismus gegen diese Zustände seit Jahrzehnten kaum sichtbar statt. Auf sich gestellt und prekarisiert sind Transaktivist*innen alltäglich mit dem Notfallprogramm beschäftigt: Solidarität einfordern, Spendensammeln für Gewaltopfer, Wohnungssuchende, Jobsuchende.

Die Trans*bewegung bleibt in Deutschland so größtenteils isoliert, ohne dass ihre Anliegen als Teil anderer Kämpfe begriffen werden. Das hat weniger mit der Unfähigkeit der Communitys selbst zu tun als mit dem historischen Scheitern der Linken in Deutschland, einen Klassenkampf zu führen, der die unterschiedliche Betroffenheit von Herrschaft zusammenbringt. Wenn das System der Herrschaft über Spaltung funktioniert, dann muss unsere Antwort jedoch die einer gemeinsamen Organisierung sein. Trans* Personen sind keine Minderheit, keine Randerscheinung, sondern ein elementarer Teil revolutionärer Kämpfe seit jeher, ohne deren Einbindung unsere Spaltung nicht aufzuheben ist.

Wir sehen, dass in vielen Ländern dieses Bewusstsein wieder wächst: In Argentinien hatten in der Madygraf-Druckerei Arbeiter*innen ihre Kollegin Tamara verteidigt – eine trans* Frau, die eine Frauentoilette auf dem Fabrikgelände forderte. Dieser gemeinsame Kampf führte auch zu einer weiteren Organisierung, die letztendlich in einen historischen Sieg mündete: Seit 2014 ist die Fabrik selbstverwaltet.

Nicole Logotheti, trans* Frau aus Thessaloniki, arbeitete in der seit 2011 erfolgreich besetzten Fabrik vio.me in Griechenland. Die Fabrik wurde besetzt, als der Besitzer diese schließen und verkaufen wollte, nachdem er noch staatliche Förderungen eingeholt hatte. Die Arbeiter*innen durchkreuzten die Pläne, doppelten Gewinn durch Betrug machen zu wollen. Logotheti hatte ihre Transition während dieser Zeit. Alle hätten dies akzeptiert, erzählt sie, denn alle hatten dasselbe Ziel: die Fabrik am Leben zu halten und sich gegen die Fremdbestimmung der Arbeit(slosigkeit) zu organisieren. Dafür gibt es nun auf dem Gelände regelmäßig Lesekreise und theoretische Diskussionen unter den Arbeiter*innen – sofern Zeit bleibt neben der Seifenproduktion und den Auseinandersetzungen mit der Polizei, die regelmäßig das Gelände zu räumen versucht.

Esperanza Fonseca, trans* Frau und nach eigener Definition Überlebende des Sexhandels, betont hingegen, dass auch die theoretische sozialistische Grundausbildung der Community einen wichtigen Aspekt darstellt. Als Mitglied der transnationalen feministischen Organisation AF3IRM in den USA schreibt sie vor allem über die Grundlagen des Marxismus, der die Unterdrückung der Geschlechter als ein menschengemachtes Herrschaftsverhältnis begreift.

David gegen Goliath

All diese trans* Frauen sehen sich in der sozialistischen Tradition der marxistischen Bildung der Gemeinschaft. Sie fechten reale Kämpfe aus: nicht nur gegen gesellschaftliche Unterdrückung und reaktionäre Angriffe, sondern auch gegen die Vorurteile innerhalb ihrer Klasse und der Communitys. Diese Organisierung passiert, während der Angriff auf Trans*rechte sich weltweit verschärft. In den USA werden Dutzende trans*feindliche Gesetze in Bundesstaaten erlassen. So wird gegen Eltern von trans* Kindern wegen Missbrauchs ermittelt, wenn sie ihren Kindern eine genderaffirmative Versorgung zukommen lassen.

In Deutschland ist die Art, wie sich rechte Politiker*innen, Parteien und Kanzleien gerade gegen die Trans*Community stellen, eher ein Auftakt für das, was an Angriffen noch kommen wird. Das Geld mit dem dieser Kampf geführt wird, ist dabei der abgeschöpfte Mehrwert unserer aller Arbeit, aus dem ironischerweise die Waffen gegen uns selbst geschmiedet werden. Laut Bericht des Europäischen Parlamentarischen Forums für sexuelle und reproduktive Rechte finanziert unter anderem der deutsche Adel LGBTIQ-feindliche Initiativen – Beatrix von Storch ist hierbei eine der wichtigsten deutschen Akteur*innen –, und Europa hat mehr als 700 Millionen US-Dollar an »Anti-Gender-Finanzierung« erhalten. Dem setzt die Trans*Community nun eigene Spendentöpfe entgegen: Aus dem, was uns noch übrig bleibt an Gehalt, nach der Überausbeutung, der sogenannten Inflation und Energiekrise, spenden wir nun, um gegen einen Goliath anzutreten.

Es ist ganz offensichtlich: Lange können wir diesen Kampf so nicht durchhalten. Kapitalismus ist längst internationalistisch. So wie die Unterdrückung, ungeachtet der politischen, religiösen, sexistischen oder rassistischen Trennlinien, die man uns als »Kulturkampf« aufdrückt. Ein Kampf gegen Trans*feindlichkeit kann nur dann erfolgreich sein, wenn er als Ausdruck eines gesellschaftlichen Systems begriffen wird. Auch wir müssen uns über unsere nationalen und ideologischen Grenzen hinaus organisieren. Dabei zu helfen, eine Verbindung zu den internationalen Vorreiter*innen der klassenbasierten Kämpfe der Trans*Community zu schaffen, wäre ein Anfang.

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