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Lückenstopfen am Fließband

Vor der Heim-EM hoffen die deutschen Basketballer nach einem Sommer voller Pech auf wenigstens eine gute Nachricht

Franz Wagner (o.) ist der einzige Hoffnungsschimmer in einem Sommer voller schlechter Nachrichten fürs deutsche Basketballteam.
Franz Wagner (o.) ist der einzige Hoffnungsschimmer in einem Sommer voller schlechter Nachrichten fürs deutsche Basketballteam.

Gordon Herbert weiß, dass das Leben nicht berechenbar ist und auch die besten Pläne speziell im Leistungssport immer wieder durchkreuzt werden. Dass sich der Sommer 2022 für den Basketball-Bundestrainer und das deutsche Nationalteam so ungünstig entwickeln würde, dürfte jedoch selbst den Kanadier frustrieren. Mal wieder war der Mannschaft ein erfolgreiches Turnier vorhergesagt worden. Diesmal jedoch scheint der Traum von einer EM-Medaille im eigenen Land schon vor dem Start in nicht mal einer Woche unerreichbar zu sein. Dabei verfügt der deutsche Basketball wahrscheinlich über die beste Ansammlung guter Spieler in seiner Geschichte. Ein unvorhersehbares Verletzungspech aber hat diese vielversprechende Gruppe gesprengt.

Alles begann vor gut einem Monat damit, dass Herbert von NBA-Profi Maxi Kleber eine Absage für diesen Sommer erhielt. Der Flügelspieler von den Dallas Mavericks will endlich die vielen kleinen Wehwehchen auskurieren, die ihn in den vergangenen Jahren so geplagt haben. Gleichzeitig musste sich mit Isaac Bonga ein zweiter NBA-Spieler nach einer in der WM-Qualifikation erlittenen Sprunggelenksverletzung operieren lassen. Ein paar Wochen später streikte auch der Knöchel von Moritz Wagner. Der Center der Orlando Magic hatte Deutschland im vergangenen Jahr noch zu den Olympischen Spielen geworfen, nun fällt auch er aus.

Spätestens als der Deutsche Basketball-Bund (DBB) vor dem Supercup in Hamburg Mitte August vermeldete, dass die EM-Teilnahme von NBA-Vizemeister Daniel Theis wegen Knieproblemen ebenfalls fraglich sei, verging auch dem letzten Fan die Vorfreude auf das Heimturnier. Speziell auf den großen Positionen unter dem Korb, üblicherweise eine Stärke der Deutschen, ist das Nationalteam plötzlich unterbesetzt. Das zeigte sich deutlich im Finale des Supercups in Hamburg, als die EM-Mitfavoriten aus Serbien um NBA-Superstar Nikola Jokic Deutschland physisch komplett überlegen waren und den Gastgebern eine herbe 56:83-Niederlage verpassten.

Statt Theis, Wagner und Kleber aus der besten Liga der Welt versuchen nun plötzlich Jonas Wohlfarth-Bottermann, Gavin Schilling und Leon Kratzer aus Hamburg, Limoges und Bonn, den deutschen Korb zu verteidigen. Keinem der drei war vor fünf Wochen auch nur die Chance auf einen Platz im EM-Kader eingeräumt worden, zwei waren von Herbert aus dem Trainingscamp sogar schon nach Hause geschickt worden. Nun aber wird der Trainer wohl mindestens zwei von ihnen mit nach Köln nehmen, wenn dort am Donnerstag der Olympiazweite Frankreich als erster EM-Gegner wartet. Danach folgt das Duell mit Litauen, und beide Teams sind besonders unter den Körben kaum zu stoppen. Sollte Theis nicht rechtzeitig fit werden, ist ein Fehlstart fast schon programmiert.

Theis werde frühestens am Montag ins Teamtraining zurückkehren, sagte DBB-Vizepräsident Armin Andres am Donnerstagabend. Sicher ist aber auch das noch nicht. An diesem Sonntag gegen Slowenien kann der Profi der Indiana Pacers in der WM-Qualifikation definitiv nicht dabei sein. »Jeder weiß, dass Daniel durch seine Athletik und seine Erfahrung so wichtig ist. Unter dem Korb sind wir ein bisschen dünn besetzt, das haben wir gegen Serbien gemerkt. Daniel wäre ein Schub«, so Andres.

Bundestrainer Gordon Herbert hatte Ende Mai noch davon geträumt, »das beste Team« nominieren zu können. Er wollte zudem schon einen Monat vor der EM den Kader zusammen haben, um ohne Ablenkung an Teamchemie und Spielsystemen zu arbeiten. Jetzt, nicht einmal eine Woche vor dem Turnierstart, muss er noch immer mit der Nominierung warten, weil er nicht weiß, ob Theis spielen kann. Von der Idee, einen festen Kern zu etablieren, der in den kommenden Jahren bis Olympia 2024 zu einem Team zusammenwächst, musste er sich schon lange verabschieden. Herbert muss gerade mit dem arbeiten, was übrig ist, Lücken stopfen und dann im WM-Sommer 2023 auf weniger Verletzungspech hoffen.

Immerhin ist Dennis Schröder ins Team zurückgekehrt. Der neue Kapitän, der weiterhin nach einem neuen Verein in der NBA sucht, war beim Supercup umgeknickt und musste daraufhin eine knappe Woche pausieren. Zum WM-Qualifikationsspiel in Schweden war er dann doch noch dem Team hinterhergereist, um es am Donnerstag zu einem ungefährdeten 67:50-Erfolg zu führen. Allerdings war die angezogene innere Handbremse in fast jeder seiner Bewegungen sichtbar. Der schnelle erste Schritt, mit dem Schröder sonst mühelos an seinen Gegnern vorbeidribbelt, war in Stockholm nicht zu sehen, und viele seiner Dreipunktwürfe blieben zu kurz.

Beruhigend wirkt, dass das Team unter- und mittelklassige Gegner wie Estland, Tschechien oder Schweden trotz des vollen Lazaretts zuletzt stets im Griff hatte. Die WM-Qualifikation sollte bei der aktuellen Bilanz von sechs Siegen und nur einer Niederlage daher auch fast schon sicher sein. Die zweite Reihe verfügt also über genügend Qualität, um auch in der schweren EM-Gruppe zumindest Bosnien-Herzegowina bezwingen und damit auf Vorrundenplatz vier das Achtelfinale in Berlin sicher erreichen zu können. Das wäre immerhin mehr als bei der letzten Heim-EM 2015 oder der WM 2019 in China, als das DBB-Team jedes Mal in Bestbesetzung völlig unter den eigenen Erwartungen geblieben war.

Diese Weiterentwicklung hat vor allem mit Franz Wagner zu tun. Der gebürtige Berliner, der an diesem Samstag seinen 21. Geburtstag feiert, beweist gerade, dass er wohl wirklich das größte deutsche Talent seit Dirk Nowitzki ist. Schon in seinem ersten NBA-Jahr übertraf er in Orlando alle Erwartungen. In der Nationalmannschaft sorgt er nun im Angriff für eine Entlastung Schröders und damit für mehr Variabilität. Für die Gegner reicht es nicht mehr, nur Schröder zu stoppen, schließlich war Wagner in seinen ersten vier Länderspielen in den vergangenen Wochen gleich dreimal bester deutscher Punktesammler, so auch gegen Schweden mit 16 Zählern. Er ist der eine Hoffnungsschimmer in einem Sommer voller schlechter Nachrichten – zumindest so lange er gesund bleibt.

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